# taz.de -- Eurasische Wirtschaftsunion: Nach Putins Geschmack | |
> Die Eurasische Wirtschaftsunion umfasst vorläufig 170 Millionen Menschen | |
> und drei Staaten. Entsteht da mehr als ein russisches Machtinstrument? | |
Bild: Putin, Nasarbajew und Lukaschenko: Zusammen ist man weniger allein. | |
MOSKAU taz | Für Wladimir Putin gibt es keine Zweifel. Die Gründung der | |
Eurasischen Wirtschaftsunion (EWU) in der kasachischen Hauptstadt am | |
Donnerstag stellt für den Kremlchef das „zentrale Ereignis des Jahres“ dar. | |
Moskau hatte darauf gedrungen, dass die Vertragsunterzeichnung des von | |
Russland angestoßenen Integrationsprojekts des postsowjetischen Raumes wie | |
geplant durchgezogen wird. | |
Wäre es nach dem kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew und dem | |
weißrussischen Staatschef Alexander Lukaschenko gegangen, hätte die | |
Gründungsveranstaltung auch verschoben werden können. Es gibt | |
offensichtlich eine Menge bislang noch offener Fragen. Dass bis zur letzten | |
Minute noch verhandelt wurde, gab sogar die russische Seite zu. Moskau | |
fürchtete wohl, die postsowjetischen Partner könnten im letzten Moment noch | |
Reißaus nehmen. | |
In die feierlichen Mienen der Vertreter aus Astana und Minsk schien sich | |
denn auch so etwas wie eine düstere Vorahnung zu mischen – als würden sie | |
sich fragen, ob sie mit dem übereilten Integrationsprozess am Ende doch zu | |
weit gegangen sind. | |
Der russische Vizepremier Igor Schuwalow hat am Vorabend den Kasachen | |
versichert, dass die Wirtschaftsvereinigung keinen Einfluss auf die | |
Souveränität des zentralasiatischen Staates haben werde. Der Weißrusse | |
Alexander Lukaschenko schien zu überlegen, ob er nicht gerade eine | |
Kapitulationsurkunde unterschrieben hätte. | |
## Verschachtelte Einbindungsstruktur | |
Russlands Annexion der Krim und die anhaltende Destabilisierung der Ukraine | |
haben die Nachbarn in Unruhe versetzt. Umso mehr war Putin daran gelegen, | |
der Welt zu demonstrieren, dass Moskau trotz allem auf verlässliche Partner | |
bauen kann. | |
Die drei Staaten sind bereits durch eine Zollunion verbunden, in die | |
ursprünglich auch die Ukraine eintreten sollte. In der EWU wird zunächst | |
die Kooperation in der Energiewirtschaft, der Industrie, im Agrarsektor und | |
im Verkehrswesen aufeinander abgestimmt. | |
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gibt es allerdings bereits vier | |
Organisationen innerhalb der GUS, dem Nachfolgegebilde der UdSSR, die die | |
wirtschaftliche Zusammenarbeit mehr schlecht als recht verwalten. Mit der | |
EWU kommt nun noch eine fünfte dazu. Diese verschachtelte | |
Einbindungsstruktur spiegelt weniger wirtschaftliche Effizienz als | |
Russlands Versuch wider, die Beziehungen zu den früheren Satelliten in den | |
Griff zu bekommen. | |
Vor der Rückkehr ins Präsidentenamt 2012 stellte Putin das Projekt einer | |
Eurasischen Union erstmals in einem Artikel für die Iswestija vor. Putin | |
hob damals ausdrücklich hervor, eine Wiederauflage der Sowjetunion sei | |
nicht geplant. Vielmehr beschrieb er die Eurasische Union als ein Gebilde, | |
das den freien Verkehr von Arbeitskräften, Dienstleistungen und Kapital | |
nach der Blaupause der EU auf dem eurasischen Kontinent umsetzen wolle. | |
## „Sammeln russischer Erde“ | |
Die Bevölkerung der EWU umfasst mit den neuen Staaten gerade mal 30 | |
