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# taz.de -- Nachrichten von 1914 – 25. Juli: Sie wollen den Krieg!
> Sie hauen mit der gepanzerten Faust auf den Tisch, dass Europa entsetzt
> emporfährt. Das österreichische Ulitmatum an Serbien macht deutlich: Sie
> wollen bombardieren.
Bild: Im August 1914 wurde dann auch in Deutschland mobilgemacht. Ein Bild vom …
Sie wollen den Krieg, die gewissenlosen Elemente, die in der Wiener Hofburg
Einfluss haben und Ausschlag geben. Sie wollen den Krieg – aus dem wilden
Geschrei der schwarz-gelben Hetzpresse klang es seit Wochen heraus. Sie
wollen den Krieg – das österreichische Ultimatum an Serbien macht es
deutlich und aller Welt offenbar.
Es ist, als wollten die k.k. Machthaber, die man in all den Krisen der
letzten Jahre wegen ihrer hin und her taumelnden Politik der Bluffs und
Blamagen getadelt und verspottet hat, einmal zeigen, dass sie keine
politischen Phäaken sind, dass Ernst und Energie ihnen nicht fremd ist,
dass sie handeln können, und da schlagen sie denn mit der gepanzerten Faust
auf den Tisch, dass das Porzellan klirrt und Europa entsetzt emporfährt.
Denn so unmittelbar vor dem großen blutigen Chaos haben wir in den
Verwicklungen, die dem Balkankrieg folgten, nie gestanden als in den
zweimal vierundzwanzig Stunden, die Berchtolds Regierung dem serbischen
Ministerium als knappe Frist lässt, um seine Drohnote zu beantworten.
Und wenn es Sonnabend sechs Uhr geworden ist, und die serbische Regierung
keine Antwort erteilt oder es für unter ihrer Würde erklärt hat, auf dieses
Papier zu antworten, was dann? Dann bombardieren die österreichischen
Donaumonitore Belgrad, denn marschieren die österreichischen Regimenter
über Save und Drina, dann hebt, selbst, wenn der Konflikt „lokalisiert“
bleibt, ein Menschenwürgen an, gegen das der Balkankrieg ein Kinderspiel
war.
Weil das Blut Franz Ferdinands und seiner Gattin unter den Schüssen eines
irren Fanatikers getroffen ist, soll das Blut Tausender von Arbeitern und
Bauern fließen, ein wahnwitziges Verbrechen soll von einem weit
wahnwitzigeren Verbrechen übergipfelt werden! Aber sprechen einmal die
Kanonen, so ist die Hoffnung auf die „Lokalisierung“ des Konflikts
außerhalb der Redaktionsstube der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung sehr
schwach: mit Serbien verbündet ist Griechenland und Montenegro, die nicht
Gewehr bei Fuß zusehen werden, wenn auf dem Belgrader Kanal die Flagge mit
dem österreichischen Doppeladler aufgezogen wird, und mischt sich gar der
russische Zarismus ins Spiel, der um seiner „eigennützigsten Zwecke willen“
den Protektor der Balkanslawen macht, dann vollzieht sich ganz von selbst
der Aufmarsch von Dreibund gegen Dreiverband in fürchterlicher Kampffront –
das österreichische Ultimatum an Serbien kann der Fidibus sein, mit dem
Europa an allen vier Ecken in Brand gesteckt wird!
Denn dieses Ultimatum ist in keiner Fassung wie in seinen Forderungen
derart unverschämt, dass eine serbsiche Regierung, die demütig vor dieser
Note zurückwiche, mit der Möglichkeit rechnen muss, von den Volksmassen
zwischen Diner und Dessert davongejagt zu werden. Wohlverstanden: wenn die
großserbische Bewegung auch ein Stück der bürgerlichen Revolution des
Südslawentums ist und derart dem Haufen organisierter Verwesung gegenüber,
den das Habsburger Reich darstellt, alles historische Recht für sich hat -
denn der Zerfall der Nationalitätenstaaten und die Bildung von
Nationalstaaten liegt nun einmal auf der Linie der geschichtlichen
Entwicklungen - so kann der Sozialismus doch nicht übrig haben für eine
Propaganda von serbischer Seite, die alle üblen Instinkte des Chauvinismus
aufpeitscht, und erst recht nicht für eine Agitation, die mit Bomben und
Brownings arbeitet.
Solange die österreichisch-ungarische Regierung Herrn Paschitsch nur
ersucht, nach den Mitschuldigen für die Mordtat von Serajewo auf serbischem
Boden zu spüren und sie zur strengen Verantwortung zu ziehen, ist sie ohne
Zweifel in ihrem guten Recht. Wie der derbische Ministerpräsident eben erst
erklärt hat, würde einem solchen Verlangen auch von den Belgrader Behörden
in weitestgehender Weise entsprochen werden.
Aberweil die Kriegshetzer in Wien eine friedliche Lösung nicht wünschen,
deshalb schlägt die Note Berchtholds ganz andere Töne an. In ein paar
Sätzen erklärt sie es für bewiesen, dass der Plan zu dem Anschlag auf Franz
Ferdinand in Serbien über die Grenze geschmuggelt seien. Die Beweise dafür?
Beweise gibt es nicht, es sind halt „Feststellungen“ der k.k.
Untersuchungsrichter und Polizeispitzel, die Europa gutgläubig hinzunehmen
hat.
