# taz.de -- Ausstellung über Mafiaorganisationen: Mannheim, Mord und Montechia… | |
> In Mannheim läuft eine beeindruckende Fotoausstellung über italienische | |
> Mafiaorganisationen. Nur eines fehlt: die Spuren der Mafia in Mannheim. | |
Bild: 19. Juli 1992, Tatort des tödlichen Anschlags auf Paolo Borsellino in Pa… | |
„Tat/Ort – (Un)heimliche Spuren der Mafia“ heißt der etwas bemüht | |
wortspielerische Titel einer [1][Ausstellung] großartiger Fotografien von | |
Tommaso Bonaventura und Alessandrio Imbriacco. Die rund 50 Arbeiten in dem | |
gleichzeitig isolationshaftmäßig ausgeleuchtet wie bedrückend tiefgaragig | |
wirkenden Großraum der Mannheimer Galerie Zephyr zeigen teils überaus | |
idyllische italienische Orte, in denen die Mafia Fuß gefasst hat. | |
Die Schau kulminiert in einer Videoprojektion eines Tatorts auf Sizilien. | |
Der Blick des Betrachters wird von einem schwarzen Längsbalken bestimmt, | |
der die beiden großen Projektionsflächen trennt: Diese Perspektive auf die | |
Autobahn A29 in Capaci nahe Palermo teilt man von nun an mit dem Boss der | |
Cosa Nostra, Giovanni Brusca, der am 23. Mai 1992 400 Kilogramm TNT in dem | |
Moment zündete, als die Autokolonne mit Giovanni Falcone vorbeifuhr. | |
Mit dem Untersuchungsrichter, der zur Ikone des Anti-Mafia-Kampfes geworden | |
ist, starben seine Frau und die drei Leibwächter seiner Eskorte. Wer also | |
etwas über die Mafia in Italien sehen will, muss sich beeilen – die | |
Ausstellung samt umfangreichen Begleitprogramm läuft nur noch bis zum 20. | |
Juli. Sie ist das politisch Ernsthafteste und ästhetisch Beeindruckendste, | |
was in Deutschland zu diesem Phänomen seit langer Zeit zu sehen war. | |
Wer allerdings nach Mannheim fährt, um etwas über die Mafia in Deutschland | |
zu erfahren, wird deutlich schlechter bedient. Zumindest dann, wenn man | |
sich von einem Termin bei der Mannheimer Staatsanwaltschaft Aufklärung über | |
die Hintergründe eines mutmaßlichen Mafia-Doppelmords im Stadtteil | |
Kirschgartshausen vom 13. Mai 2013 erhofft. | |
## Route des Todes | |
Nicht dass der Sprecher der Mannheimer Behörde, Andreas Grossmann, 53, | |
unbedingt die Tat/Ort-Ausstellung besuchen müsste – es ist eher so, dass | |
die Zurückhaltung, die eigene Stadt als Tatort in den Blick zu nehmen, | |
merkwürdig anmutet angesichts der legendären „Pista della morte“, der Rou… | |
des Todes, die Mannheim mit einem Ort im Süden Siziliens verbindet: Palma | |
di Montechiaro. | |
Die Geschichte, die man erzählen muss, geht so: Im Zuge der italienischen | |
Einwanderung aus der Gegend um Palma di Montechiaro, insbesondere in den | |
Stadtteil Jungbusch, kam auch die Mafia nach Mannheim – natürlich nicht als | |
Selbstläufer. | |
Ob eine kriminelle Organisation sich entschließt, in einem fremden | |
Territorium aktiv zu werden, hängt nicht zuletzt vom Verfolgungsdruck durch | |
die heimischen Behörden ab. Vor allem aber muss es am Zielort Nachfrage | |
geben für das, was die Mafia anzubieten hat: Abwicklung und Schutz | |
illegaler Geschäfte. | |
Anfang der 1990er war es in Mannheim so weit, dass die Präsenz der Mafia | |
nicht mehr zu übersehen war. Im Spiegel erschienen Reportagen über die | |
süddeutsche Stadt als Rückzugs-, aber eben auch als Operationsgebiet | |