Millionen Einwohner mehr als Russland allein – statt 140 nun 170 Millionen. | |
Zur Modernisierung Russlands können Weißrussland und Kasachstan wohl nicht | |
viel allzu viel beitragen. Noch weniger gilt das für die Aufnahmekandidaten | |
Kirgisien, Tadschikistan oder Armenien. | |
Inzwischen sollen auch die nur von Moskau anerkannten georgischen | |
Republiken Südossetien und Abchasien und die separatistische Republik | |
Transnistrien Interesse an einer Mitgliedschaft bekundet haben. Das sieht | |
eher nach dem „Sammeln russischer Erde“ denn nach einem ökonomischen | |
Zukunftsprojekt aus. | |
Nach dem Inkrafttreten der EWU am 1. Januar 2015 soll bereits die nächste | |
Etappe zum politischen Ausbau der Eurasischen Union folgen. Dass Kasachstan | |
und Weißrussland an der politischen Vernetzung kein wirkliches Interesse | |
zeigen, ist jedoch seit Langem klar. | |
Putin stellte die Eurasische Union ursprünglich als eine Struktur dar, die | |
sich eng an der EU orientieren würde, zum Teil bis hin zu deren | |
organisatorischem Aufbau. Die Partner blieben unterdessen misstrauisch. Das | |
Vorhaben eines staatenübergreifenden Supraparlaments wurde vorerst ad acta | |
gelegt. | |
Die ehemaligen Satelliten wissen nur zu gut, dass das neue geopolitische | |
Gebilde die Europäische Union nur imitiert, indem es gleiche Institutionen | |
mit gleicher Bezeichnung schafft. Schon immer war es ein Charakteristikum | |
russischer Politik, äußere Attribute des Westens zu übernehmen, diese aber | |
mit gegenläufigen Inhalten zu füllen. | |
## Mitgliedschaft nicht ganz freiwillig | |
Dem mühseligen Konsensprinzip der EU – der Organisation permanenter | |
Nichtübereinstimmung – wird sich Moskau nicht aussetzen. Schließlich | |
belächelt es die umständliche EU und stellt dem die effektive | |
Entschlusskraft des Autokraten gegenüber. Dass Moskau sie nicht wie | |
gleichberechtigte Partner einlädt, wissen Nursultan Nasarbajew und | |
Alexander Lukaschenko aus Erfahrung. Allerdings sind auch sie Diktatoren, | |
die der Mann in Moskau gern zu seiner Herrschaftssicherung einbinden | |
möchte. Daran dürften sie wiederum auch Interesse haben. | |
Im Unterschied zur EU ist der Beitritt zur Eurasischen Union nicht ganz | |
freiwillig. Im vergangenen Herbst wurde Armenien unter Druck gesetzt, die | |
Assoziierungsverhandlungen mit Brüssel einzustellen. Die bettelarmen | |
zentralasiatischen Staaten Kirgisien und Tadschikistan sind abhängig und | |
leicht erpressbar. Große Teile der Bevölkerung arbeiten in Russland, deren | |
Lohn ist ein wichtiger Beitrag zum Staatshaushalt. | |
Wirtschaftlich könnte die EWU für Russland unter ungünstigen Bedingungen | |
sogar zum Zuschussgeschäft werden. Auch die Krim verlangt gewaltige | |
Investitionen. Von ökonomischen Gesichtspunkten ließ sich der Kremlchef bei | |
dem Überfall auf die Ukraine nicht lenken. Politische Motive überwiegen im | |
Denken des Kreml derzeit. | |
Ob sich die Eurasische Union als Flächengigant zu einem neuen integrativen | |
und zivilisatorischen Machtzentrum zwischen EU und China mausern wird, ist | |
eher zu bezweifeln. Das hängt nicht zuletzt auch von den Interessen Chinas | |
ab, das Russland in den zentralasiatischen Staaten als Investor und | |
Einkäufer schon auf einen hinteren Platz verwiesen hat. | |
30 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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