Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte neutrales Netz: Die Internet-Mafia
> In den USA wird seit drei Jahren über eine Maut für Datenübertragung im
> Internet diskutiert. Jetzt auch hier. Ist das das Ende der
> Gleichberechtigung im Netz?
Bild: Wie schnell ist das Netz und vor allem für wen? Die Diskussion um ein ne…
BERLIN taz | Vor Gott, dem Gesetz und im Internet sollten alle gleich sein.
Doch Telekommunikationskonzerne aus Europa und den USA wollen zumindest den
letzten Grundsatz aufheben und ein Zweiklasseninternet einführen. Die
Zahlungsbereitschaft der Kunden wird dabei zum maßgeblichen Kriterium. Wer
mehr zahlt, dessen Daten werden bevorzugt transportiert. Wer die
Zusatzgebühren verweigert, der wird langsamer bedient oder muss ganz
draußen bleiben.
Mit den neuen selbst erklärten Herrschern der Netze steht das Internet vor
einem radikalen Paradigmenwechsel: Die Datenleitungen der Zukunft sollen
sich in einen Marktplatz verwandeln, dessen ökonomische Spielregeln die
Netzbetreiber festlegen. So könnte sich im Internet die Geschichte des
Rundfunks wiederholen: Was einst als Kommunikationsmittel konzipiert wurde,
verwandelt sich unter dem Druck der Industrie in ein Vertriebsmedium für
flüchtige Waren.
"Am Ende könnte das Netz zu einem zweiten Kabelfernsehen werden", sagt der
US-Jurist Marvin Ammori. "Die Netzbetreiber stehen dann als Makler zwischen
Anbietern und Kunden und entscheiden allein darüber, wer zu welchem Preis
Zugang zum Internet bekommt." Der 33-jährige Juraprofessor von der
University of Nebraska-Lincoln sieht das Internet im Kern bedroht, sollten
die Netzprovider ihre Pläne umsetzen. Ammori war Redner auf Deutschlands
größter Internet-Konferenz re:publica, die am Freitag in Berlin zu Ende
ging. Zu dem Treffen kamen mehr als 2.500 Blogger, Netzaktivisten, Experten
und Bürgerrechtler aus der ganzen Welt. Dem Konflikt um den Tabubruch der
Netzbetreiber wurde dort eine eigene Subkonferenz gewidmet.
Ammori zählt in den USA zu den wichtigsten Köpfen im Kampf für den freien
Fluss der Daten. Seit drei Jahren klagt der Anwalt im Namen der
Bürgerrechtsorganisation Free Press gegen den US-Kabelnetzbetreiber
Comcast. Der Konzern wurde dabei ertappt, als er routinemäßig die
Internetgeschwindigkeit von denjenigen Kunden drosselte, die die
Tauschbörse Bittorrent nutzen. Im August 2008 zwang die
US-Telekommunikationsbehörde FCC Comcast, diese Praxis zu beenden.
Nun geht das Verfahren aber in eine neue Runde, nachdem ein Gericht die
Weisung der FCC Anfang dieses Monats aufgehoben hat. Das Gericht erklärte
die FCC-Entscheidung aber nicht für falsch, sondern die Behörde nur für
nicht zuständig.
Unabhängig von dem Rechtsstreit wird nun auch in Europa Wirklichkeit, was
Netzriesen wie AT&T und Comcast in den USA schon seit Jahren einfordern:
das Ende der Gleichbehandlung im Netz.
In Spanien müssen mobile Internetkunden von Vodafone bereits einen Aufpreis
bezahlen, wenn sie bei einer Überlastung des Netzes bevorzugten Service
genießen wollen. In Holland drosselt der Netzbetreiber UPC die
Netzgeschwindigkeit seiner Kunden auf ein Drittel, wenn sie keine
Expressgebühr entrichten. In Deutschland verlangen T-Mobile und Vodafone
saftige Zuschläge von Kunden, die den Internet-Telefoniedienst Skype nutzen
- angeblich, weil Skype das Mobilfunknetz verstopfe.
Am langsamen Datenfluss sind aber nicht immer überlastete Leitungen schuld.
Die Netzprovider wollen aus dem Stau ein Geschäftsmodell entwickeln, indem
sie jedes Datenpaket gezielt auf seinen Inhalt untersuchen und nach
Gutdünken ausbremsen, wenn kein Expresszuschlag gezahlt wurde.
