| # taz.de -- Yagmur-Untersuchungsausschuss: Das Ende einer Aufarbeitung | |
| > Der Hamburger Ausschuss zum Tod des Mädchens Yagmur endet mit | |
| > Rücktrittsforderungen der Opposition. Die Linken kritisieren dessen | |
| > Arbeit als "Parallelgericht". | |
| Bild: Die Akten, die der Ausschuss bearbeitet hat, sind zahlreich, einig wurde … | |
| HAMBURG taz | Mit einer Schweigeminute ist am Donnerstagabend die Arbeit | |
| des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zum Tod der | |
| dreijährigen Yagmur zu Ende gegangen. Das Ergebnis sind ein 543 Seiten | |
| starker Bericht und 32 Empfehlungen für besseren Kinderschutz. Dort ist | |
| nachzulesen, wie es aus Sicht der Mehrheit der Ausschussmitglieder dazu | |
| kam, dass Behörden ein Kind aus staatlicher Obhut zu dessen Eltern | |
| zurückgaben, obwohl der Verdacht nicht vollständig ausgeräumt war, dass sie | |
| es Monate zuvor schwer misshandelten. | |
| Nicht unterstützt wird der Bericht von der Fraktion Die Linke. Die hat | |
| einen „Minderheitenbericht“ verfasst. Was in dem Bericht steht, entschied | |
| im Streitfall die regierende SPD mit ihrer Mehrheit. Weil sie in einzelnen | |
| Punkten nicht einverstanden sind, haben auch CDU, Grüne und FDP | |
| „Minderheitenvoten“ veröffentlicht. | |
| Dabei geht es ihnen im Kern um die politische Verantwortung für die | |
| schwierige Arbeitssituation im Allgemein Sozialen Dienst (ASD). Die CDU | |
| fordert den Rücktritt von Sozialsenator Detlef Scheele und | |
| Mitte-Bezirksleiter Andy Grothe (beide SPD), weil diese nicht für Abhilfe | |
| gesorgt hätten. | |
| Der Ausschuss hat in 20 Sitzungen das Handeln der über ein Dutzend | |
| beteiligten Institutionen betrachtet. Die Rechtsmedizin zum Beispiel hatte | |
| Strafanzeige gestellt, als sie das Kind am 31. Januar 2013 im Krankenhaus | |
| untersucht und neben Hirnverletzungen auch eine durch stumpfe Gewalt | |
| erzeugte Bauchspeicheldrüsenentzündung (Pankreatitis) feststellte. Da das | |
| kleine Mädchen in den Wochen im Wechsel zuvor sowohl bei seiner | |
| Pflegemutter als auch bei den leiblichen Eltern war, konnte die | |
| Staatsanwältin die Verletzungen nicht sicher zeitlich zuordnen. | |
| Die Eltern gerieten als mögliche Täter aus dem Blick, als die Pflegemutter | |
| sich im Mai selbst bezichtigte, das Kind in einem Maxi-Cosi stark | |
| geschaukelt zu haben. Im Oktober ergab ein neues Gutachten, dass dieses | |
| Schaukeln nicht zu den Hirnverletzungen passt. Im November, wenige Wochen | |
| vor Yagmurs Tod, stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. | |
| Nach ihrem Tod fragte die stadteigene „Jugendhilfeinspektion“ im Januar | |
| 2014 bei dem Medizinern noch einmal nach und erhielt die Information, dass | |
| die Verletzung, die zur Pankreatitis führte, ein bis zwei Tage alt sein | |
| müsse. Zu diesen Zeitpunkt war Yagmur bei den Eltern gewesen. Eine | |
| entscheidende Information kam zu spät. | |
| Doch wer hätte danach fragen sollen? Der PUA-Bericht nimmt in diesem Punkt | |
| die Jugendamtsmitarbeiter in Schutz. Sie hätten als „medizinische Laien“ | |
| auf die Vollständigkeit der Gutachten vertrauen können. Doch die | |
| Staatsanwaltschaft hätte danach fragen und die Rechtsmedizin diese | |
| zeitliche Eingrenzung in ihrem Bericht mit angeben können. | |
| Die Staatsanwaltschaft hat zudem nur den Vater und die Pflegemutter | |
| vernommen. Dass die Mutter nicht erschien, deutete man so, dass sie ihr | |
| Aussageverweigerungsrecht nutzte. Eine Befragung weiterer Bezugspersonen | |
| des Kindes erscheine aussichtslos, heißt es in der Einstellungsverfügung | |
