# taz.de -- Nachrichten von 1914 – 28. Juli: Österreich besteht auf Einmarsch | |
> Vor 100 Jahren erklärte Österreich Serbien den Krieg. Ein Zeitungstext | |
> von damals erklärt, weshalb sich Österreich gegen Vermittlungsversuche | |
> wehrt. | |
Bild: Zeichnungen des Schülers Franz Przybyla zu Kriegserlebnissen. | |
Die Botschafter Englands in den Hauptstädten der europäischen Großmächte | |
haben den Regierungen von den Vermittlungsvorschlägen Sir Edward Greys | |
Mitteilung gemacht. Naturgemäß taucht die Frage auf, ob die vorgeschlagene | |
Konferenz nicht ein unpraktisches Instrument wäre, und ob nicht ein | |
Meinungsaustausch zwischen den Kabinetten ihr vorzuziehen sei. Ganz | |
abgelehnt dürfte man indessen den Vorschlag bisher nirgends haben, und | |
überall besteht ja der Wunsch, eine Lösung zu finden, die den Ausbruch | |
eines Weltkrieges zu verhindern vermag. | |
Die deutsche Regierung stimmt, wie wir im heutigen Morgenblatt gesagt | |
haben, den Vermittlungsaktionen zu, falls Österreich-Ungarn nicht dagegen | |
Einspruch erhebt. Eine Vermittelung gegen den Willen Österreichs müsste | |
resultatlos bleiben und wird in Berlin abgelehnt. | |
In Wien und in österreichischen diplomatischen Kreisen erklärt man heute | |
mit Entschiedenheit, dass man nicht in der Lage sei, auf | |
Vermittelungsvorschläge einzugehen. Man wolle freie Hand behalten, um die | |
Angelegenheit mit Serbien selbstständig zu regeln, und man müsse auf dem | |
Einmarsch der österreichischen Truppen in Serbien bestehen. Es ist | |
begreiflich, dass Österreich-Ungarn im gegenwärtigen Stadium auf diesen | |
militärischen Einmarsch nicht verzichten will, und der Greysche Vorschlag | |
leidet, wie wir schon bemerkt haben, daran, dass ein Verzicht auf solche | |
militärische Operationen bis zur Beendigung der Konferenzarbeit gefordert | |
wird. | |
Einen solchen Verzicht kann man im Interesse des Friedens für wünschenswert | |
halten, aber mit den besten Wünschen kommt man nicht vorwärts, wenn | |
derjenige sie zurückweist, bei dem die Entscheidung liegt. Die | |
österreichische Erklärung, dass keine Vermittelung akzeptiert werden könne, | |
braucht sich nicht unbedingt auf den Greyschen Vorschlag zu beziehen, der | |
ja klugerweise nicht eine Verständigung zwischen Österreich und Russland | |
erstrebt. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass man in Wien auch dieser | |
Idee abweisend gegenüberstehen wird, solange sie verquickt mit der | |
Einmarschfrage bleibt. | |
Von dieser Absicht, zunächst einmal in Serbien einzumarschieren, wird | |
Österreich-Ungarn kaum abzubringen sein. Welche Beschlüsse Russland dann | |
fassen und für welche Haltung es sich entscheiden wird, weiß man heute im | |
Grunde selbst in den am Besten informierten Kreisen nicht. Niemand verkennt | |
wohl die Größe der Gefahr, und darum sollten die diplomatischen Vermittler | |
zunächst und vor allem erwägen, wie und durch welche Mittel man über diesen | |
kritischen Moment heil hinwegkommen könnte und wie der Eindruck des | |
kriegerischen Vorgehens zu mildern sei. Dass Österreich-Ungarn in seiner | |
Aktionsfreiheit nicht von außen her beschränkt werden kann und darf, steht | |
fest. Aber es könnte sein, dass es selber weniger an einen Krieg in großem | |
Umfange, als zum mindesten vorläufig an eine Besetzung entscheidender | |
strategischer Punkte denkt. | |
Vielleicht sollten, soweit Österreich sich dazu bereit findet, die | |
diplomatischen Erörterungen in dieser Richtung gehen. Nach einer | |
militärischen Drohmaßregel Russlands würde eine Begrenzung der Aktion in | |
Serbien, auch wenn sie jetzt beabsichtigt sein sollte, schon aus | |
Prestigegründen kaum möglich sein. Aber die Vorbedingung bleibt immer, dass | |
man in Wien solche Aussprachen akzeptiert. Und dass man sie in Petersburg | |
nicht durch Maßnahmen, die einer Pression gleichen, unmöglich macht. | |
In einem Artikel der „Kölnischen Zeitung“ finden sich einige Sätze, denen | |
man unserer Meinung nach zustimmen kann. Es wird dort gesagt: „Es sind | |
persönliche Händel, welche die Österreicher mit den Serben auszumachen | |
haben: man lasse sie gewähren, bis der Mord von Serajewo gesühnt ist. Dann | |
mag die Politik wieder einsetzen. Sollte dann Österreich-Ungarn gegen seine | |
europäischen Pflichten nich nur, sonder auch gegen die Gebote der Klugheit | |
verstoßen und versuchen, aus der Sühneaktion allerlei politische Vorteile | |
zu gewinnen, die andere beeinträchtigen – eine Möglichkeit, die wir schon | |
jetzt von der Hand weisen -, dann mag man berechtigte Ansprüche zur Geltung | |
bringen. Das deutsche Volk, und sicherlich auch die deutsche Regierung, | |
wird dann darüber mit derselben Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit befinden, | |
mit der es heute zur Wahrung seiner selbst und seiner nationalen Interessen | |
dem Bundesgenossen – und gehe es hart auf hart – den Rücken deckt.“ | |
Die spätere Gestaltung der Dinge und die politischen Konsequenzen, die | |
Österreich-Ungarn aus seinem militärischen Unternehmen ziehen wird, gehen | |
in der Tat alle europäischen Großmächte an. Österreich hat auf das | |
bestimmteste erklären lassen, dass es keinenTerritorialerwerb wolle, und | |
diese Erklärung ist auch in Petersburg bekannt. Aber es gibt natürlich ncoh | |
viele andere Forderungen, die von Wien aus erhoben und die für andere | |
Großmächte unannehmbar sein könnten und es wird die gemeinsame Aufgabe | |
sein, dann die Lösung zu schaffen, die gerecht und billig erscheint. Heute | |
gilt es, die Gefahr zu mindern, die, wie jeder sieht, in der Stunde nach | |
dem österreichischen Einmarsch droht. Man kann das Unvermeidliche, die | |
schon fast vollzogene Tatsache bedauern, aber man kann nicht dagegen | |
anrennen und muss seine Kombinationen, statt auf Voraussetzungen, die nicht | |
mehr zutreffen, auf der Basis des Wirklichen und Möglichen bauen. | |
Sir Edward Grey ist ein Staatsmann, dessen Erfahrung wir alle hoch bewerten | |
und dessen aufrichtig friedliches Streben in diesem Augenblick – obgleich | |
nach seiner Rede die Neutralität Englands im Falle eines allgemeinen | |
Zusammenstoßes mindestens fraglich bleibt – keinem Zweifel unterliegt. Es | |
wäre wünschenswert, dass er seine Bemühung den realen Verhältnissen der | |
gegenwärtigen Stunde anpasste und dass er den Weg fände, auch in der | |
militärischen Frage das Erreichbare in den Vordergrung zu stellen. | |
Quelle: Berliner Tagblatt | |
28 Jul 2014 | |
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