# taz.de -- Nachrichten von 1914 – 31. Juli: Deutschland im Kriegszustand | |
> Wegen der Mobilmachung Russlands hat der Kaiser im Deutschen Reich den | |
> Kriegszustand ausgerufen. In Österreich wird bald die gesamte Armee | |
> mobilisiert. | |
Bild: Ruft vor 100 Jahren den Kriegszustand aus, die Vorstufe zur Mobilisierung… | |
Die Situation war heute im Laufe des Vormittags durch zwei Tatsachen weiter | |
und in sehr schwerwiegender Weise verschärft worden. Es traf die Nachricht | |
ein, daß Rußland nunmehr seine ganze Armee und seine Flotte mobilisieren | |
wolle. Gleichzeitig verstärkte sich der Eindruck, daß die Verhandlungen, | |
durch die man von Berlin aus eine Einigung zwischen Österreich-Ungarn und | |
Rußland zu erzielen versuchte, resultatlos bleiben würden. Rußland fordert, | |
wie wir glauben sagen zu können, daß Österreich-Ungarn am Schlusse des | |
Krieges nicht allein keine territorialen Ansprüche erhebe – | |
Österreich-Ungarn hatte selbst von Anfang an erklärt, daß es keine | |
territoriale Vergrößerung wünsche, – sondern die russische Regierung | |
verlangt auch, daß Österreich-Ungarn sich verpflichte, die | |
Souveränitätsrecht Serbiens nicht anzutasten. | |
Eine über diesen Punkt nach Wien gerichtete Anfrage ist bis zur Stunde | |
unbeantwortet geblieben und von österreichischer diplomatischer Seite wird | |
erklärt, daß jede Verhandlung nach dieser Richtung hin aussichtslos bleiben | |
werde. Österreich-Ungarn würde nach Übernahme einer derartigen | |
Verpflichtung jeder Möglichkeit beraubt sein, aus dem Kriege mit Serbien, | |
den es jetzt führt, überhaupt einen Vorteil zu ziehen und sich den | |
notwenidgen Schutz gegen die großserbische Gefahr zu sichern. | |
Es lagen ferner heute Morgen hier an amtlicher Stelle Nachrichten vor, die | |
deutlich zeigten, daß die russischen Versicherungen, Russland rüste nur | |
gegen Österreich-Ungarn, nicht gegen Deutschland, mit den wirklichen | |
Vorgängen nicht übereinstimmten. Es ging aus diesen Nachrichten hervor, daß | |
Russland an der deutschen Grenze sehr umfangreiche Kriegsvorkehrungen | |
treffe und daß diese Vorkehrungen schon ziemlich weit gediehen seien. | |
Unter diesen Umständen wurden mittags die leitenden Persönlichkeiten der | |
Armee und der Flotte und des Auswärtigen Amtes zu einer Konferenz im | |
Reichskanzlerpalais zusammenberufen. Diese Konferenz währte bis 1 Uhr und | |
es herrschte in ihr naturgemäß eine überaus ernste Stimmung. Vor dem | |
Reichslanzlerpalais hatte sich, durch die vorfahrenden Automobile und | |
[1][Equipagen] aufmerksam gemacht, eine große Menschenmenge eingefunden, | |
die mit Spannung zu den Fenstern hinaufblickte, hinter denen, wie sie nicht | |
mit Unrecht vermutete, entscheidende Beschlüsse gefaßt wurden. Unmittelbar | |
nach Schluß der Konferenz wurde uns die Mitteilung gemacht, daß auf Grund | |
des Artikels 68 der Verfassung der Kriegszustand in Deutschland erklärt | |
worden sei, was indessen noch nicht einer Mobilmachung gleichkommt. | |
Der Kaiser verlegt heute Nachmittag seine Residenz von Potsdam nach Berlin. | |
Wir haben diese Nachrichten darauf in einem Extrablatt in vielen | |
hunderttausend Exemplaren in ganz Berlin verbreiten lassen, wo sie | |
naturgemäß eine ungeheure Bewegung hervorriefen. Etwas später teilte das | |
offiziöse Wolffsche Bureau den Beschluß in folgender Form mit: | |
„Aus Petersburg ist heute die Nachricht des deutschen Botschafters | |
eingetroffen, daß die allgemeine Mobilmachung der russischen Armee und | |
Flotte befohlen worden ist. Darauf hat Seine Majestät Kaiser Wilhelm den | |
Zustand der drohenden Kriegsgefahr befohlen. Seine Majestät wird heute nach | |
Berlin übersiedeln.“ | |
Eine weitere amtliche Note, die durch das offiziöse Bureau ausgegeben | |
wurde, gibt die Meldung in folgender Fassung: | |
„Seine Majestät der Kaiser haben auf Grund des Artikels 68 der | |
Reichsverfassung das Reichsgebiet ohne Bayern in Kriegszustand erklärt. Für | |
Bayern ergeht die gleiche Anordnung.“ | |
Wir wollen noch eine Mitteilung, die wir von hoher diplomatischer | |
österreichischer Seite erhalten haben, hinzufügen: Die Mitteilung, daß die | |
Mobilmachung der gesamten östereichisch-ungarischen Armee unmittelbar | |
bevorsteht. | |
Was der in Deutschland angeordnete Kriegszustand rechtlich und praktisch | |
bedeutet, sagen wir weiter unten. Er ist, um es zu wiederholen, noch nicht | |
die Mobilisierung, aber er geht der Mobilisierung nur voran. Rußland und | |
seine Verbündeten können sich keinem Zweifel mehr darüber hingeben, das | |
Deutschland fest entschlossen ist, vor den Drohungen Rußlands nicht | |
zurückzuweichen, und daß es, bei all seiner heißen und tiefwurzelnden | |
Friedensliebe, aus der Lage auch die letzten Konsequenzen ziehen wird. Wir | |
alle empfinden diesen Krieg, der drohend vor uns steht, als ein | |
ungeheuerliches Unglück, das über hunderttausende friedlicher Menschen | |
hereinbricht. Aber jeder in Deutschland ist in dieser schweren Stunde | |
bereit, seine Pflicht zu tun. | |
Quelle: Berliner Tageblatt | |
31 Jul 2014 | |
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