# taz.de -- Nachrichten von 1914 – 18. Juli: Die Aussperrung | |
> Der Arbeitskampf wird härter: Tuchfabrikanten in der Niederlausitz | |
> schließen ihre Betriebe. Mehr als 30.000 Arbeiter und Arbeiterinnen sind | |
> davon betroffen. | |
Bild: Hatten deutlich weniger Rechte als heute: Arbeiterinnen 1914. | |
Heute werden die Tuchfabrikanten, die dem Arbeitgeberverband der | |
Niederlausitzer Tuchindustrie angehören, ihre Betriebe schließen und ihre | |
Arbeiter aussperren. Nach Berechnungen dieses Unternehmerverbandes werden | |
von diesem Tage an 28.700 Arbeiter und Arbeiterinnen mit 143.000 | |
Familienangehörigen die existenzlosen Opfer brutaler Scharfmacherwillkür | |
sein. Die andere Wirkung ist die, dass durch die Aussperrung der | |
Arbeiterschaft auch zahlreiche kleine Unternehmer, besonders in Torst, in | |
die Gefahr kommen, ihre Existenz einzubüßen. | |
Hinzu kommt weiter, dass zahlreiche Firmen aus den Kreisen der Tuchhändler | |
und Konfektionäre, die in der Niederlausitzer Tuchindustrie Aufträge | |
placiert haben, in arge Bedrängnis geraten. Eben hatte das Geschäft in der | |
Tuchbranche etwas lebhafter begonnen, nachdem es durch die Interessenkämpfe | |
bei der Gründung der deutschen Tuchkonvention mehr denn ein Jahr lang | |
schwer beunruhigt worden war, da sind es die Lausitzer Tuchindustriellen, | |
die durch einen vollständig unüberlegten Beschluss Beschluss die ganze | |
Konfektion und den Tuchhandel auf das empfindlichste schädigen. | |
In den letzten Wochen sind die Wollpreise erheblich gestiegen und alle | |
interessierten Kreise sind sich einig, dass wir bei der vorhandenen | |
Wollknappheit noch höhere Preise zu gewärtigen haben. Da sucht sich der | |
Tuchabnehmer noch möglichst umfangreich mit Ware zu versehen, um so mehr, | |
da infolge der Kämpfe, die vor Jahresfrist zwischen Fabrikanten und | |
Abnehmern stattgefunden haben und die zu einer längeren Ordersperre | |
führten, Lagerbestände in gangbaren Waren nicht große vorhanden sind. | |
Besonders die Grossisten, die ihren Abnehmern gegenüber | |
Lieferungsverpflichtungen eingegangen sind, zu deren Erledigung die auf die | |
Ware der Lausitzer Tuchindustrie angewiesen sind, befinden sich in banger | |
Sorge. Den Arbeitern ist es bekannt, dass die Androhung der Aaussperrung in | |
dern Unternehmerkrisen noch größere Bestürzung ausgelöst hat als die | |
Aussperrung des sächsisch-thüringischen Färberverbandes im Jahre 1912. Aber | |
aus dieser Bestürzung muss Empörung werden, wenn jene Kreise erfahren, mit | |
welcher Leichtfertigkeit der Unternehmerverband eine solche wirtschaftliche | |
Katastrophe heraufbeschworen hat. | |
Leider hat sich die bürgerliche Presse wieder dazu hergegeben, die | |
hanebüchensten Unwahrheiten über die Ursachen des Konfliktes zu verbreiten; | |
sie bedenkt nicht, dass sie mit ihrem blinden Hass gegen die Arbeiter dem | |
deutschen Wirtschaftsleben den allerschlechtesten Dienst erweist. Die | |
"Deutsche Tageszeitung" behauptete, für jeden Walkereiarbeiter würden 4 M. | |
Lohnerhöhung verlangt, das müsse den Ruin der Niederlausitzer Tuchindustrie | |
herbeiführen. Wahrheit ist, dass sich die Walkereiarbeiter mit | |
Zugeständnissen zufriedengegeben hätten, die im Durchschnitt für jeden | |
Arbeiter etwa 4 M. Lohnerhöhung pro Woche betragen hätten. | |
Man würdigt ja die ganze Niederlausitzer Tuchindustrie in geringschätziger | |
Weise herab, wenn man behauptet, ihre Konkurrenzunfähigkeit sei gegeben, | |
wenn der Betrieb so ein paar Mark Lohn pro Woche mehr bezahlen müsse. Nur | |
wenige Betriebe beschäftigten in der Walkerei mehr als 1 bis 2 Personen. In | |
einem der großforster Betriebe mit insgesamt 300 Arbeitern sind nur 6 | |
