# taz.de -- Generaldebatte im Bundestag: Jetzt müsste die Union klatschen | |
> In der Haushaltsdebatte sorgt nur Gregor Gysi für ein wenig Schwung und | |
> kassiert einen Nazivergleich. Angela Merkel langweilt sogar ihre eigene | |
> Fraktion. | |
Bild: Kaum Interesse auf der Regierungsbank: Gregor Gysi im Bundestag. | |
BERLIN taz | Es ist halb zehn Uhr morgens. Im Bundestag steht die Debatte | |
über den Etat des Bundeskanzleramts auf dem Programm – in der | |
Haushaltswoche traditionell Schauplatz für den Schlagabtausch zwischen | |
Regierung und Opposition. Doch Angela Merkel hält ihre typische | |
Angela-Merkel-Rede: keine Höhen, keine Tiefen, keine rhetorische Figuren. | |
Die scharfe Kontroverse ist nicht ihre Sache. Eher das Präsidiale. | |
Die Neuverschuldung ist mit 6,5 Milliarden Euro so niedrig wie seit 40 | |
Jahren nicht, sagt die Kanzlerin. Die Zahl der Beschäftigten sei so hoch | |
wie nie. In Europa bleibe „Deutschland Wachstumsmotor“. Deutschland, sagt | |
die Kanzlerin, „ist und bleibt stark“. Das ist ein Satz, bei dem die | |
Unionsfraktion klatschen müsste. Aber mit dieser Rede macht es Merkel auch | |
ihren Parteifreunden nicht leicht. | |
Die Kanzlerin trägt die Erfolgsbilanz der Große Koalition vor. | |
Energiewende. EU. Pflegeversicherung. Arbeitsmarkt. Alles in Ordnung. Und | |
wenn wir uns alle anstrengen, bleibt das so. Sie klingt wie eine Lehrerin, | |
die sachlich Tatsachen darlegt. Und sie ahnt, dass mal wieder niemand | |
richtig zuhört. | |
Merkels Rede hat etwas Abgedichtetes. Nur einmal hebt sich die Glasglocke, | |
die um die Kanzlerin zu sein scheint. „Die Bundesregierung“, sagt sie, | |
„tritt für Jean-Claude Juncker als Präsident der Europäischen Kommission | |
ein.“ Merkel hat lange gezögert, taktiert, ob sie wirklich den | |
Christdemokraten Juncker in der EU unterstützt. Ihr Satz wird von den | |
Unionsparlamentariern mit schütterem Applaus bedacht. Merkel blickt | |
auffordernd in den Saal: Mehr Beifall, bitte, scheint ihre Mimik zu sagen. | |
## Nur ein Halbsatz über Gysi | |
Diese Rede unterkühlt zu nennen, ist eine Untertreibung. Aber das | |
Leidenschaftslose, ja Langweilige ist auch eine Herrschaftsinszenierung. | |
Hier spricht, so die Botschaft, die Stimme pragmatischer Vernunft. Auf den | |
Angriff von Linksfraktionschef Gregor Gysi, der vor ihr geredet hat, geht | |
Merkel nur mit einem Halbsatz ein. Mehr Aufmerksamkeit verdient er offenbar | |
nicht. | |
Dabei versucht Gysi viel, um der Großen Koalition Kontra zu geben. Der | |
ausgeglichene Haushalt 2015, den Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf | |
Biegen und Brechen anstrebt, werde mit 5 Milliarden Euro weniger an | |
öffentlichen Investionen erkauft. Die Mütterrente sei ungerecht, weil nicht | |
aus Steuermitteln, sondern aus der Rentenkasse bezahlt. Gysi fordert ein | |
kostenfreies Mittagessen in den Schulen und ruft empört Richtung | |
Regierungsbank. „Sie sagen, das sei zu teuer. Aber für die Commerzbank | |
haben Sie Milliarden.“ | |
Deutschland habe nach den USA und China die meisten Millionäre – doch die | |
Große Koalition traue sich weder eine Reichensteuer einzuführen noch | |
wenigstens Einkünfte aus Arbeit und Kapital gleich zu besteuern, schimpft | |
Gysi. „Die Mitte der Gesellschaft muss alles bezahlen.“ Die Argumente sind | |
nicht neu, dafür schwungvoll vorgetragen. | |
Etwas unrund wirkt dagegen die Vorstellung des grünen Fraktionschefs Toni | |
Hofreiter. Der wettert zwar gegen die „Sabotage der Energiewende“, | |
beschimpft die Union „als 40-Prozent-dagegen-Partei“ und rügt Merkels | |
egoistische Politik in der EU. Hofreiter will das Image abstreifen, dass | |
die Grünen die brave konstruktive Opposition sind. Er hebt oft den | |
Zeigefinger, und wird manchmal zu laut. Auf der Regierungsbank hört ihm | |
kaum jemand zu. Bei Gysi hatte es immerhin empörte Zwischenrufe aus der | |
Fraktion von Union und SPD gehagelt. | |
## Dialog mit Stand-up-Comedy-Qualität | |
Allerdings ist bei Gysi auch zu merken, dass sich die Linkspartei mit der | |
Großen Koalition schwertut – dort, wo die Regierung Ideen der | |
Linkssozialisten übernimmt. Für den Mindestlohn, so Gysi, „haben wir schon | |
gekämpft, als alle noch dagegen waren“. Das ist der Ruhm von gestern. Doch | |
ohne Gysi, den charmanten Sozialpopulisten, würde die Debatte wohl ganz in | |
Merkels Lehrerindiskurs versanden. Nach wie vor, sagt der | |
Linksfraktionschef, bespitzelt die NSA auch Politiker. | |
Gysi dreht sich am Rednerpult stehend herum und sagt: „Herr | |
Bundestagspräsident Professor Lammert, Sie werden nach wie vor abgehört.“ | |
Darauf Lammert knapp: „Im Unterschied zu Ihnen trage ich das mit Fassung, | |
Herr Kollege Gysi.“ Das ist von Lammert nicht sonderlich durchdacht. Aber | |
es ist ein schlagfertiger Dialog mit Stand-up-Comedy-Qualität in der sonst | |
so espritfreien Debatte. | |
Für Zoff sorgt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der stets gern die | |
Linkspartei unter Feuer nimmt. Der Brandenburger | |
Linkspartei-Landtagsabgeordnete Norbert Müller hatte Bundespräsident Gauck | |
als „widerlichen Kriegshetzer“ beschimpft. Dafür, ruft Oppermann empört, | |
sei auch Gysi mit seinen „demagogischen Verdrehung der Worte Gaucks“ | |
verantwortlich. Die Kritik der Linkspartei erinnere „an die Strategie der | |
Nazis in der Weimarer Republik gegen Reichspräsident Ebert“. Oppermann | |
beteuert, er wolle die Linkspartei nicht mit Nazis in Verbindung bringen – | |
aber tut genau das. | |
Gysi distanziert sich später in einer Kurzintervention davon, Gauck | |
„Kriegshetzer“ zu nennen. Aber man müsse den Bundespräsidenten kritisieren | |
dürfen, wenn der von Militärs mehr deutsche Verantwortung fordert. Zu | |
Oppermanns Nazi-Assoziation sagt Gysi, sichtlich angefasst, kein Wort. Was | |
Demagogie angeht, spielen Oppermann und der linke Jungparlamentarier | |
Norbert Müller in einer Liga. Und: Was Rot-Rot-Grün angeht, braucht sich | |
Angela Merkel für 2017 keine Sorgen zu machen. | |
25 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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