| vom 7. November 2013, die am 18. November beim ASD in Billstedt-Ost | |
| eintraf. | |
| Dort waren damals der Krankenstand und die Fluktuation hoch. Die | |
| Mitarbeiterin, die Yagmurs Akte auf den Tisch bekam, war erst wenige Wochen | |
| im Dienst. Und als am 4. Dezember das Team seine „Kollegiale Beratung“ | |
| abhielt, standen 23 Fälle auf der Tagesordnung, nur vier wurden | |
| ausführlicher besprochen, Yagmurs Fall nur kurz. | |
| Der Brief der Staatsanwältin kam ohne Anschreiben. Das Verfahren gegen | |
| Eltern und Pflegemutter werde eingestellt, weil ihnen eine Täterschaft | |
| nicht nachgewiesen werden könne, stand auf der letzten Seite. Und weiter: | |
| „Mit der Bitte um Kenntnisnahme von Akteninhalt und ggf. weitere | |
| Veranlassung.“ | |
| Hier habe der ASD-Mitte den „letzten und schwersten“ Fehler gemacht, heißt | |
| es im PUA-Bericht. Denn aus der Akte und dem beigefügten Gutachten gehe | |
| hervor, dass sich der Misshandlungsverdacht „auch wieder verstärkt gegen | |
| die Eltern richtete“. Eine Überprüfung der Lebensverhältnisse Yagmurs durch | |
| einen Hausbesuch hätte ihren Tod „mit an Sicherheit grenzender | |
| Wahrscheinlichkeit verhindert“. | |
| Dem bis Mitte 2013 zuständigen ASD-Eimsbüttel wird angelastet, dass er nach | |
| der Selbstbezichtigung der Pflegemutter die Rückführung Yagmurs in die | |
| Familie zuließ. Die Beurteilung, ob diese „objektiv kausal für den Tod | |
| Yagmurs gewordenen Fehler“ den Mitarbeitern strafrechtlich angelastet | |
| werden können, „bleibt den Gerichten vorbehalten“. | |
| Der PUA habe wie ein „Parallelgericht“ gearbeitet, kritisiert der | |
| Links-Abgeordnete Mehmet Yildiz. Während Staatsanwältin, Familienrichterin | |
| und die Rechtsmediziner dort als Zeugen gehört wurden, hatten alle | |
| ASD-Mitarbeiter aufgrund strafrechtlicher Ermittlungen die Aussage | |
| verweigert. Der Ausschuss bezog seine Kenntnisse hier überwiegend aus den | |
| Mitarbeiter-Befragungen der „Jugendhilfeinspektion“, die, das kritisiert | |
| die Linke in ihrem Bericht, dabei keine Rechtsbelehrung erteilt hätte. | |
| Laut Yildiz wurde anderen Akteuren relativ viel Verständnis | |
| entgegengebracht, während der Ausschuss beim Handeln des ASD einen kausalen | |
| Zusammenhang mit Yagmurs Tod herstellte. Dessen Mitarbeiter würden der | |
| Staatsanwaltschaft „auf dem Tablett präsentiert“. | |
| Die Linke warnt zudem davor, dass in der Stadt in Folge dramatischer | |
| Kinder-Todesfälle stetig mehr Kontrollmechanismen eingebaut werden und so | |
| eine „Misstrauenskultur“ geschaffen werde, die Menschen davor abhielte, | |
| sich beim Jugendamt Hilfe zu holen. Auch Yagmurs Mutter sei ja freiwillig | |
| zum Amt gekommen, weil sie schwanger und obdachlos war. | |
| „Wir als Fraktion fragen uns, wie wohl das Leben von Mutter und Tochter | |
| verlaufen wäre, hätte ihnen vom ASD eine Mutter-Kind-Einrichtung zur | |
| Verfügung gestellt werden können“. Vielleicht wäre so nicht die später vom | |
| Gerichtsgutachter attestierte Bindungsstörung entstanden. | |
| Mehmet Yildiz hatte nach Yagmurs Tod statt des PUA eine | |
| „Enquete-Kommission“ gefordert, um mit Fachleuten zu klären, wie eine | |
| moderne Jugendhilfe in der Großstadt aussehen müsse. Inzwischen wollen auch | |
| die Grünen eine solche Kommission. Die Angst der ASD-Mitarbeiter, Fehler zu | |
| machen, sei mittlerweile „selbst zum Risikofaktor geworden“, sagte die | |
| Grünen-Abgeordnete Christiane Blömeke. | |
| 21 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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