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# taz.de -- Debatte Renten: Im freien Fall
> Die SPD hat ihr Ziel aufgegeben, für eine zukunftssichere
> Altersversorgung zu streiten. Den Preis dafür zahlen die Jüngeren und
> viele Frauen.
Bild: Es klaffen weiterhin Gerechtigkeitslücken.
Das Rentenpaket mit der Rente ab 63 wird am 1. Juli in Kraft treten. Dank
ihrer überwältigenden Mehrheit konnte sich die Große Koalition die elf
Abweichler von der CDU/CSU spielend leisten. Dass die Grünen gegen das
Gesetzespaket stimmten und sich Die Linke enthielt, hat an dem
parlamentarischen Durchmarsch natürlich nichts geändert. Für die von der
63er-Regelung begünstigten Männer (die Mehrheit) sowie die Mütter, deren
Kinder vor 1992 geboren sind, ist dies eine gute Botschaft.
Die Kosten von 9 bis 11 Milliarden Euro im Jahr müssen jedoch die
Beitragszahler schultern, die zum überwiegenden Teil niemals in den Genuss
dieser Verbesserungen kommen werden. Gleichzeitig müssen die Älteren mit
weiteren Verschlechterungen ihrer Renten rechnen: Der Generationenkonflikt
wird also angeheizt. Niemand darf sich wundern, dass das Vertrauen in die
Rentenversicherung weiter schwindet. Die nächsten Rentenreformen kommen
bestimmt.
Auch die wiederholte Kritik der Sozialverbände als Interessenverwalter der
gesetzlichen Rentenversicherung verhallten weitgehend ungehört. Dabei hat
sich die SPD von ihren eigenen Beschlüssen – kein weiterer Abfall des
Rentenniveaus – distanziert. Die Disziplin in der Koalition ist ihr
wichtiger als die Zukunft der Alterssicherung. Auch dass die Aufstockung
der Armutsrenten erst einmal aufgeschoben wurde, trägt sie mit. Jetzt
befinden sich die Renten im freien Fall.
Wer 45 Jahre beitragspflichtige Beschäftigung durchgehalten hat, dem sei es
gegönnt, mit 63 Jahren in die abschlagsfreie Altersrente gehen zu können.
Dies gilt auch unter Anrechnung etwa von Zeiten der
Arbeitslosenversicherung oder der Kindererziehung.
Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass damit weitere
Gerechtigkeitslücken klaffen. Laut Bundesregierung werden von etwa 30
Millionen versicherungspflichtig Beschäftigten gerade einmal 50.000 die
63er Regelung in Anspruch nehmen. Das wären demnach noch nicht einmal 2
Prozent, davon überwiegend Männer mit überdurchschnittlich hohen Löhnen und
Renten.
Die finanzielle Belastung von bis zu 3 Milliarden Euro jährlich ab 2030
muss dagegen von allen Beitragszahlern aufgebracht werden. Häufig hatten
diese keine Chance auf eine dauerhafte versicherungspflichtige
Beschäftigung. Dies gilt für viele Handwerksberufe und vor allem für
personenbezogene Dienstleistungen – die Beschäftigungsdomäne der Frauen.
Auch schwerbehinderte Menschen werden nicht einbezogen, obwohl gerade bei
ihnen die Arbeitslosigkeit weiter ansteigt.
## Bizarre Rechenmodelle
Doch selbst für diejenigen, die sich jetzt auf die abschlagsfreie Rente mit
63 einrichten, kann es ein bitteres Erwachen geben. Denn die volle
Abschlagsfreiheit gilt nur für eineinhalb Jahrgänge: von Juni 1951 bis
Dezember 1952. Die später Geborenen müssen stufenweise nach dem 63.
Lebensjahr länger arbeiten. Ab 2029, dem Jahr der endgültigen Einführung
der Rente mit 67, werden auch sie nur noch ab dem 65. Lebensjahr eine
Altersrente ohne Abschläge beziehen können. Ebenfalls ist nicht zu
begründen, dass nur Zeiten der Arbeitslosenversicherung in die 45
Beitragsjahre eingerechnet werden, nicht aber Hartz IV. Dies trifft
wiederum viele Frauen.
Überfällig ist dagegen die Verbesserung der Erwerbsminderungsrenten um etwa
40 Euro im Monat. Infolge des weitgehend für sie verschlossenen
Arbeitsmarktes müssen immer mehr Betroffene inzwischen ergänzend Hartz IV
beanspruchen. Das hauptsächliche Problem der Abschläge bei vorzeitiger
Inanspruchnahme bleibt jedoch bestehen.
Schließlich wird der Eintritt in die Erwerbsminderung nicht selbst gewählt,
sondern ist häufig das Ergebnis gesundheitlich belastender
Arbeitsbedingungen. Zudem würden diese notwendigen Verbesserungen nur für
diejenigen gelten, die neu in die Erwerbsminderungsrente gehen. Doch das
neue Rentenpaket will, dass die derzeit bereits etwa 4 Millionen
Erwerbsminderungsrentner – davon leben 12 Prozent unterhalb Armutsgrenze –
außen vor bleiben.
## Falsch finanzierte Mütterrente
Es ist richtig, wenn für die vor 1992 geborenen Kinder zumindest ein
weiterer Rentenpunkt bei den Rentenleistungen anerkannt wird. Allerdings
bleibt damit trotzdem eine Gerechtigkeitslücke gegenüber den nach 1992
geborenen Kindern, für die drei Rentenpunkte angerechnet werden. Nicht zu
rechtfertigen ist auch der immer noch erhebliche Unterschied bei den
Rentenleistungen für die Kindererziehung zu Lasten der Mütter im Osten.
Darüber hinaus dürften viele eine herbe Enttäuschung erleben, da diese
zusätzlichen Rentenleistungen mit der Grundsicherung verrechnet werden.
Die größte Ungerechtigkeit ist jedoch der erneute Griff in die Taschen der
Beitragszahler. Dabei schlagen die Ausgaben für die Mütterrente mit 6,7
Milliarden Euro pro Jahr erheblich zu Buche und werden die Rücklagen der
gesetzlichen Rentenversicherung schnell aufzehren. Gerade bei der
Mütterrente handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Leistung, die
aus Bundessteuern finanziert werden müsste. Die geringe Erhöhung des
Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung nach 2019 kommt viel
zu spät und ist viel zu niedrig.
Insgesamt werden die großen Probleme der gesetzlichen Rentenversicherung in
diesem Rentenpaket überhaupt nicht angepackt: die massiven
Kaufkraftverluste der Rentner, die drohende massenhaft Altersarmut, die
gravierenden Ungerechtigkeiten bei der privaten Altersvorsorge, die Rente
mit 67. Vor allem aber: dass endlich alle Erwerbstätigen in die
Rentenversicherung einzahlen müssen, mithin auch Selbständige, Beamte,
Politiker und die, deren Einkommen oberhalb der Bemessungsgrenzen liegt.
Es rächt sich, dass die SPD in der Großen Koalition vollständig auf ihre
Wahlkampfforderungen verzichtet hat, hohe Einkommen, Vermögen, Erbschaften
und Kapitalerträge stärker zu besteuern.
Denn damit hätten die finanziellen Spielräume für die Zukunftsfähigkeit der
gesetzlichen Rentenversicherung gerade für die jüngeren Generationen
geschaffen werden können.
1 Jun 2014
## AUTOREN
Ursula Engelen-Kefer
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