Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ndrangheta-Museum in Kalabrien: Im Haus der Mafia
> Im kalabrischen Reggio wurde die Villa eines verhafteten Mafiabosses zum
> Museum, das Geschichte und Leben der Ndrangheta schildert. Seine Familie
> wohnt direkt nebenan.
Bild: Das "Museo della ndrangheta" zeigt Fotos über das Leben der Ndrangheta.
REGGIO taz | Wir saßen vor dem Café del Dottore im sizilianischen Catania,
tranken frisch gezapftes Pilsner Urquell. Und fühlten uns überhaupt ganz
wie zu Hause. Carmelo, der junge Wirt, den man, so wie er aussah, auch in
Berlin-Prenzlauer Berg hätte treffen können, setzte sich zu uns, und wir
erzählten ihm von unseren Eindrücken auf dem nahen Kontinent, in Kalabrien,
in Reggio.
Carmelo mochte uns nicht zustimmen. Reggio sei nicht Gotham City – es sei
vielmehr, mit seinen die Berghänge hochwuchernden Favelas, ein Wiedergänger
Rio de Janeiros. Bei den Menschen jedoch waren wir uns einig: Konnte
irgendwer herzlicher, gastfreundlicher und großzügiger sein als die
Kalabresen? Es war neun Uhr abends, zu früh zum Essen, und wir bestellten
noch ein zweites Bier.
Mit Claudio La Camera, dem Projekleiter des "Museo della ndrangheta" –
einem Museum über die kalabresische Mafia – sind wir an der
Autobahnausfahrt Reggio/Flughafen verabredet. Wir sind von Catania mit
Mietwagen und Fähre gekommen, in Villa San Giovanni auf die finstere
Stadtautobahn gefahren. Ringsherum stehen Häuser so verquer, dass wir uns
fragen: Hat die einfach irgendjemand abgeworfen?
Es ist eben auf diesen zwanzig Minuten Fahrt, dass wir die Stadt auf den
Begriff Gotham City bringen, aber auch darüber nachdenken, ob diese lieblos
aufgestockten Betonwohnmaschinen nicht vor allem eine Geschichte erzählen:
die des im Süden, speziell in Kalabrien, historisch verwurzelten
Selbsthasses.
Der in Reggio tätige Staatsanwalt Nicola Gratteri zitiert in seinem Buch
"La malapianta" das abgehörte Gespräch zweier Ndranghetisti. Die beiden
reden über das Versenken von Schiffen voller Giftmüll nahe der Küste, und
der eine Mafiosi fragt dann doch: "Und das Meer – was wird aus dem Meer?",
welches das Meer vor seiner Haustür ist, und der Kollege antwortet: "Weißt
du, was das Meer uns kann? Denk an das Geld, damit suchen wir uns ein
anderes Meer!" Abstrakter formuliert: Die Ndrangheta unterscheidet sich von
der sizilianischen Cosa Nostra nicht zuletzt dadurch, dass sie von den 40
Milliarden Euro, die sie nach Schätzungen jährlich umsetzt, nichts Schönes
für ihre Heimat übrighat.
Wir sind an den Rand Europas gekommen, weil sich seit dem Welterfolg von
"Gomorrha", Roberto Savianos Buch gegen die Camorra, eine neue Strategie im
Kampf gegen die Mafien zu etablieren beginnt: das gute alte offene Wort –
und zwar sowohl das von Individuen vor Ort mutig ausgesprochene als auch
die Vervielfältigung dieses Wortes jenseits der Regionalmedien.
Die Idee ist, dass die Mafia niemanden umbringt, dessen Tod mehr Schaden
anrichtet, als er Nutzen bringt. Dass allerdings, wer auf Publicity als
Lebensversicherung setzt, gerade in Italien schnell und durchaus auch von
interessierter Seite zum mediengeilen Wichtigtuer erklärt werden kann –
damit, erzählt uns Claudio später, könne er sehr gut leben. Hauptsache,
denken wir in das beredte Schweigen, er lebt überhaupt.
Die Innenstadt von Reggio liegt in einer schmalen Küstenebene, am Rand des
die italienische Stiefelspitze beherrschenden "rauen Berges", des
Aspromonte. Claudios rotem Alfa folgend schrauben wir uns in die Höhe, auf
der anderen Seite des "Stretto", der Meerenge zwischen dem Kontinent und
Sizilien, leuchtet schneeweiß der Ätna, blinken die Lichter Messinas.
Später wird uns ein junger Mann aus Croce Valanidi berichten, dass er nie
rüberfahre, das nur drei Kilometer entfernte Sizilien sei eine andere Welt.
In seiner Welt hier gibt es keine Arbeit für ihn, seinen letzten Job bei
einer Tankstelle hat er aufgegeben, entnervt von den kriminellen Chefs, den
600 € Monatslohn schwarz auf die Hand, den andauernden Durchsuchungen
seitens der Carabinieri.
Und dann sind wir da, auf einer Art Hochplateau biegt eine kleine Straße
nach links, sogar ein Schild ist da: "Museo della ndrangheta"; und stehen
vor etwas, das sich deswegen so schwer beschreiben lässt, weil man es schon
kennt: Dies sieht ganz klar aus wie die Villa des amerikanischen Mafiachefs
Anthony Soprano aus der gleichnamigen Kultserie. Ein geschmackloser Kasten
aus Baumarktversatzstücken, ein Wachturm, strategisch so platziert, dass
ganz Reggio offen daliegt. Die Villa eines Ndrangheta-Bosses, der die
nächsten Jahrzehnte im Gefängnis verbringen wird, wurde konfisziert und dem
Museum als Sitz übergeben.
