| # taz.de -- Mafia-Thriller von Petra Reski: Scheitern als Struktur | |
| > Die Journalistin Petra Reski hat einen packenden Thriller geschrieben. Er | |
| > spielt vor dem realen Hintergrund der italienischen Politik. | |
| Bild: Der Quirinalspalast in Rom, wo am Dienstag der italienische Staatspräsid… | |
| Es ist schon eine kleine Sensation, wenn der erste literarische Thriller | |
| einer deutschen Autorin sich vor großen Vorbildern wie Graham Greene und | |
| Jörg Fauser nicht verstecken muss. Eigentlich. Aber wirklich beachtet wurde | |
| Petra Reskis vor Kurzem erschienenes Romandebüt „Palermo Connection“ in den | |
| Medien noch nicht. Und das ist einfach schade, einerseits. | |
| Andererseits ist diese relative Flaute merkwürdig, weil die Journalistin | |
| und Sachbuchautorin Petra Reski keine schlecht vernetzte Debütantin ist, | |
| und keine Geringere als Donna Leon das Buch warm empfiehlt. | |
| Liegt es am Ende am Thema? Ja, klar. Petra Reski, die seit vielen Jahren in | |
| Venedig lebt, gilt als Expertin für die italienische Mafia. Das ist ein | |
| problematischer Job – aus vielen, sich überlappenden Gründen: Erstens gilt | |
| die Mafia (Cosa Nostra, Camorra, ’Ndrangheta etc.) trotz des Massakers von | |
| Duisburg 2007 und Günther Oettingers Pizzabäckeraffäre immer noch als | |
| undeutsches Phänomen. | |
| Zweitens hat allein die Beschäftigung mit „organisierter ’ausländischer‘ | |
| Kriminalität“ nach dem NSU-Ermittlungsskandal hierzulande völlig zu Recht | |
| einen sehr üblen Beigeschmack bekommen – prima Job, Verfassungsschutz, | |
| Justiz und Polizei! | |
| Drittens wird weder die Relevanz der globalen mafiösen Ökonomie gesehen | |
| noch die flächendeckende Durchdringung der italienischen Gesellschaft durch | |
| die organisierte Kriminalität –und das, obwohl Italien immer noch zu den | |
| größten Volkswirtschaften der Welt und zu den wichtigsten der EU gehört. | |
| Viertens – und damit sind wir mitten in Petra Reskis Roman – funktionieren | |
| seriöse Erzählungen über die Mafia nur im Kontext der italienischen | |
| Geschichte und Politik, die hierzulande in wesentlichen Teilen unbekannt | |
| sind. | |
| ## Unbekanntes Sehnsuchtsland | |
| Nur mal als Beispiel: In seinem kürzlich erschienenen Zeit-Text | |
| „Antisemiten sind mir egal“ nennt Maxim Biller Israel die „zweite | |
| verspätete Nation der postnapoleonischen Zeit nach Deutschland“. Nun gibt | |
| es gewiss noch mehr Spätzündernationen, aber eine der wichtigsten – | |
| immerhin die mit der höchsten Dichte an Unesco-Welterbestätten – ist eben | |
| Italien, mit seinen Einigungskriegen von 1859–1918. | |
| Auch der „Länderbericht Italien“ der Bundeszentrale für politische Bildung | |
| kommt zu dem Ergebnis, dass selbst die wissenschaftliche Beschäftigung mit | |
| dem angeblichen Sehnsuchtsland der Deutschen sehr mau ausfällt. | |
| Politthriller leben aber davon, dass die realen Hintergründe der teils | |
| fiktiven Handlung dem Publikum in den Grundzügen vertraut sind. | |
| Dass in Palermo seit einiger Zeit ein Prozess läuft, der klären soll, ob | |
| staatliche Organe zu Beginn der 1990er Jahre mit den Chefs der | |
| sizilianischen Cosa Nostra verhandelten wie mit einer ganz normalen | |
| (Staats-)Macht. | |
| Dass die von der Mafia ermordeten Richter Borsellino und Falcone vom | |
| italienischen Staat möglicherweise geopfert wurden, weil sie durch ihre | |
| Ermittlungen die Verhandlungen mit der Mafia gefährdeten. | |
| Dass die italienische Justiz die Bänder eines als sogenannter Beifang | |
| abgehörten Telefonats von Staatspräsident Giorgio Napolitano mit dem Anfang | |
| der 1990er Jahre amtierenden Innenminister Nicola Mancino vernichten musste | |
| und der Verdacht im Raum steht, es gehe dabei nicht um Napolitanos Recht | |
| auf privacy, sondern um Vertuschung der sogenannten trattativa, des Pakts | |
| von Staat und Mafia: | |
| Aus diesem Material hat Petra Reski einen Kriminalroman geformt; und man | |
| kann es beinahe verstehen, dass es manchem Rezensenten zu mühsam ist, | |
| herauszufiltern, was Fantasie, was Recherche in „Palermo Conncetion“ ist, | |
| und so zu einer Würdigung der Kunstfertigkeit der Autorin zu kommen. | |
| ## Deutsche Verhältnisse | |
| Und doch: Reskis Buch ist auch ein Buch über deutsche Verhältnisse, | |
| insbesondere die im Journalismus. Ein Buch über Moral, übers würdevolle | |
| Älterwerden, über Männer und Frauen und was sie so miteinander tun. | |