Anfang Februar ging der spanische Telefonkonzern Telefónica noch einen
Schritt weiter. In Zukunft sollten nicht nur Konsumenten, sondern auch
Anbieter Aufschläge zahlen. Zunächst wolle man Suchmaschinenbetreiber für
die Nutzung des Netzes zur Kasse bitten, erklärte Telefónica.
Im März folgte die Deutsche Telekom. Konzernchef René Obermann gab bekannt,
auch sein Unternehmen werde Extragebühren von Anbietern datenintensiver
Internetinhalte verlangen.
"Wenn ich Pech habe, kann ich dann die BBC nicht mehr aufrufen, weil sie
keinen Vertrag mit meinem Provider hat", kritisierte das Constanze Kurz vom
Chaos Computer Club auf der re:publica. Konferenzredner Tim Wu,
Juraprofessor an der Columbia Law School, vergleicht es mit
Schutzgelderpressung, wenn die Besitzer der Datenleitungen von
Internetanbietern eine Zusatzgebühr verlangen, damit sie ihre Kunden
erreichen können. In Anlehnung an die Mafia-TV-Serie spricht Wu vom
"Tony-Soprano-Geschäftsmodell".
Doch die Netzbetreiber scheinen fest entschlossen. Sie wollen nicht mehr
die Wasserträger der Internetrevolution sein und wollen mehr an den
Milliardengewinnen teilhaben, die Konzerne wie Google, Amazon, Ebay und
Microsoft in ihren Netzen verdienen.
Der Erfinder des World Wide Web hatte sich das allerdings anders
vorgestellt. Als der britische Informatiker Tim Berners-Lee vor 20 Jahren
das Web erfand, schwebte ihm ein dezentrales Netz vor, in dem jeder
gleichberechtigt Daten senden und empfangen kann.
Tim Berners-Lee konzipierte das Web so, dass alle Daten unabhängig von
ihrem Inhalt und ihrer Herkunft mit der gleichen Geschwindigkeit durchs
Netz geschickt werden - egal ob E-Mail, Video oder Suchanfrage, mobil oder
im Festnetz. Berners-Lees offene Netzarchitektur garantierte eine
demokratische Grundstruktur des World Wide Web und beflügelte dessen
ökonomisches Wachstum.
Heute kann jedes kleine Start-up wie einst Facebook oder Twitter zu
geringen Kosten Anwendungen ins Netz stellen, ohne jemanden um Erlaubnis
fragen zu müssen. Junge innovative Firmen dürften es allerdings schwerer
haben, wenn sie in Zukunft die Netzbetreiber als Türsteher überwinden
müssen. "Wenn Netzbetreiber zum Torwächter des Internets werden, gefährden
sie die Grundrechte auf Information und freie Meinungsäußerung, die
ökonomische Innovation und letztlich die Demokratie", sagte Tim Berners-Lee
in der New York Times.
Dabei gibt es durchaus einleuchtende Gründe, Daten nach Wichtigkeit
zuzustellen. Nicht jede Information hat es gleich eilig. Videodaten müssen
schneller fließen als eine E-Mail, sonst ruckelt das Bild. Zudem ist der
Hunger nach Bandbreite unersättlich. Jahr um Jahr verdoppeln sich die
Datenströme, die durch ihre Leitungen fließen.
Den teuren Ausbau der Datenleitungen finanzieren überwiegend die
Netzprovider. "Bis 2013 wird sich das Volumen im Festnetz verfünffachen, im
Mobilfunk sogar um den Faktor 60 zunehmen", sagt ein Telekom-Sprecher.
Dafür müsse die Netzinfrastruktur immer schneller ausgebaut werden. Der
nötige Ausbau sei aber nicht allein aus den Einnahmen von Endkunden
finanzierbar.
Kritiker halten auf der re:publica dagegen: "Langfristig ist es für die
Netzbetreiber ökonomischer, die Übertragungskapazitäten auszubauen, als mit
viel Aufwand den Mangel zu managen", sagt Marvin Ammori. "Es gibt für die
Netzbetreiber einen systematischen Anreiz, weniger als nötig in den
Netzausbau zu investieren", erklärt Jérémie Zimmermann von der
französischen Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net auf der
re:publica. Denn so erzeugen die Netzprovider künstlich Knappheit, mit der
sie höhere Preise durchsetzen können. "Wenn das Netz verstopft ist, können
Netzbetreiber mehr Geld für den Expresstransport von Daten verlangen", sagt
Zimmermann.