verfeindeter Flügel der Cosa Nostra. | |
Deren Krieg in der sizilianischen Provinz Agrigent kostete über 300 Tote: | |
Mafiosi, Polizisten, Staatsanwälte. Giovanni Falcones Mitstreiter und | |
Freund Paolo Borsellino kam auf seiner letzten Dienstreise im Juli 1992 | |
nach Mannheim, um die deutsche Spur zu verfolgen – wenige Tage danach wurde | |
er in Palermo von der Cosa Nostra ermordet. | |
Auch in Mannheim wurde geschossen, getötet, verhaftet und verurteilt – dann | |
schien der Mafiakrieg auf deutschem Boden plötzlich vorbei. Und der | |
einstmals heruntergekommene Rotlichtbezirk Jungbusch ist heute ein | |
innerstädtischer Hotspot der jungen Kreativen und der Immobilienmakler. | |
In Palma aber wurde es nie wirklich ruhig. Dass zu seiner weiteren Umgebung | |
auch Mannheim gehört, wurde auf spektakuläre Weise am 26. November 2011 | |
klar, als Calogero Burgio, 39, in Palma mit einer Kalaschnikow erschossen | |
wurde. Burgio war aus Deutschland in seinen Geburtsort Palma gekommen, um | |
Arbeiten an seinem dortigen Wohnhaus durchzuführen. | |
## Pate von Mannheim | |
Am 26. Januar 2012 war dann Giuseppe Condello, 41, an der Reihe, dessen | |
verbrannte und von Kugeln durchsiebte Leiche – und die seines Fahrers – | |
unter einer Unterführung nahe Palma gefunden wurden. Giuseppe Condello wird | |
in einem Bericht von [2][wired.it] schlicht als Pate von Mannheim geführt. | |
Die lokale Presse sprach von klaren Mafiataten und von einer Stadt Palma, | |
die sich nach Jahren des mehr recht als schlecht unterdrückten Hasses mit | |
der Realität eines neuen Kriegs konfrontiert sehe. Dann geschahen die Morde | |
im dörflichen Mannheimer Stadtteil [3][Kirschgartshausen] am 13. Mai 2013. | |
Die mutmaßlichen Killer erschossen Rinda T. und den aus Palma stammenden | |
Calogero N. , 45, dessen Vater schon Anfang der 1990er Jahre ein Opfer des | |
Mafiakriegs in Sizilien geworden war. Der Mannheimer Morgen schrieb, das | |
Ehepaar sei „buchstäblich hingerichtet, von Schüssen durchlöchert“ worde… | |
Die Ermordeten wurden in Neustadt a. d. Weinstraße bestattet, dort und im | |
Jungbusch soll Calogero N. Lokale betrieben haben. | |
## Deutsche Ermittler in Palermo | |
Im Sommer zitierte dann die italienische Presse die heimische | |
Staatsanwaltschaft, Ermittler aus Mannheim sowie vom BKA hätten sich auf | |
den Weg in die sizilianische Hauptstadt Palermo gemacht. | |
Thema des Treffens am 26. August 2013 sei ein neuer Mafiakrieg um | |
Einflusszonen in Deutschland – konkret: in Mannheim – gewesen. Angeführt | |
wurden in diesem Zusammenhang unter anderem die Morde an Burgio und | |
Condello, die Hinrichtungen von Kirschgartshausen blieben unerwähnt. | |
Die Mannheimer Staatsanwaltschaft wollte damals auf Anfrage der taz den | |
Besuch in Palermo nicht kommentieren, heute räumt Andreas Grossmann den | |
Zusammenhang mit dem Doppelmord in Deutschland ein. | |
Fragen nach Condello und Burgio sowie einer Reihe weiterer Opfer und Täter, | |
bei denen die Verbindung Mannheim-Palma di Montechiaro ins Auge fällt, | |
bleiben hingegen unbeantwortet. Kommentieren möchte Oberstaatsanwalt | |
Grossmann auch nicht, warum die Polizei keine Fotos der Mordopfer von | |
Kirschgartshausen veröffentlicht hat. | |