Aber wer da weiß, wie in dem Agramer Hochverratsprozeß vor wenigen Jahren
die merkwürdigsten „Feststellungen“ auf - schonen ausgedrückt - die
merkwürdigste Weise zustande kamen, wird sich angesichts der neuerlichen
"Feststellungen" eines gefunden Misstrauens nicht erwehren können, und es
ist schon so, wie unser Wiener Parteiblatt schreibt:
„Es gibt nur eine Beweisführung, gegen die kein Einwand erhoben werden
kann, der der durchschlagende Charakter sicher ist, deren Eindruck sich
niemand entziehen können und auch nicht entziehen wollen wird: das ist die
österreichische Gerichtsverhandlung gegen die Attentäter! In der
öffentlichen Verhandlung wird die Wahrheit kund, da steht gleichsam das
ganze Europa die Mitschuld Serbiens, und dann kann keiner mehr die
Forderungen, die wir an Serbien zum Schutze unserer Sicherheit erheben,
unberechtigt aber unbillig schelten! Wenn es wahr ist, dass die
Untersuchung gegen die Attentäter für die Mitschuld Serbiens „untrügliche
Beweise“ geliefert habe, wenn es so wahr ist, als es bestimmt behauptet
wird: dann heraus mit den Beweisen! Dann würde ja der Prozess gegen die
Attentäter zu dem Prozess gegen die serbische Regierung! Deshalb gibt es
nur eine vernünftige und logische Politik ohne Verzug an die öffentliche
Gerichtsverhandlung heranzutreten, ohne weiters Lärmen sie vor Europa
aufzurollen!“
Ein Zeichen für die üble Brüchigkeit seiner Gründe ist es, dass Herr
Brechtold es unterlässt, sich derart, durch unzweifelhafte Beweisführung,
in den Augen Europas eine moralische Rechtfertigung für sein Vorgehen zu
holen und statt dessen drohend mit der Hand an den Säbelgriff fährt. Um so
ungeheuerlicher erscheint, in diesem Lichte gesehen, das Wesen des
Ultimatums. An ein Land, das, durch einen unglücklichen Krieg
zerschmettert, aus tausend Wunden blutende am Boden liegt, kann man
Forderungen stellen, wie Wien sie von Belgrad heischt, aber nicht an ein
Volk, das durch berauschende kriegerische Erfolge und bedeutenden Gebiets
und Machtzuwachs in seinem nationalen Selbstgefühl erheblich gestärkt ist.
Soweit die Forderungen des österreichischen Ministeriums nicht in ihrer
Wirkung sehr platonischer Natur sind - auch mit dem besten Willen könnte
die Belgrader Regierung die großserbische Bewegung so wenig unterdrücken
wie Bismarcks Regierung in Deutschland die sozialistische Bewegung zu
unterdrücken vermochte - bedeuten sie diesem gesteigerten nationalen
Selbstgefühl einen Faustschlag ins Gesicht. Ein Staat, der einwilligt, dass
auf seinem Gebiet Organe einer anderen Regierung zur Unterdrückung
irgendwelcher subversiven Bestrebungen tätig sind, begibt sich aus freien
Stücken seiner Selbstständigkeit und scheidet aus der Reihe der Länder aus,
mit denen zu rechnen ist. Nichts Geringeres aber verlangt, wider alles
geschriebene und verbreitete Völkerrecht, der Punkt 5 der Berchtholdschen
Forderungen, und die Hofräte un den Schreibstuben des k.k. Ministeriums
müssten seltsame Rosaseher sein, wenn sie glaubten, das Serbien dazu Ja
sagen würde.
Aber sie wollen ja, wie betont, den Krieg, die fanatischen Treiber der
schwarzgelben Kriegspartei, und es geht für sie gar nicht um Rechtsfragen,
sondern um Machtfragen: das Attentat von Serajewo war nur ein beiläufiger
Anlass und es handelt sich hier lediglich um ein Stück jener tolldreisten
imperialistischen Balkanpolitik Österreich-Ungarns, die nach so viel
Niederlagen endlich einmal einen Erfolg buchen will: entweder soll das
verhasste Serbien sich bin in den Staub demütigen, oder aber in einem
glorreichen Kriege zerschmettert werden.
Ein Frevel der chauvinistischen Presse Deutschlands war es, den teuren
Bundesgenossen in seinen Kriegsgelüsten auf das Äußerste anzustacheln, und
sonder Zweifel hat auch Herr v. Bethmann Hollweg Herrn Berchthold seine
Rückendeckung zugesagt. Aber in Berlin spielt man dabei ein genau so
gefährliches Spiel wie in Wien. Denn bei einer Abenteuerpolitik weiß mann
immer nur, wie sie anfängt, aber nicht, wie sie aufhört, und es wenn es zu
dem großen europäischen Zusammenstoß kommt, könnten höchst
unerwünschterweise Dinge dabei in die Binsen gehen, die auch in Deutschland
zu den "heiligsten Gütern" gezählt werden. Wie darum die Arbeiterklassen
aller Länder vor der drohenden Weltkriegsgefahr sofort in Bereitschaft
treten müssen, sollte die deutsche Regierung, wenn anders ihr an der
Erhaltung des Friedens gelegen ist, den tobenden Berserkern in Wien noch in
zwölfter Stunde sänftigend in den Arm fallen.
Das und nichts anderes ist, angesichts de schwarz umdüsterten Horizonts,
der Wille des deutschen Volkes!
Quelle: Vorwärts
25 Jul 2014
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