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# taz.de -- Nachrichten von 1914 - 12. Juli: Die Frau mit Bart und Glatze
> Frauen drängen immer stärker in männliche Domänen. Das könnte dazu
> führen, dass wir uns bald an Frauen mit Glatze und Bartwuchs gewöhnen
> müssen.
Bild: Damals visionär, heute Realität: Frau mit Bart.
In der medizinischen Akademie in Paris wurde kürzlich über offenbar mit der
angestrengten Arbeit der Frauen zusammenhängende Abnahme des weiblichen
Haarschmucks verhandelt. Ein Redner meinte unter anderem: Wahrnehmungen an
studierenden Frauen oder solchen, die um harten Erwerbskampf ständen,
drängten ihn zu der Überzeugung, dass die Zeit der weiblichen Glatzköpfe
nicht fern sei. Ja, mit dem Schwinden des zart-weiblichen
Gesichtsausdruckes dürft vielleicht auch die Tendenz zur Haarbildung im
Gesicht Hand in Hand gehen. Die letzte Bemerkung mag wohl übertrieben sein,
aber der wissenschaftlichen Erfahrung ist sie durchaus nicht entgegen.
Mann und Frau zeigen Eigenheiten der Behaarung bei allen Menschenrassen,
welche wir bei keinem Säugetier wiederfinden. Alle haartragenden Säugetiere
besitzen Spurhaare im Gesicht, bei denen ein Blutsack die Feinheit der
Berührungsempfindung mechanisch vermehrt. Beim Menschen ist noch niemals
ein derartiges Blutsackhaar gefunden worden. Beim Menschen behält die Frau
den feinen Wollpelz, den der Neugeborene mit auf die Welt bringt, die ganze
Lebenszeit über auf dem größten Teil der Körperoberfläche, während beim
Manne in höherem Alter fellartige Behaarung den Wollpelz allmählich fast
überall völlig verdrängt.
Bei Säugetieren bringen einige Affenarten als Neugeborene einen feinen
Wollpelz mit auf die Welt, der aber in wenigen Jahren einer derberen
Fellbehaarung weicht. Beim Menschen zeigt aber die Frau die Eigenheit der
Beibehaltung des feinen Wollpelzes weit ausgeprägter als der Mann, der in
höherem Alter in seiner Behaarung wie in vielen anderen körperlichen und
geistigen Eigenheiten den Weg geht in der Richtung, wie sie die anderen
Säugetieren eingeschlagen haben, während die Frau die funktionell
vollkommen menschliche Richtung treuer bewahrte und schärfer zum Ausdruck
brachte. Eine mit zartem Wollpelz bekleidete Frauenhaut ist ein weit
vollkommeneres Sinneninstrument zur Aufnahme von Berührungs-, Druck-,
Wärme- und Kältereizen als eine fellbehaarte Männerhaut.
Eine Eigenheit, welche die Behaarung des Menschen von der aller übrigen
Säugetiere unterscheidet, ist die Glatzenbildung, die wir nur bei einigen
Menschenaffen bei beiden Geschlechtern wiederfinden. Die Behaarung der
[1][Anthropoiden] ist im männlichen und weiblichen Geschlecht eine sehr
ähnliche, im Gegensatz zum Menschen, aber im Einklang mit der Ähnlichkeit
der Lebensweise bei beiden Geschlechtern. Diejenigen Rassen von
Menschenaffen, welche Glatzen haben, bekommen diese in jungen Jahren bei
Männchen und Weibchen. Die Ursache der Glatzenbildung beim Menschen, welche
hauptsächlich beim Manne der haarreichen Menschenaffen sich findet, sehr
selten bisher bei Frauen der haarreichen Rassen und gar nicht bei den
amerikanischen Völkerrassen, scheint darin zu liegen, das der Kopfumfang
des Mannes bis in hohes Alter hin zunimmt, während das Wachstum der Haut
bereits sein Ende erreicht hat.
Die Blutzirkulation in der Kopfhaut leidet bei Druck des Schädels auf die
Hautgefäße von innen, daher verlieren die Haare ihre Widerstandskraft gegen
Infektionen und äußere Schädlichkeiten und fallen aus. Dass bei
Erkrankungen der Gefäße der Haare auch ohne Schädelwachstum Glatzenbildung
als Krankheitsprozess, nicht als erhebliches Rassenmerkmal auftreten kann,
besonders bei Syphilis, ist bekannt. In seltenen Fällen beobachten wir
angeborene Haarlosigkeit der Schädelhaut. In der Mehrzahl der Fälle handelt
es sich aber bei der Glatzenbildung des Mannes um einen erblich auf
bestimmter Lebensstufe eintretenden Prozess, den man sehr wohl mit der
lebenslangen Gehirnentwicklung und Gehirnvergrößerung des Mannes in
Beziehung bringen kann.
Das körperliche Bild eines typischen Philosophen ist unvollständig ohne
Bart und Glatze. Ein Zusammenhang zwischen Kopfform und Glatzenbildung in
dem Sinne, dass hohe Wölbung der Stirn zu Glatzenbildung disponiert, ist
sicher. Je niedriger die Stirn gewölbt ist, desto eher hört Wachstum und
Entwicklung auf und desto länger leibt die Schädelhaut behaart. Bei
Mischung von Rassen soll es zu einer Vergrößerung des Schädelinhalts
kommen, und tatsächlich kommt es auch zu einer Verlängerung der
Entwicklungsperiode und des Wachstums.
Nur der gemischtrassige Mensch wird die Fähigkeiten der ganzen Menschheit,
die in reinen Rassen verstreut und aufgeteilt sind, in sich vereinigen
können und nur sehr spät zu einem Endzustand seiner Entwicklung gelangen.