## „Vorsicht Mafia“ | |
Der Mannheimer Calogero N. war der Polizei kein Unbekannter. Es ging um | |
Verstöße gegen das Waffengesetz, das Betäubungsmittelgesetz und um | |
Urkundenfälschung. Auf dem Gehöft des Ehepaares stießen die Ermittler auf | |
zusätzliches Beweismaterial. Doch eine heiße Spur gab es nicht. Im | |
September 2013 wurde die 40-köpfige „Soko Kirschgarten“ aufgelöst und in | |
eine 10-köpfige „Ermittlungsgruppe“ umgewandelt. | |
Neue Nahrung bekam der Fall durch die Dokumentation „[4][Vorsicht Mafia“] | |
zur sogenannten Baumafia in NRW, die im April 2014 im deutschen Fernsehen | |
lief. | |
Einer der Macher des Films, Marko Rösseler: „Bei unseren Recherchen | |
stellten wir fest, dass die meisten Italiener, die an solchen Geschäften in | |
Deutschland beteiligt sind, aus einer Region auf Sizilien stammen. Vor | |
einiger Zeit wurden dort zwei Menschen erschossen. Alle, die wir gefragt | |
haben, waren sich einig, dass diese Morde mit Verteilungskämpfen in | |
Deutschland zu tun hatten.“ | |
Die Gegend, von der Rösseler spricht, ist das Örtchen Licata, 20 Kilometer | |
von Palma di Montechiaro entfernt. | |
## Zu viel Kokain | |
In der Doku sagt ein ausgestiegener Killer der Cosa Nostra, dass er den im | |
Januar 2012 in Palma ermordeten Giuseppe Condello aus Sizilien kannte und | |
ihn später in Deutschland wiedergetroffen habe. | |
„Condello war der Boss des Abschnitts (’mandamento‘) Mannheim. Das | |
Todesurteil für ihn wurde von den Bossen der Abschnitte der Provinz | |
Agrigent diskutiert. Keiner wollte eine Entscheidung treffen, aber man war | |
sich einig, dass Condello außer Kontrolle geraten war, er nahm zu viel | |
Kokain, man konnte sich nicht mehr auf ihn verlassen. Und dann hat der Boss | |
der Bosse der Cosa Nostra, Matteo Messina Denaro sich eingeschaltet und | |
gesagt: entweder ihr erledigt das oder ich.“ | |
Matteo Messina Denaro (geb. 1962) ist einer der meistgesuchten Kriminellen | |
weltweit, seit er 1993 untertauchte. Der WAZ-Journalist David Schraven | |
schreibt im Blog „Mafia in Deutschland“, einem Teil des Rechercheprojekts, | |
aus dem auch der Film „Vorsicht Mafia“ entstand, dass nach dem Mord an | |
Condello in seiner Bande „Panik ausgebrochen“ sei. | |
„Weitere Italiener aus Deutschland verschwanden oder wurden spektakulär in | |
Sizilien hingerichtet. Deutsche Fahnder sprechen von einem deutschen | |
Mafiakrieg, der im Ausland geführt wird.“ | |
## Nicht „übervorsichtig“ wegen NSU | |
Nur im Ausland? Das muss man bei Betrachtung der Umstände des Doppelmords | |
von Kirschgartshausen fragen – nur erfährt man nicht, ob die Mannheimer | |
Ermittler dies auch tun. „Übervorsichtig“ wegen der Fehlbewertung beim | |
Terrorismus des NSU, dessen Morde bundesweit im Bereich der organisierten | |
Kriminalität verortet wurden, sei man in Mannheim jedenfalls nicht, sagt | |
Staatsanwalt Andreas Grossmann. „Aus damaliger Sicht“ sei das „naheliegen… | |
gewesen. | |
Und so bleibt, während man in der Galerie Zephyr immer neue Details in den | |
Bildern und im grandios sorgfältigen Begleitheft entdeckt, der Eindruck, | |
man halte es in Mannheim mit einem Nachbarn von Calogero N. und Rinda T., | |
den der Mannheimer Morgen in seinem Artikel zum Jahrestag des Verbrechens | |
