# taz.de -- Tod der dreijährigen Yagmur: Eltern schweigen vor Gericht | |
> Sechs Monate nach dem Tod von Yagmur hat der Prozess gegen ihre Eltern | |
> begonnen. Der Mutter wird Mord, dem Vater Körperverletzung vorgeworfen. | |
Bild: Die angeklagten Eltern der getöteten Yagmur: Schweigen vor dem Hamburger… | |
HAMBURG taz | Die Zuschauer im Saal 237 des Hamburger Landgerichts sind | |
durch eine Plexiglasscheibe von den Angeklagten getrennt. Darüber hängt ein | |
Netz, falls jemand mit Gegenständen werfen sollte. Die Bankreihen sind | |
spärlich gefüllt, nur die Journalisten sind zahlreich gekommen. Der Richter | |
gibt den Kameraleuten und Fotografen ein paar Minuten, um Melek und Hüseyin | |
Y. zu fotografieren und zu filmen. Sie verbergen ihr Gesicht nicht. Melek | |
Y. ist angeklagt, ihre dreijährige Tochter Yagmur durch fortgesetzte | |
Schläge getötet zu haben. Der Vater soll weggesehen haben. Die | |
Staatsanwaltschaft wirft Melek Y. Mord und Hüseyin Y. Körperverletzung mit | |
Todesfolge vor. | |
Die Fotografen machen Bilder von Melek Y., die einen Pferdeschwanz, ein | |
graues Oberteil und eine Kette trägt. Und von Hüseyin Y., der formeller | |
wirkt im gestreiften Hemd. Aber was sagen schon ein Hemd und eine Kette | |
aus? Am ersten Prozesstag wird man nicht viel über die 27-Jährige und den | |
25-Jährigen erfahren. Der Vater werde, so sagt sein Anwalt, keine Aussagen | |
machen. Die Mutter, so erklärt ihre Anwältin, „zunächst“ auch nicht. | |
Als der Staatsanwalt seine Anklage vorliest, taucht ein Begriff auf, der | |
aus dem juristischen Duktus herausfällt. Von zunehmenden „Hass“ der Mutter | |
ist die Rede, sie habe das Kind immer häufiger angegriffen. Melek Y. weint | |
nicht an dieser Stelle, sie scheint zu weinen, als er die inneren | |
Verletzungen beschreibt, an denen Yagmur stirbt. | |
Es gibt eine private und eine politische Seite dieses Todes. Schon seit | |
Yagmurs Geburt im Oktober 2010 befasste sich das Jugendamt mit ihrer | |
Familie. Melek Y. hatte zugestimmt, das Kind in eine Pflegefamilie zu | |
geben, da sie sich überfordert fühlte. Ein älterer Bruder wächst bei den | |
Großeltern auf. Als sie zwei Jahre alt ist, wird Yagmur mit schweren | |
Schädelverletzungen in ein Krankenhaus gebracht. Da unklar ist, ob die | |
Pflegemutter oder die Eltern dafür verantwortlich sind, kommt das Mädchen | |
in ein Kinderschutzhaus. | |
Im Mai 2013 entscheiden die Behörden nach einem Schreiben der Pflegemutter, | |
dass diese möglicherweise für die Verletzungen verantwortlich sei. Yagmur | |
soll künftig bei ihren leiblichen Eltern leben. Die hatten in ihrem Bemühen | |
um das Sorgerecht einen Anwalt eingeschaltet. Im Oktober 2013 erklärt ein | |
Rechtsmediziner, dass die Verletzungen des Kindes nicht zu den | |
Schilderungen der Pflegemutter passen. Die Staatsanwaltschaft stellt die | |
Ermittlungen ein, weil nicht geklärt werden könne, ob die Eltern oder die | |
Pflegemutter verantwortlich waren. Das Jugendamt wertet das fatalerweise | |
als Beleg dafür, dass von den Eltern keine Gefahr ausgehe. Drei Monate | |
später stirbt Yagmur. | |
Doch am Mittwoch ist vor Gericht nur von den Eltern die Rede, nicht von den | |
Ämtern. Der Richter liest die Vorstrafen vor. Hüseyin Y. ist wegen Betrugs | |
und des Erschleichens von Leistungen zu Geldstrafen verurteilt worden. | |
Melek Y. wegen gemeinschaftlichen Diebstahls, Verletzens des | |
Briefgeheimnisses und gefährlicher Körperverletzung. Über letzteres, so der | |
Richter, werde noch zu sprechen sein. Er verweist darauf, dass Melek Y. | |
wegen der „subjektiven Tatseite“ möglicherweise nicht wegen Mordes, sondern | |
wegen Totschlags oder Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt werden | |
könne. Die subjektive Tatseite: Das ist die Frage, ob Melek Y. mit Vorsatz | |
handelte, ob bestimmte Mordmerkmale wie niedrige Beweggründe vorliegen. | |
Das Gericht tagt nicht einmal eine Stunde. Aber selbst in dieser kurzen | |
Zeit taucht am Rande die Frage auf, wie es geschehen konnte, dass Yagmur | |
über Monate misshandelt werden konnte, offenkundig Hämatome hatte und | |
niemand eingriff. Onkel und Tante seien bereit gewesen, das Kind zeitweise | |
bei sich aufzunehmen, sagt der Staatsanwalt. Drei Kita-Mitarbeiterinnen | |
sind als Zeuginnen vorgeladen. | |
Auf dem Flur stürzen sich die Journalisten auf die Anwältin von Melek Y. Ob | |
den Eltern der Tod des Kindes zu schaffen mache, ruft einer. Natürlich, | |
sagt die Anwältin. | |
11 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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