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# taz.de -- Urteil im Fall Yagmur: Wut und Hass aufs Kind
> Das Landgericht Hamburg verurteilt die Mutter des zu Tode geprügelten
> Mädchens Yagmur wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe.
Bild: Fast ein Jahr nach dem Tod Yagmurs verkündet die Strafkammer ihr Urteil:…
HAMBURG taz |In Hamburg ist der Prozess gegen die Eltern der vor einem Jahr
getöteten Yagmur zu Ende gegangen. Die 27-jährige Mutter Melek Y. soll eine
lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen. Das Landgericht hielt sie des Mordes
aus Grausamkeit für schuldig, weil sie dem Kind insbesondere in den letzten
zwei Lebenswochen so brutal und häufig auf Kopf und Bauch geschlagen habe,
dass sie den Tod der damals Dreijährigen in Kauf genommen habe. Wegen
Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassung verurteilte das Gericht
Vater Hüseyin Y., 26 – er habe sein Kind nicht geschützt.
„Lebenslang ist nicht genug“, pöbelte nach der Verkündung des Urteils eine
Zuschauerin draußen in die laufenden Kameras. Damit stand die Frau im
Einklang mit der Staatsanwaltschaft: Die hatte auf Mord plädiert, dazu aber
die Feststellung einer besonderen Schwere der Schuld beantragt. Dann bekäme
Melek Y. nicht die Chance, nach 15 Jahren Haft im Alter von dann 42 Jahren
das Gefängnis verlassen zu können.
Doch soweit wollte das Gericht am Dienstag nicht gehen: Zwar sei die
Angeklagte Gutachten zufolge voll schuldfähig. Gleichwohl habe sie eine
„psychische Disposition“, erklärten die Richter, weise unter anderem
impulsive, schizoide und aggressive Tendenzen auf. Das habe die Tat
begünstigt.
## Ermittlungen eingestellt
Der Fall Yagmur hält Hamburg seit Monaten in Atem. Anfang vergangenen
Jahres war das Kind wegen einer lebensgefährlichen Hirnverletzung bereits
einmal ins Krankenhaus gekommen – verursacht durch die Mutter, wie das
Gericht jetzt glaubte. Doch Ermittlungen wegen Misshandlung stellte die
Staatsanwaltschaft ein. Das Kind lebte ein halbes Jahr im Kinderschutzhaus
und wurde im August 2013 wieder den Eltern überlassen.
Am Morgen des 18. Dezember kam für Yagmur dann jede Hilfe zu spät: In die
Wohnung gerufene Sanitäter stellten ihren Tod fest. Die Leiche der
Dreijährigen wies laut Obduktionsbericht 83 neue äußere Verletzungen auf,
dazu einen Leberriss und die Verletzung mehrerer weiterer Organe.
Das Gericht sah es nun als erwiesen an, dass die Mutter dem Kind die Gewalt
zufügte, nicht der Vater. Melek Y. habe eine „postnatale Bindungsstörung“
zu ihrer Tochter gehabt, welche sie gleich nach der Geburt zu einer
Pflegemutter gab, um sie dann später wieder zurückzuholen. All ihre Wut und
ihren Hass habe sie auf das Kind übertragen, sagte der Richter und stützte
sich dabei auf hunderte von Chat-Nachrichten, die auf dem Smartphone des
Vater gesichert waren.
Die Ehe mit Hüseyin Y. war nach einer Affäre der Mutter mit einem Nachbarn
offenbar zerrissen. Schon im Oktober und November 2013, so sagten es
Verwandte und Freunde des Vaters aus, habe dieser sich Sorgen gemacht, weil
seine Frau die Tochter geschlagen habe, und sogar die Tante gefragt, ob sie
Yagmur zu sich nehmen könne.
Am 9. Dezember bat Hüseyin Y. seine Frau dann per Smartphone-Chat, sich
therapeutische Hilfe zu holen. Ihre Antwort: „Sag denen nicht, dass ich
mein Kind schlage“. In anderen Chats droht sie: „Und wenn du dich so böse
verhältst, lasse ich meine Wut an Yagmur aus“. Auch beschimpfte sie ihren
Mann als „Hurensohn“, drohte gar, ihn zu töten.
## Belastender Chat
Von ihrem eigenen Handy hatte die Angeklagte diesen Dialog auf der Fahrt
zum Polizeiverhör gelöscht. Den Ermittlern erklärte sie, nicht sie habe das
Kind misshandelt, sondern der Vater. Er habe Yagmur am Ende einen schweren
Tritt versetzt. Die belastenden Chat-Nachrichten habe ihr Mann nachträglich
manipuliert.
Auch gegenüber dem psychiatrischen Gutachter erklärte sie, sie habe ihre
Tochter nie misshandelt, sei selbst Opfer ihres Mannes: Dieser habe sie
bedroht, vergewaltigt und gezwungen, Yagmurs Wunden zu überschminken. Vor
Gericht schwieg sie.
Der Richter schenkte dem keinen Glauben. Der Verteidiger von Hüseyin Y.
bezeichnete dessen Frau als „notorische Lügnerin“. Skrupellos habe sie die
Schuld auf seinen Mandanten abgewälzt.
Die Verteidigerin der Mutter hatte in ihrem Plädoyer darauf hingewiesen,
dass der Vater mehrfach gegen seine Frau gewalttätig gewesen sei. Es lasse
sich nicht ausschließen, dass er auch dem Kind die Gewalt zugefügt habe.
Sie zitierte eine Betreuerin aus dem Kinderschutzhaus, wonach Yagmur vor
dem Besuch der Eltern über den „Papa“ gesagt haben soll: „Aua, nein“. …
Frage, ob auch die Mutter „aua“ sei oder bedeute, habe sie verneint – und
gelächelt.
Nach dem Urteil sagte Melek Y.s Anwältin, sie prüfe eine Revision. Es gebe
Zweifel an der aktiven Tatbeteiligung ihrer Mandantin. Auch die
Staatsanwaltschaft prüft eine Revision.
25 Nov 2014
## AUTOREN
Kaija Kutter
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