Personen in der Walkerei beschäftigt. Das blöde Geschwätz, dass durch die | |
Lohnforderungen der Walkereiarbeiter die Konkurrenzfähigkeit der Industrie | |
gefährdet werde, muss nun verstummen. | |
Die Walker stellten keine Forderung, die unerfüllbar gewesen wäre. Sie | |
wollten in der Hauptsache, dass durch Festsetzung von Mindestlöhnen der | |
Lohndrückerei ein Ende gesetzt werde. Wie schlimm die Dinge hier liegen, | |
zeigt die Lohnstatistik, die Wochenlöhne von 16 bis 27 M. aufweist. Und | |
diese Lohnstatistik weist die weitere Tatsache auf, dass die höchsten Löhne | |
meist in den kleinsten Betrieben gezahlt werden. Gefordert wurde: für | |
Arbeiter an der Lochwalke 25M., für andere Arbeiter 24 M. Mindestlohn. Die | |
ursprüngliche Forderung war also erheblich niedriger als die jetzt schon | |
gezahlten Höchstlöhne. Bei den Verhandlungen aber ginge die Arbeiter mit | |
den Forderungen noch herab. Hätten die Unternehmer für die etwa 90 bis 100 | |
Personen, die weniger als 24 M. verdienten, eine Lohnzulage gewährt, dann | |
wären die Differenzen aus der Welt geschafft. | |
Aber davon wollten die Unternehmer nichts wissen. Nur für die Arbeiter mit | |
Löhnen unter 19 M. sollte auf diesen Satz gebracht werden. Das betraf nur | |
ganz wenige Personen und konnte die Arbeiter nicht befriedigen. Nachdem die | |
Verhandlungen kein anderes Ergebnis mehr brachten, legten die am | |
schlechtesten entlohnten Arbeiter die Arbeit nieder. | |
Es ist nicht wahr, dass die Niederlegung der Arbeit während der Verhandlung | |
erfolgt ist. Die Verhandlungen waren abgeschlossen; es handelte sich nur | |
noch darum, den Unternehmern schriftlich mitzuteilen, ob die Arbeiter dem | |
ungenügenden Zugeständnis zustimmen oder nicht. Die Walker stimmten nicht | |
zu, und da für die meisten von ihnen keine Kündigungsfrist besteht, | |
gelangten die Unternehmer früher in den Besitz der Nachricht von der | |
Niederlegung der Arbeit wie in den Besitz des ablehnenden Schreibens der | |
Arbeiter. | |
So liegen die Dinge. | |
Jetzt erst, wenn die Öffentlichkeit weiß, welcher Geringfügigkeit die | |
Unternehmer eine solche wirtschaftliche Störung und schwere Schädigung | |
tausender unbeteiligter Arbeiter und Geschäftsleute herbeiführen, wird man | |
zu der Ansicht kommen müssen, dass man es hier mit einer Handlungsweise zu | |
tun hat, deren Brandmarkung nicht scharf genug ausfallen kann. | |
Selbstverständlich hat die Organisation der Arbeiter noch bis in die | |
allerletzte Zeit alles getan, um zu einer Einigung mit den Unternehmern zu | |
kommen; aber die Unternehmer lehnten alles rundweg ab, die wollten keine | |
Einigung. Kampf gegen die Arbeiterschaft um bedingungslose Niederwerfung, | |
das ist das Zeil der Unternehmer. Es geht das deutlich aus allen ihren | |
Publikationen hervor. Den Arbeitern soll durch die Aussperrung und die | |
Hungerpeitsche die Absicht ausgetrieben werden, jemals wieder | |
Lohnforderungen zu stellen. | |
Selbstverständlich wird das nicht gelingen. Gelingen aber wird den | |
Scharfmachern eine enorme Schädigung der Niederlausitzer Tuchindustrie, | |
indem sie, wie wir beim ersten Bekanntwerden der Aussperrungsabsicht schon | |
sagten, ihre Abnehmer und deren Aufträge in andere Bezirke der deutschen | |
Tuchindustrie treiben. Die Aussperrung wird der Öffentlichkeit den Beweis | |
liefern, dass es keine größeren Schädlinge der Volkswirtschaft gibt als | |
blindwütende Unternehmerverbände. | |
Wie wir erfahren haben, sollen von dritter Seite Schritte unternommen | |
worden sein, um den für die Tuch- und Konfektionsgroßindustrie so | |
verhängnisvoll wirkenden Streit aus der Welt zu schaffen. | |
Quelle: Vorwärts | |
18 Jul 2014 | |
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