| Zudem hat die Autorin mit der palermitanischen Staatsanwältin Serena Vitale | |
| eine Protagonistin geschaffen, von der man froh sein darf, dass sie das | |
| furiose Ende des Romans überlebt. Sie umbringen zu lassen, erzählt Petra | |
| Reski bei einem Treffen in Berlin, sei ihr ursprünglicher Plan gewesen, von | |
| dem sie Donna Leon abgebracht habe mit dem unschlagbaren Argument: Erst | |
| machst du dir die Mühe, eine Figur mit Tiefe zu schaffen, und dann willst | |
| du sie gleich wieder loswerden? Weitere Serena-Vitale-Romane werden also | |
| folgen. | |
| Die Staatsanwältin, Deutsch-Italienerin, Single mit einer Vorliebe für | |
| Blond („keine Haarfarbe, sondern eine Lebenseinstellung“), schöne Dinge und | |
| schöne Bullen („wenn er die Bizepse anspannte, sah es aus, als würde ein | |
| kleines Tier unter seiner Haut entlanglaufen“), ist Anklägerin in einem | |
| Prozess in Palermo. Der Vorwurf gegen den Exinnenminister Enrico Gambino | |
| lautet: „Mitwirkung in einer mafiösen Vereinigung und Mittäterschaft bei | |
| Attentaten“. | |
| Dieser Prozess und sein letztliches Scheitern strukturieren das Buch. Das | |
| ist kein Spoiler, denn ein noch nachzutragender Grund für das Desinteresse | |
| an der Mafia ist ja, dass die Sache kein Ende findet, der Kriegszustand ist | |
| permanent – und der Roman stellt auch die Frage, wer von ihm profitiert. | |
| ## Romantisierung durch Presse | |
| Eine Antwort liefert die Figur des alternden deutschen „Fakt“-Journalisten | |
| Wolfgang W. Wieneke und dessen zwischen Hamburg und Sizilien pendelnder | |
| Fotograf und Zuarbeiter Francesco, in denen jeder, wer mag, das Pärchen | |
| Francesco Sbano und Andreas Ulrich vom Spiegel wiedererkennen kann. | |
| Insbesondere mit Sbano, der als Fotograf und Musikproduzent in Hamburg und | |
| Kalabrien arbeitet, verbindet Reski eine langjährige Auseinandersetzung. | |
| Sie und viele andere Bürgerrechtler in Italien werfen Sbanos Fotos, Büchern | |
| und „Mafia-Musik“-Sammlungen Romantisierung der Killer und ihrer Taten vor. | |
| Aber an einer Abrechnung ist Reski in ihrem Roman nicht interessiert. | |
| Vielmehr zeigt sie an Wieneke und seinem Fotografen, die den Prozess covern | |
| sollen, wie die Aufmerksamkeitsmaschine funktioniert, welche | |
| Mafia-Geschichten man schreiben kann und was „nicht sexy genug“ ist, wie | |
| Wienekes lässiger „Fakt“-Chefredakteur Tillmanns sagt. „Auf dem | |
| Schreibtisch des Chefredakteurs stand eine Teekanne. Daneben lag das Buch, | |
| das er mit dem Außenminister geschrieben hatte. Wieneke wollte Minister | |
| stürzen, und sein Chef machte Bücher mit ihnen.“ | |
| Ein komplizierter Prozess in Palermo, wo eine einfache Staatsanwältin sich | |
| an Ministern und Präsidenten vergreift, ist nicht sexy. Das | |
| pseudoabenteuerliche Treffen mit einem untergetauchten Mafia-Boss, der | |
| seine Märchen erzählen darf, hingegen schon. Und Wieneke, der eigentlich | |
| aus der alten Schule kommt, kann der Versuchung nicht widerstehen, an | |
| solchen falschen, aber gefragten Heldengeschichten mitzuschreiben. Und | |
| scheitert damit bitterlich. | |
| Und eben jetzt, am Dienstagmittag, während die Arbeit an diesem Text hier | |
| ihrem Ende zugeht, findet im Quirinalspalast in Rom eine ausgelagerte | |
| Vernehmung des Gerichtshofs von Palermo statt. Zeuge ist kein Geringerer | |
| als der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano. | |
| Thema ist ein Brief, den ihm sein Rechtsberater Loris D’Ambrosio vor zwei | |
| Jahren schrieb und in dem er von „unaussprechbaren Abkommen“ zwischen Staat | |
| und Mafia sprach, damals 1992–93, als der Zusammenbruch des italienischen | |
| Parteiensystems den Mob ohne politischen Ansprechpartner gelassen hatte und | |
| er mit Bombenterror diesen Waisen-Status beenden wollte. D’Ambrosio starb | |
| kurz darauf. An einem Infarkt. Mit 64 Jahren. | |
| Wer hier keinen Stoff für einen Roman findet, ist selbst schuld. Petra | |
| Reski kann man diesen Vorwurf nicht machen. Am Schluss von „Palermo | |
| Connection“ ist Serena Vitale von ihrem Prozess abgezogen worden und hat | |
| wieder Zeit für Sport. Fit muss sie sein, denn: „Sie hatte es versäumt, | |
| Allianzen zu bilden. Aufgabe Nummer eins im neuen Leben: Strategisches | |
| Denken.“ Ihr nächster Fall wird sie nach Deutschland führen. | |
| 1 Nov 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
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