zitiert: „Direkt danach hatten wir Angst. Wir dachten, da geht einer um und | |
nietet wahllos alles um. Aber als es dann hieß, dass die Tat einen | |
Mafia-Hintergrund hat, da war das für uns abgehakt.“ | |
4 Jun 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://zephyr-mannheim.com/tat-ort/ | |
[2] http://www.wired.it/economia/business/2014/04/12/mafia-germania/ | |
[3] http://www.morgenweb.de/mannheim/mannheim-stadt/doppelmord | |
[4] http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/wd… | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
## TAGS | |
Mannheim | |
Mafia | |
Cosa Nostra | |
Nationalsozialistischer Untergrund | |
Mord | |
Mafia | |
Mafia | |
Nachtleben | |
Mafia | |
Papst Franziskus | |
Mafia | |
Mafia | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Mafiamorde und Hintermänner: Moralische Zweifel | |
Nach 25 Jahren wurde der vielfache Mörder Giovanni Brusca aus der Haft | |
entlassen. Der Killer der Cosa Nostra profitiert von der | |
Kronzeugenregelung. | |
Die Ausstellung „Continente Sicilia“: Versteinerte Gesichter | |
Der Fotograf Franco Zecchin war Zeuge des Mafiakrieges. Seine Ausstellung | |
in Palermo konfrontiert die Stadt mit ihren bleiernen Jahren. | |
Nachtbürgermeister über seinen Job: „Ich bin kein Nachtwächter“ | |
Er ist Deutschlands erster Nachtbürgermeister. Hendrik Meier über das, was | |
ihn und seine Stadt Mannheim nun alles so erwartet. | |
Mafia-Thriller von Petra Reski: Scheitern als Struktur | |
Die Journalistin Petra Reski hat einen packenden Thriller geschrieben. Er | |
spielt vor dem realen Hintergrund der italienischen Politik. | |
Kirche in Italien: Papst exkommuniziert Mafia | |
Die, die „den Weg des Übels gewählt“ hätten, seien nicht Teil der Kirche: | |
Erstaunlich scharf verurteilt Papst Franziskus Mafia-Mitglieder und besucht | |
ein Gefängnis. | |
Kolumne Blicke: Der Kirschgartshausen-Alert | |
Im deutschen Fernsehen lief am Montag ein halbwegs ernsthafter Film über | |
die Mafia. Ernsthaft diskutieren wollte man aber dann doch lieber nicht. | |
Kalabrische Mafia-Folklore: Ein Mann, seine Ehre und ein Kampf | |
Produziert Francesco Sbano „Mafiamusik“ oder kalabresische Folklore? Der | |
Streit droht jetzt zu eskalieren, der Musiker soll Drohungen ausgesprochen | |
haben. | |
Italienischer Sozialarbeiter über die Mafia: „Weniger Tote, größere Gefahr… | |
Seit zwei Jahren klärt ein Museum in Kalabrien über die Mafia auf. Haben | |
die Bosse Angst vor Zivilcourage? Der Museumschef über die Morde von | |
Duisburg im Jahr 2007. | |
Mafia-Jäger Cortese über die Ndrangheta: "Hier gibt es schlafende Kamikaze" | |
Renato Cortese lobt die Kooperation mit den deutschen Behörden nach dem | |
Duisburg-Massaker 2007. Er sagt aber: "Die Deutschen müssen verstehen, was | |
illegales Geld bedeutet." | |
Kokain-Container am Mittelmeer: Die Kathedrale der Mafia | |
Gioia Tauro ist der größte Containerhafen am Mittelmeer - und wird | |
kontrolliert von der Mafia. Mit den Containern kommt die weiße und heiße | |
Ware: das Kokain. | |
Ndrangheta-Museum in Kalabrien: Im Haus der Mafia | |
Im kalabrischen Reggio wurde die Villa eines verhafteten Mafiabosses zum | |
Museum, das Geschichte und Leben der Ndrangheta schildert. Seine Familie | |
wohnt direkt nebenan. |