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# taz.de -- Kalabrische Mafia-Folklore: Ein Mann, seine Ehre und ein Kampf
> Produziert Francesco Sbano „Mafiamusik“ oder kalabresische Folklore? Der
> Streit droht jetzt zu eskalieren, der Musiker soll Drohungen
> ausgesprochen haben.
Bild: Anti-Mafia-Protest in Kalabrien.
Wenn der groß gewachsene, mit Sonnenbrille versehene Francesco Sbano sich
in einem schwarzen Anzug, der ganz bestimmt nicht von der Stange kommt,
einem Pizzeria-Tisch in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs nähert – dann
sieht er genau so aus, wie man sich in Deutschland einen Mafioso vorstellt.
Aber aller Wahrscheinlichkeit nach ist Francesco Sbano kein Mitglied einer
italienischen Mafia, genauer gesagt der im süditalienischen Kalabrien
verwurzelten ’Ndrangheta: Sbano fotografiert nur ihre Killer, er produziert
ihre Musik und er schreibt Bücher über ihre Bosse. Und wer daran
irgendetwas auszusetzen hat, der bekommt es mit einem Francesco Sbano zu
tun, der sich gar nicht mehr so gut benimmt wie an diesem Tag mit
hanseatischem Schmuddelwetter – sagen jedenfalls die, mit denen Francesco
Sbano spätestens seit Sommer dieses Jahres einigen Ärger hat.
Seit dem Jahr 2000 hat der 49-jährige, aus Kalabrien stammende und seit
langem in der Hansestadt lebende Sbano drei CDs mit sogenannter Mafiamusik
herausgebracht und Konzerte veranstaltet. Im Booklet der ersten CD „La
Musica della Mafia – Il Canto di Malavita“ (Der Gesang der Unterwelt) heißt
es, man präsentiere hier „die echte Musik Kalabriens“.
In Kalabrien selbst sah man das schon immer anders, etwa in Reggio im
„Museum der ’Ndrangheta“, einem in der Villa eines verhafteten Bosses
beheimateten Anti-Mafia-Dokumentationszentrum (siehe taz vom 11. 3. 2010):
Die Lieder von Sbanos CDs, heißt es dort, stellten den Versuch der
’Ndrangheta dar, ihre menschenverachtenden Werte zu feiern und ihre Gegner
in Staat und Zivilgesellschaft einzuschüchtern.
Das „Museum der ’Ndrangheta“ stützte sich dabei auf die Analyse der
kalabresischen Autorin Francesca Viscone, die diese in einem Buch und in
zahlreichen, auch auf Deutsch erschienenen Artikeln verbreitet hat. Das ist
der Kern eines nunmehr seit 12 Jahren andauernden Konflikts um Francesco
Sbanos Mafia-CDs – der bislang relativ zivil ausgetragen wurde.
## Keine Gnade für Verräter
Am 28. Mai dieses Jahres jedoch soll Francesco Sbano das „Museum der
Ndrangheta“ in Reggio betreten und Informationen über die Nutzung von
Material verlangt haben, für das er Copyright-Ansprüche erhebt. Bei dem
Material handelt es sich um musikalische und Text-Auszüge seiner CDs. In
der Tat verwendet das Museum für seine didaktische Arbeit in Schulen die
über Youtube verfügbaren Musik-Titel „Nun c’ è pirdunu“ (Keine Gnade f…
Verräter) und „Omertà“ (Verschwiegenheit). Zudem hat es mit Schülern eine
DVD produziert, in der das Material benutzt wird.
Ob hier eine Verletzung des Copyrights Sbanos vorliegt, hätte ein Gericht
zu klären. Dazu müsste Francesco Sbano Anzeige gegen das Museum erstatten –
was er nicht getan hat. Folgt man der Schilderung des Vorfalls, die das
Museum bei der Staatsanwaltschaft in Reggio zur Prüfung hinterlegt hat,
dann geht es inzwischen aber gar nicht mehr ums Copyright.
„Seid ihr einverstanden mit dieser Nutte Viscone? Diese Nutte! Ihr schadet
uns gewaltig damit! In Deutschland und in der ganzen Welt werden unsere
Konzerte [mit Mafiamusik] beklatscht, wir spielen auf den größten Bühnen.
Ich mache euch fertig, euch und diese Nutte!“ So wird Sbano vom Museum
zitiert.
Die Staatsanwaltschaft Reggio wird aufgefordert, zu prüfen, ob Sbanos
Äußerungen und „aggressives Verhalten“ strafbare Handlungen darstellten.
Zudem wird gebeten, Maßnahmen zum Schutz des Museums und seiner Mitarbeiter
in die Wege zu leiten, die eine Wiederholung ausschlössen. Auch Francesca
Viscone hat Anzeige gegen Francesco Sbano erstattet.
## La Musica della Mafia
Angesichts solcher Vorwürfe mag man es verstehen, dass man sich mit
Francesco Sbano zwar drei Stunden lang interessant und angeregt über
Italien, Deutschland und die ’Ndrangheta unterhalten kann, dass er aber bei
seiner Stellungnahme zu den Vorgängen vom 28. Mai lieber auf Nummer sicher
gehen will und sich nachträglich schriftlich so äußert: „Ich hatte
erfahren, dass dort [im Museo della ’Ndrangheta] ohne meine Einwilligung
öffentlich Lieder meiner CD ’La Musica della Mafia‘ gespielt werden.
