# taz.de -- Protest gegen Mastanlage in Haßleben: Eine riesige Schweinerei | |
> In der Uckermark könnte eine stillgelegte Schweinemastanlage aus | |
> DDR-Zeiten wieder in Betrieb gehen. 36.000 Tiere sollen dort gehalten | |
> werden. | |
Bild: Sie haben kein Schwein gehabt: Tiere in einer Mastanlage. | |
Das Gras überwuchert mittlerweile fast vollständig den einstigen Parkplatz, | |
die stillgelegten Eisenbahngleise und den Eingang zur Anlage. Hinter dem | |
Stacheldraht, der das Areal einzäunt, sieht man keinen Menschen; nur graue, | |
verfallene Flachbauten, dazwischen alte Flutlichter, die sich gegen den | |
bewölkten Sommerhimmel abzeichnen. Auf dem Gelände der 1991 geschlossenen | |
Schweinemastanlage im brandenburgischen Haßleben wurden zu DDR-Zeiten | |
140.000 Tiere gehalten. Bald soll hier wieder eine riesige Tierfabrik | |
entstehen. | |
„Das ist doch ein Wahnsinn!“ Das sagt Gerhard Patzer. Der hochgewachsene | |
Mann mit den eisgrauen Haaren und den blauen Augen im gebräunten Gesicht | |
sitzt an seinem Schreibtisch in seinem Haus, zwei Kilometer Luftlinie von | |
dem Gelände entfernt. Er zeigt auf Briefe, Planungsskizzen und amtliche | |
Schriftstücke, die er in den vergangenen zehn Jahren über die Anlage | |
gesammelt hat. Wohlüberlegt und präzise spricht der 74-jährige | |
Elektroingenieur seine Worte aus. Und doch gelingt es ihm nicht, seine | |
Erregung und seine Enttäuschung darüber zu verbergen, dass sich in Haßleben | |
die Geschichte anscheinend wiederholt, die Fehler aus der sozialistischen | |
Vergangenheit auch in der kapitalistischen Zukunft gemacht werden. | |
Harry van Gennip, ein niederländischer Investor, hat im Jahr 2004 die | |
einstige Schweinemastanlage gekauft. Er will einen neuen Betrieb | |
hochziehen. In den Niederlanden hätte er große Schwierigkeiten, für eine | |
solche Fleischfabrik eine Genehmigung zu bekommen, weil durch die | |
jahrzehntelange Massentierhaltung zu viele Böden durch Gülle verseucht | |
sind. Aber in Ostdeutschland geht das offensichtlich noch: Hier entstanden | |
zuletzt zahlreiche neue Megaställe: Seit 2010 ist die Zahl von 300 auf 500 | |
angestiegen, das daraus gewonnene Billigfleisch wird weltweit vertrieben. | |
## Proteste seit zehn Jahren | |
Van Gennip ist kein Neuling in der Branche: In Sachsen-Anhalt betreibt er | |
eine Anlage mit 65.000 Tieren. In Haßleben sollten anfangs sogar 85.000 | |
Schweine gehalten werden. Doch Bürgerproteste und -einwendungen vor dem | |
zuständigen Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz | |
verhinderten das Schlimmste: Lediglich für 36.000 Schweine wurde die Anlage | |
durch das Amt im Juni 2013 genehmigt. „Gemäß unserer Rechtslage sind alle | |
Voraussetzungen für die Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutz | |
erfüllt. Der Investor hat folglich ein Recht auf die Genehmigung“, schreibt | |
das Amt in einer Stellungnahme. Und weiter: „Aufgrund der bestehenden | |
Rechtslage können ethische und ökologische Aspekte sowie Aspekte der | |
Sinnhaftigkeit des Vorhabens nicht berücksichtigt werden.“ Bisher sorgen | |
jedoch mehrere Widerspruchsverfahren gegen diese Entscheidung dafür, dass | |
die Anlage nicht in Betrieb gehen kann. Bis zu deren Klärung hält der | |
Investor sie notdürftig instand. | |
Gerhard Patzer hat die große Schweinerei schon einmal miterlebt. Wie es | |
war, als hier von 1978 bis 1991 Zehntausende Schweinen auf engsten Raum | |
gehalten wurden. Wie die Böden in der Umgebung all die Gülle mit den | |
Desinfektions- und Medikamentenresten irgendwann gar nicht mehr aufnehmen | |
konnten und schließlich so verseucht waren, dass die Seen in der Umgebung | |
umkippten. Er hat erlebt, wie Bäume innerhalb weniger Wochen abstarben, wie | |
Menschen krank wurden und wie die unzähligen Laster mit den Schweinen, die | |
zum Schlachthof gebracht werden mussten, die Straßen verstopften. „Die | |
ganze Gegend stank doch“, sagt er und schüttelt den Kopf. „Als die Anlage | |
1991 geschlossen wurde, waren alle heilfroh und sagten: Nie wieder | |
Schweinemast.“ | |
Bis 1990 hat Patzer als Elektroingenieur selbst in der Anlage gearbeitet. | |
Dann wollte er nicht mehr und machte sich selbständig. „Die Art und Weise, | |
wie mit den Tieren dort umgegangen wurde, hat mich immer sehr bedrückt und | |
tut es noch heute. Es ging damals, und heute wieder, nur darum, wie man auf | |
engstem Raum so viele Schweine wie möglich unterbringen kann. Mit allen | |
bekannten Folgen für Tiere, Umwelt und Menschen.“ Für solche Tierfabriken | |
sollte es, fordert Patzer, gar keine politische Unterstützung mehr geben. | |
Sybilla Keitel kämpft seit zehn Jahren gegen die Anlage. Die Vorsitzende | |
