# taz.de -- Mühsame Aufklärung: Wer ist schuld am Tod von Yagmur? | |
> Der Untersuchungsausschuss zum Tod des dreijährigen Mädchens endet mit | |
> einem Eklat: Die Opposition wirft der SPD vor, sie wolle ihren | |
> Sozialsenator schonen. | |
Bild: Erinnerung: ein Foto der getöteten Yagmur auf dem Öjendorfer Friedhof. | |
HAMBURG taz | Der nach dem gewaltsamen Tod der dreijährigen Yagmur | |
eingesetzte Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft endet im | |
politischen Streit. Die Zeugenvernehmung ist beendet, doch die regierende | |
SPD und die Opposition können sich nicht auf einen Abschlussbericht | |
einigen. Dabei geht es um die Frage, ob der amtierende Sozialsenator Detlef | |
Scheele (SPD) Versäumnisse politisch verantworten muss. Denn mit Chantal | |
und Yagmur fallen zwei Todesfälle in seine Amtszeit. Der Aufklärungswille | |
der SPD „endet bei Sozialsenator Scheele“, kritisiert die CDU nach der | |
jüngsten Sitzung am Montag. | |
Denn dass die Lage in Hamburgs Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) prekär | |
ist, war schon nach dem Tod der elfjährigen Chantal im Winter 2012 deutlich | |
geworden. Das Mädchen lebte bei Pflegeeltern, die Drogensubstituenten waren | |
und starb an einer Methadontablette. Dass das Jugendamt Risikofälle | |
übersehe, könne in vielen der 36 ASDs jederzeit wieder geschehen, hieß es | |
im August 2012 in einem Lagebericht. Damals kündigte Scheele in der taz an, | |
seine Behörde arbeite an einem Personalbemessungssystem. Dieses werden bis | |
Ende 2013 fertiggestellt und führe nötigenfalls zu mehr Personal. | |
So ein „Personalbemessungssystem“ wird von der Regierung seit Jahren als | |
notwendige Voraussetzung genannt, um die Dienste aufzustocken. Doch tat | |
sich lange Zeit nichts. Wie später heraus kam, wurde erst ein Jahr später, | |
im August 2013, in Scheeles Behörde eine Projektgruppe eingesetzt, die im | |
März 2014 das erste Mal tagte. Frühestens 2015 wird die Sache fertig. | |
Derweil wurde die Personalnot im ASD-Billstedt, der für die dreijährige | |
Yagmur zuständig war, so groß, dass der Abteilungsleiter eine | |
„Arbeitshilfe“ erließ, die es Sozialarbeitern gestattete, Fälle weniger | |
gründlich zu dokumentieren. Für Yagmur war zuletzt eine Mitarbeiterin | |
zuständig, die erst sechs Wochen im Dienst war. Dennoch gab es vom | |
Abteilungsleiter keine offizielle „Überlastanzeige“. | |
Darauf stützte sich auch der Senator als er Anfang Oktober im Ausschuss | |
vernommen wurde. „Wir haben den Zeitplan nicht eingehalten. Ja, wir sind zu | |
spät“, sagte er. Einen Grund zurückzutreten sehe er nicht. In einem Bericht | |
über den Fallverlauf seiner Jugendhilfeinspektion gebe es „keinen Hinweis, | |
dass die Personalsituation ursächlich für den Tod von Yagmur ist“. | |
Nun gilt es für den Ausschuss, alle Erkenntnisse und Zeugenaussagen in | |
einem Abschlussbericht zu bewerten. Als Vorlage dient ein Entwurf seines | |
Arbeitsstabes. Sechs der elf Mitarbeiter wurden von der SPD und fünf von | |
der Opposition ausgewählt. Die CDU empört, dass zahlreiche ihrer | |
Änderungsanträge abgelehnt wurden. Dabei habe die SPD auch die Aufnahme | |
„erwiesener Fakten“ verhindert, kritisiert der CDU-Politiker Christoph de | |
Vries. Als Beispiel nennt er die Feststellung, dass Scheele schon für Ende | |
2013 die Fertigstellung des besagten Personalmessungssystems versprach. | |
Insgesamt, sagt de Vries, leugne die SPD jeden Zusammenhang zwischen der | |
politisch zu verantwortenden Arbeitsüberlastung im ASD und den | |
individuellen Fehlern der Mitarbeiter im Falle Yagmurs „trotz eindeutiger | |
Belege“. FDP und Grüne stießen ins gleiche Horn. | |
Weil die SPD mit ihrer Regierungsmehrheit die Feststellung der politischen | |
Verantwortlichkeit von Senator Scheele blockiere, verlasse sie „den | |
gemeinsamen Weg der Aufklärung“, sagt der CDU-Mann. Seine Fraktion werde | |
die „ministeriellen Versäumnisse“ in einem Minderheitenvotum benennen. | |
In einem Punkt sind Opposition und Regierungsfraktion einig. Der Leiter des | |
Bezirksamtes Mitte, Andy Grothe, sei politische verantwortlich für die | |
fehlerhafte Aktenführung, weil es dort besagte Arbeitshilfe gab. „Das hat | |
der Ausschuss einstimmig festgestellt“, sagt de Vries. Eben das zeige, dass | |
„Verantwortlichkeiten klar benannt werden“, kontert die SPD-Politikerin | |
Melanie Leonhard. | |
11 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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