Im Haus selbst erwarten uns Menschen, in die man nach einer Viertelstunde
verliebt ist. Man merkt sehr bald, dass es hier niemandem darum geht, sich
aufzuspielen. Sondern dass es eine Frage der Würde ist, ob man es sich von
der eigenen Angst verbieten lässt, jeden Tag unter den Augen der Familie
des Bosses, die direkt nebenan in einem Wohnblock lebt, ein eingezäuntes,
videoüberwachtes und von einem erstaunlich lieben Kettenhund angebelltes
Demokratiezentrum zu betreten – das Haus, wo der Clan eigentlich seine
Familienfeste begehen wollte.
Claudio führt uns herum. In der Küche öffnet er die Falltür, die in den
"Bunker" führt, wo neben Würsten und Eingemachtem auch der Boss
Unterschlupf hätte finden sollen – separater Ausgang, um sich in die Büsche
zu schlagen, inklusive. Die Räume sind leer, die Ausstellung besteht
derzeit im Wesentlichen aus großen Fototafeln, die Habitus, Struktur und
Geschichte der Ndrangheta bebildern.
In den nächsten Tagen wird das multimediale Equipment erwartet, die Gelder
fließen unregelmäßig. Und während wir uns überlegen, ob der Marmorfußboden
oder der Whirlpool geeignete Fotomotive sind, steht plötzlich ein alter
Mann mit einer langnasigen Commedia-dellArte-Theatermaske in der Ecke –
oder war er schon die ganze Zeit da? Und dann nähert sich die unheimliche
Gestalt, auf einen Stock gestützt, und murmelt kopfwackelnd: "Es geht mir
gut, es geht mir sehr gut." Mehr wolle er nicht, er müsse nicht da raus,
natürlich, er dürfe auch nicht und seine Kinder wollten ihn sowieso nicht
mehr sehen, aber er sei zufrieden, als Hausmeister.
Es ist die Inszenierung, die auch die Jugendgruppen erwartet, die
hierherkommen; eine Performance durch eine Theaterfigur, den Kronzeugen,
den "pentito", der unter Hausarrest stehend durch die ehemalige Zentrale
seiner Familie führt und sich ein erbärmliches Leben zurechtlügt. Für die
allermeisten Mafiosi endet die Karriere nämlich mitnichten in einer Villa
mit Panoramablick, sondern im Gefängnis oder im Leichenschauhaus: Mafioso
sein, verstehen wir, ist ein kurzer Thrill mit einem langen, deprimierenden
Ausklang.
Das wissen auch die Jugendlichen aus Croce Valanidi, die sich im Museum
engagieren. Denn seit sie das tun, lässt sie der Gemeindepfarrer Don
Antonino Vinci nicht mehr in die Kirche. Der Pressesprecher des Bischofs
von Reggio, Don Antonio Denisi, der dem Museum wohlwollend gegenübersteht
und sich deswegen zum Interview eingefunden hat, sagt, er sei zu alt, um
den Mitbruder müsse sich sein Nachfolger kümmern.
Nicola Gratteri, der ebenfalls gekommen ist, mit ihm die drei grimmigen
Leibwächter seiner Eskorte, sagt, dass er sich normalerweise an sogenannten
zivilgesellschaftlichen Anti-Mafia-Aktivitäten nicht mehr beteilige, weil
dabei nichts rauskomme außer Geschwätz und leeren Proseccogläsern: Hier
aber, beim Museum, hätten sich die Wichtigtuer bald verabschiedet, übrig
geblieben seien die Guten.
Gratteri ist ein harter, kleiner Mann, er lebt seit zwanzig Jahren unter
Polizeischutz. Er ist ein Mann des Staates; und was wir in den 36 Stunden,
die wir in Reggio sind, begreifen werden, ist dies: Der Kampf gegen die
Mafien ist nicht links und nicht rechts. Es geht darum, Individuen zu
finden, die nicht aufgeben wollen, was den Menschen ausmacht. Claudio sagt
abends beim Essen, es gebe ja diesen Satz, dass man die Leute verstehen
müsse, die aus Angst im Schweigen und in der Unterwerfung verharrten. Er,
sagt er nach einem Schluck Wein, verstehe sie nicht.
Später im Café del Dottore bekommen wir kein drittes Bier mehr. Es sei 22
Uhr, und so spät kämen möglicherweise unangenehme Leute, sagt Carmelo.
Unangenehm? Und da wirkt er auf einmal so alt wie der ja an sich sehr
sympathische Pressesprecher des Bischofs von Reggio und wackelt mit dem
Kopf wie der Darsteller des "pentito" im Museum. Er sieht nicht gut aus
dabei – jedenfalls viel schlechter als die unhippen, lustigen Leute, die
auf der anderen Seite der Meerenge beschlossen haben, sich nicht mehr zu
fügen; und die darauf setzen, dass Europa sie nicht vergisst.
14 May 2010
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Mafia
Mannheim
## ARTIKEL ZUM THEMA
Politiker über die italienische Mafia: „Das Spektakel muss aufhören“
Francesco Forgione über korrupte italienische Eliten, Kampagnen gegen die
Anti-Mafia-Bewegung und die Nachwehen des Berlusconismus.
Ausstellung über Mafiaorganisationen: Mannheim, Mord und Montechiaro
In Mannheim läuft eine beeindruckende Fotoausstellung über italienische
Mafiaorganisationen. Nur eines fehlt: die Spuren der Mafia in Mannheim.
Debatte neutrales Netz: Die Internet-Mafia
In den USA wird seit drei Jahren über eine Maut für Datenübertragung im
Internet diskutiert. Jetzt auch hier. Ist das das Ende der
Gleichberechtigung im Netz?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.