der Bürgerinitiative „Kontra Industrieschwein“, zu der auch Patzer gehört, | |
ist kurz nach der Wende zusammen mit ihrem Mann in ein ehemaliges | |
Waldhüterhäuschen in der Gegend gezogen. Ihre damals beiden kleinen Kinder | |
sollten nicht nur in der Stadt aufwachsen, sondern wenigstens an den | |
Wochenenden und in den Ferien auch das Landleben kennenlernen. „Das macht | |
mich manchmal ganz fassungslos. Da sitzen doch gebildete Leute, die den Mut | |
haben sollten, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen, wenn sie nicht | |
bloß unmündige Gesetzesvollstrecker sein wollen“, sagt die Ende | |
Fünfzigjährige und meint die Zuständigen im Landesamt für | |
Verbraucherschutz. Immer wieder streicht sich die Berliner Künstlerin | |
energisch die grauen, langen Haare, die sie mädchenhaft offen trägt, aus | |
dem Gesicht, so als könne sie damit auch die drohende Öffnung der | |
Schweinemastanlage einfach wegwischen. „Ich frage mich wirklich, wozu das | |
Amt überhaupt da ist, wenn es eine solche Anlage genehmigen muss? In einer | |
Zeit, in der nicht nur Humanmediziner, sondern auch Tierärzte eindringlich | |
vor den Folgen von Antibiotika in der Massentierhaltung warnen.“ | |
Es gibt viele Exil-Hauptstädter wie Keitel, die den Protest gegen die | |
Verschandelung der Umwelt und der Landschaft voran treiben. Schon zu | |
DDR-Zeiten hatte es zahlreiche Ostberliner hierher gezogen. Nach der Wende | |
kamen dann die Westberliner dazu, die sich in die raue Schönheit der | |
„Toskana des Nordens“ verliebt hatten. „Mit den Berlinern hatte der | |
Investor nicht gerechnet“, sagt Keitel. „Der hatte damals gedacht, er | |
könnte hier im strukturschwachen Osten die Notlage der Menschen ausnutzen | |
und sie mit dem Versprechen auf ein paar Arbeitsplätze einfach auf seine | |
Seite ziehen.“ | |
Tatsächlich haben nicht wenige Menschen in Haßleben damals die Pläne des | |
holländischen Investors begrüßt. Der Ort und die umliegenden Gemeinden | |
leiden unter einer hohen Arbeitslosenrate. Zu DDR-Zeiten lebten hier 1.000 | |
Menschen, die meisten arbeiteten in der Schweinemastanlage. Heute sind es | |
nur noch rund 500 Einwohner, viele von ihnen sind alt oder erwerbslos. Die | |
Jungen ziehen weg. 2004, als das Tauziehen um die Genehmigung begann, | |
gründete sich in Haßleben deswegen auch eine zweite Bürgerinitiative, die | |
sich „Pro Schwein“ nennt. Darin organisierten sich vor allem ehemalige | |
Angestellte der DDR-Schweinemastanlage. | |
## Ein Riss durch den Ort | |
Durch den Ort ging plötzlich ein Riss. Hier die Gegner, dort die | |
Befürworter der Schweinemastanlage. „Haß in Haßleben“ und „Der | |
Schweinekrieg“ titelten damals Boulevardmedien. Mittlerweile ist es ruhiger | |
geworden im Dorf, viele haben ihre Meinung geändert, auch seit bekannt | |
geworden ist, dass es mit der Schaffung von Arbeitsplätzen in solch einem | |
vollautomatischen Betrieb, wie es bei einer Massentierhaltung üblich ist, | |
nicht mehr so weit her ist. Doch mit der Presse reden möchte keiner der | |
„Pro-Schwein“-Initiatoren. | |
Auch der niederländische Investor Harry van Gennip ist sich seiner Sache | |
anscheinend nicht mehr so sicher. Einen Eilantrag auf sofortigen Baubeginn | |
hatte er im Dezember vergangenen Jahres zurückgezogen. Auf Nachfrage lässt | |
er seinen deutschen Unternehmensberater Helmut Rehhahn ausrichten, dass man | |
keine Stellungnahme mehr zu dem Fall Haßleben abgibt. | |
Der Initiative „Kontra Industrieschwein“ ist es hingegen gelungen, viel | |
Unterstützung von Umwelt- und Tierschutzorganisationen zu erhalten, die sie | |
in ihrem Kampf gegen eine erneute Wiederinbetriebnahme unterstützen. Mit | |
ihrer Hilfe wurde zum Beispiel ein Anwalt bezahlt. | |
Und das Bündnis „Wir haben es satt“ organisiert am Sonntag eine | |
Demonstration, für die intensiv auch in Berlin geworben wird und zu der | |
rund 1.000 Teilnehmer erwartet werden. Ihr Sprecher, Jochen Fritz, | |
begründet das so: „Wir haben dem Landesamt genügend stichhaltige Argumente | |
geliefert, um diese Anlage endgültig ablehnen zu können. Haßleben ist damit | |
ein Symbol der verfehlten Agrarpolitik in Deutschland.“ Warum müssten in | |
Brandenburg Schweine für den Weltmarkt produziert werden, wenn schon der | |
Berliner Bedarf an Biofleisch nicht aus der Region gedeckt werden könne, so | |
Fritz. | |
Gerhard Patzer hofft, dass durch den Protest die Verantwortlichen doch noch | |
aufgerüttelt werden können. „Vielleicht können wir ja so noch einmal ein | |
Zeichen setzen.“ | |
28 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Sandra Löhr | |
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