Zudem übersehen die Netzbetreiber gern, dass die Infrastruktur des Netzes
über Jahrzehnte aus öffentlichen Mitteln bezahlt wurde und auch in Zukunft
Staaten den Ausbau massiv fördern werden. Die Bundesregierung will bis zum
Jahr 2018 erreichen, dass es in Deutschland auch im kleinsten Dorf
Internetanschlüsse mit einer Geschwindigkeit von mindestens 50 Megabit pro
Sekunde gibt. Auch wenn die Netzbetreiber den Löwenanteil der auf 50
Milliarden Euro geschätzten Investitionskosten tragen sollen, wird das
Erreichen dieses Ziels auch mithilfe öffentlicher Gelder gefördert werden.
Die Netzneutralität soll dabei in jedem Fall gewahrt bleiben, so hat es
Schwarz-Gelb zumindest im Koalitionsvertrag festgelegt.
Allem Anschein nach sieht die Europäische Union das ähnlich. In ihrem
jüngsten Telekommunikationspaket wird Netzneutralität als politisches Ziel
formuliert. Rechtlich ist die Formulierung aber nicht bindend. Es soll den
Netzwerkbetreibern jedoch vorgeschrieben werden, dass sie ihre Kunden
darüber informieren müssen, wenn sie die Netzneutralität einschränken.
Gleichzeitig ist in dem Gesetzestext die Handschrift der
Industrielobbyisten unübersehbar. Das Telekom-Paket schafft etwa die
Grundlage dafür, um Nutzern gezielt das Internet abzuschalten, die mehrfach
gegen das Urheberrecht verstoßen.
Marvin Ammori ist sich sicher, dass ihn die Netzneutralität noch lange
beschäftigen wird: "Die Netzbetreiber werden den Kampf um die Kontrolle der
Netze niemals aufgeben", sagt der Jurist. Er gibt sich fest entschlossen,
den Kampf anzunehmen: "Das Internet ist eine zentrale ökonomische
Infrastruktur des 21. Jahrhunderts, die nicht der Willkür weniger Konzernen
ausgeliefert sein darf", sagt er.
***
Dieser Text ist für Sie kostenlos verfügbar. Dennoch wurde er nicht ohne
Kosten hergestellt! Wenn Ihnen der Text gefallen hat, würden wir uns
freuen, wenn Sie der taz dafür einen kleinen Betrag bezahlen. Das können
wenige Cent sein - wir überlassen es Ihnen.
Für unabhängigen Journalismus: taz-Konto 39316106 | BLZ: 10010010 |
Postbank Berlin - Verwendungszweck "taz.de".
21 Apr 2010
## AUTOREN
Tarik Ahmia
## TAGS
Netzneutralität
## ARTIKEL ZUM THEMA
Comcast schluckt Time Warner Cable: „Wie der Tyrann auf dem Schulhof“
Die beiden großen US-Kabelfernsehbetreiber planen ihre Fusion. Politiker
und Verbraucherschützer warnen: Der Deal sei demokratiegefährdend und
kundenfeindlich.
Netzneutralität wird verhandelt: Google gegen die Freiheit im Netz
Zum Thema offenes Internet veröffentlicht Google ein Manifest –
ausgerechnet zusammen mit dem größten US-Telekom-Konzern Verizon. Das
verheißt nichts Gutes.
Ndrangheta-Museum in Kalabrien: Im Haus der Mafia
Im kalabrischen Reggio wurde die Villa eines verhafteten Mafiabosses zum
Museum, das Geschichte und Leben der Ndrangheta schildert. Seine Familie
wohnt direkt nebenan.
Kommentar Netzneutralität: Die Türsteher des World Wide Web
Telekommunikationskonzerne wollen eine Maut für Daten einführen. Für die
Netzwelt bedeutet das ein Zweiklasseninternet. Damit verliert das Netz
seinen Sinn.
Netzneutralität in den USA: Google will keine Beschränkungen
Auch in den USA wird um Netzneutralität gestritten. Verfechter der Freiheit
ist ausgerechnet Google. Mit einem Breitbandprojekt will die Firma
beweisen, das Hochgeschwindigkeitsstrecken profitabel sind.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.