Dass bei den Kulturnationen das Maximum der Glatzenbildung beobachtet wird,
hängt damit zusammen, das eben Kultur nur an den Zentren der Rassenmischung
entsteht und ihren Höhepunkt erreicht.
Dass bisher die niedrige Wölbung der Frauenstirn mit einem rascheren
Aufblühen und rascheren Stillstand der geistigen Entwicklung Hand in Hand
ging, wird durch die moderne Wachstumsforschung immer deutlicher offenbar.
Schon im Mutterleib entwickelt der weibliche Fötus seine Härchenkerne
früher als der männliche, das Wachstum der Frau in den Reifejahren beginnt
früher und endigt früher als beim Manne. Dass bei der bisherigen
unterschiedlichen Lebensweise die Gehirnentwicklung beim weiblichen
Geschlecht ebensolange Zeit in Anspruch nehme sollte und die gleiche Höhe
erreiche sollte wie beim männlichen Geschlecht, widerspricht aller
Erfahrung. Noch vor wenigen Jahrzehnten war ein weibliches Wesen von 16 bis
18 Jahren ein körperlich und geistig fast völlig ungereimter Mensch. Dem
auch verhältnismäßig dem Manne gegenüber kleinern Gehirn entsprach die
geringere Beanspruchung der höchsten, am spätesten reifenden Gehirnzentren.
Das Schädelwachstum, welches vom wachsenden Gehirn beherrscht wird, gibt,
wenn es in den zwanziger Jahren stillsteht, keinen Anlass zur
Glatzenbildung wie beim Manne, bei dem das Wachstum oft noch nach fünfzig
Jahren von den Hutmachern festgestellt werden kann. Wenn die Frauen unter
immer zunehmendem Verzicht auf die Leistung der Fortpflanzungsfunktion, die
der bei allen Kulturnationen ständig sich steigernde Geburtenrückgang
beweist, sich immer mehr der Ausübung der vom Manne geleiteten
Kulturarbeiten zuwenden, so ist für die Anhänger der [2][Lamarkschen
Anschauungen] die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass allmählich eine
Veränderung der weiblichen Körperform im Sinne der Anpassung an die neue
Arbeitsteilung stattfinden wird.
Da der männliche Körper der Arbeitsleistung des Mannes angepasst ist, wir
eine Anpassung der Frau eine Neuerwerbung eines Teils der männlichen Formen
bedeuten. Die Geschlechtsunterschiede werden sich verwischen, wie sich die
Grenzen der Arbeitsgebiete bereits verwischt haben. Die ständige
Bearbeitung des Großhirns in den Wachstumsjahren wird eine Verlangsamung
des Abschlusses der Gehirnentwicklung veranlassen.
Schon heute kann man finden, dass in steigendem Maße eine Verkürzung der
Kopfhaare bei den geistig schwer arbeitenden Frauen eintritt. Dass in immer
steigendem Maße Glatzenbildung bei diesen Frauen eintritt, dafür gibt es
auch zahlreiche Beispiele. Allerdings wird heute noch die Mehrzahl der
Frauenglatzen durch falsches Haar verdeckt. Dass die Betätigung der Frauen
auf den früher dem Manne zugeteilten Gebieten noch in vielen anderen
Punkten als der Glatzenbildung eine Annäherung an die männliche Körperform
zur Folgen hat und in steigendem Maße zur Folge haben wird, bedarf wohl
kaum neuer Hinweise. Stärkere Muskulatur und stärkere Knochenbildung ist
die Folge stärkerer Beanspruchung des Muskelsystems.
Verlust der Selbstständigkeit des Gefühlslebens und dessen Unterordnung
unter den Verstand bedingt Verlust der Jugendlichkeit des Gefäßsystems,
welche bisher die Weiterentwicklung der weiblichen Form zur männlichen Form
ausgehalten hat. Der Erwerb des männlichen Bartes durch zunehmende
männliche Betätigung der Frauen braucht nicht mit der Erwerbung der Glatze
Hand in Hand zu gehen. Der gemeinsame Wille beider Geschlechter zielt heute
auf Verminderung des Bartwuchses, und selbst beim Manne in Europa
beobachten wir eine steigende Verminderung des männlichen Bartwuchses,
welche nicht bloß durch Rasieren vorgetäuscht wird.
Durch Kreuzung zweier verschiedener Menschenrassen, von denen nur die eine
durch starken Bartwuchs ausgezeichnet ist, wie zum Beispiel die [3][Ainos],
wäre es nach der modernen Erbforschung allerdings denkbar, dass die
weiblichen Nachkommen durch Bartwuchs ausgezeichnet wären, ohne jede
Einbuße der Fortpflanzungsfähigkeit. Derartige Beispiele sind aber bisher
nur ganz vereinzelt beobachtet worden und erregten als Bartdamen Neugierde
und Verwunderung. Wie es mit der Erblichkeit der Frauenbärte steht, wissen
wir nicht, obwohl einzelne der Bartdamen Nachkommen hinterlassen haben. Bei
weiterer Verfolgung des Weges, jede Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau
aufzuheben, gehörte eine zukünftige Eva mit Vollbart und spiegelnder
Glatze, als Symbol der nun wirklich erreichten Arbeitsgleichheit mit dem
Manne durchaus nicht in das Bereich des anatomisch Unmöglichen.
Quelle: Berliner Tagblatt
12 Jul 2014
## LINKS
[1] http://www.duden.de/rechtschreibung/Anthropoide
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Lamarckismus#Lamarcks_Theorie
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Ainu
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