Da ich als Künstler von dem Verkauf meiner Produkte lebe, vereinbarte ich
einen Termin. Das Gespräch dort entwickelte sich insofern unerfreulich, als
mir gesagt wurde, man werde auch weiterhin meine Musik spielen, ohne auf
die Urheberrechte Rücksicht zu nehmen. Daraufhin habe ich rechtliche
Schritte angedroht. Berichte, ich hätte jemanden beleidigt oder bedroht,
sind gelogen.“
Zur Frage, ob er juristische Konsequenzen gezogen habe, schreibt Francesco
Sbano: „Ich muss mich derzeit gegen einen Artikel im Internet wehren, in
dem behauptet wird, ich hätte Mitarbeiter des Museo della ’Ndrangheta
beleidigt und bedroht. Das verletzt meine Integrität zutiefst. Ich habe
deshalb juristische Schritte gegen die Autoren und Betreiber der Seite
eingeleitet, in Deutschland und in Italien.“
Falls Sbano damit den Artikel „Solidarität mit Francesca Viscone“ meint,
den die Journalistin Petra Reski für ihren Blog übersetzt hat und der dort
weiterhin abgerufen werden kann ([1][www.petrareski.com]), waren seine
juristischen Schritte erfolglos. Auch italienischsprachige Artikel zu der
Causa sind im Netz zu lesen. Reski und Viscone sagen: Ihnen sei bis heute
von juristischen Schritten gegen sie oder irgendeinen presserechtlich
Verantwortlichen nichts bekannt, auch nicht im Fall von Viscones Buch.
## Anti-Mafia Wanderzirkus
Francesco Sbano, so stellt es sich dar, wird entweder von der italienischen
und der deutschen Justiz nicht ernst genommen. Oder er spricht gerne leere
Drohungen aus. Aber warum? Hält Francesco Sbano wie Andreas Ulrich vom
Spiegel, mit dem Sbano als Fotograf zusammenarbeitet, all jene, die über
seine Arbeit debattieren wollen, für einen Teil eines wichtigtuerischen
„Anti-Mafia-Wanderzirkus“? So schreibt es Ulrich im Vorwort zu Francesco
Sbanos Buch „Die Ehre des Schweigens – Ein Mafiaboss packt aus“, einem
Werk, das einen bemerkenswerten logischen Widerspruch im Titel trägt.
Die naheliegendste Vermutung ist, dass Francesco Sbano für sich ein
lukratives Geschäftsfeld entdeckt hat und dabei auf Fragen des Geschmacks
und vor allem auf die vor Ort durch das organisierte Verbrechen konkret
bedrohten Menschen keine Rücksicht zu nehmen gewillt ist. Warum auch:
Mafiagrusel ist angesagt in Deutschland – trotz der Morde von Duisburg
2007, die Staat und Gesellschaft angeblich aufgeschreckt oder zumindest
darüber aufgeklärt hätten, dass die ’Ndrangheta keine Vereinigung von
Schrottflintenträgern in den wilden Bergen Süditaliens ist, sondern eine in
Deutschland fest verwurzelte Vereinigung des organisierten Verbrechens.
## Von Kugeln durchsiebt
In einem Lied aus einer der von Sbano produzierten CDs heißt es zur
Ermordung des Polizeigenerals Carlo Alberto Dalla Chiesa 1982 in Palermo
durch die Mafia: „Der General Dalla Chiesa forschte /Nach Fakten, die ihm
niemand erklären konnte / […] Aber Palermo ist eine geheimnisvolle Stadt /
[…] Die Mafia ist kriminelles Gesetz / Sie lässt dich in Ruhe, wenn sie es
will / Aber wenn du hier herumstocherst / Dann beginnt sie zu agieren / […]
Von Kugeln durchsiebt wurde der General / […]
Es ist die Mafia, die hier schon immer kommandiert / und nur sie kann
vorwärtsgehen.“ Das ist keine Folklore oder ironisch-gebrochene
Gangstermusik, sondern Verhöhnung humanistischer Werte, propagandistischer
Ausdruck von Verrohung und Bedrohung.
In Italien findet so etwas – außer der Mafia selbst und der sie tragenden
„Grauzone“ aus Politik, Wirtschaft und Medien – denn auch niemand
faszinierend. Deswegen wohl spielt Sbano in seinem Heimatland als
Mafia-Experte keine Rolle. Sein Buch hat keinen italienischen Verlag
gefunden. Seine Fotos für den Spiegel, auf denen die ’Ndrangheta-Killer
sich wie Freiheitskämpfer präsentieren dürfen, werden nicht nachgedruckt.
Francesco Sbano hat auf alle Vorwürfe eine Antwort oder ein Schweigen. Und
wenn man ihn darauf anspricht, ob er mit einem Mafia-Image spiele, dann
lächelt er nur süffisant. Ob das auf Dauer helfen wird gegen die Angst, zu
weit gegangen zu sein?
## Drei CDs hat Sbano rausgebracht: „Il Canto Di Malavita: La Musica della
Mafia Vol. I" (2000) / „Omertà, Onuri e Sangu: La Musica della Mafia Vol.
II" (2002) / „Le Canzoni Dell' Onorata Società: La Musica della Mafia Vol.
III" (2005). Alle: Pias (rough trade)
17 Nov 2012
## LINKS
[1] http://www.petrareski.com
## AUTOREN
Ambros Waibel
Ambros Waibel
## TAGS
Mafia
Italien
Musik
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Mannheim
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Mafia
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