# taz.de -- Nachrichten von 1914 – 14. Juli: Das Anschwellen der Rüstungen | |
> Kein anderes Land hat so viel für Rüstung ausgegeben wie Deutschland. | |
> Doch bei den Pro-Kopf-Ausgaben hat noch immer eine andere Großmacht den | |
> ersten Platz inne. | |
Bild: Deutsches Kampfflugzeug 1914. | |
Mit sichtlicher Befriedigung stellt die „patriotische“ Presse an der Hand | |
des neuen „Nautikus“ fest, dass im laufenden Jahre Deutschland von allen | |
großen Militärstaaten der Welt sich die größten Rüstungsausgaben leiste. | |
Offenbar ein Rekord, auf den wir alle Ursache haben, stolz zu sein! Leider | |
Gottes ist es uns noch immer nicht gelungen, auch auf den Kopf der | |
Bevölkerung die höchste Rüstungslast zu werfen. | |
Frankreich allerdings, dessen musterhafte Patriotismus bisher dem filzigen | |
deutschen Steuerzahler in den höchsten Türmen gerühmt wurde, ist auch auf | |
diesem Gebiete von uns geworfen worden; aber Großbritannien ist uns immer | |
noch über. Kein Wunder, dass "Nautikus" – wie unschwer aus seinen | |
verschiedenen Aufsätzen herauszulesen ist – uns für die kommenden Jahre | |
noch erhöhte Flottenbewegungen in Aussicht stellt: stärkere Indiensthaltung | |
von Schiffen, stärkere Auslandsflotten. | |
Was daraus in der Agitation des Flottenvereins und des Wehrvereins werden | |
wird, können wir leicht erraten. Ich wette darauf, dass man auch mit | |
größeren Forderungen für Raubbauten an Unterseeboten, Luftzeugen und | |
dergleichen, wird vielleicht aber auch an Großkampfschiffen kommen wird. | |
Diese werden ohnehin von Jahr zu Jahr teurer; und von der Möglichkeit einer | |
Verringerung ihrer Größe hütet sich "Nautikus" zu reden. | |
Nun muss man immer wieder darauf hinweisen, dass die Berechnung der | |
Rüstungsausgaben auf den Kopf der Bevölkerung nur und lediglich | |
agitatorischen Wert hat, aber für den tatsächlichen Druck, mit dem der | |
Steuerzahler in den einzelnen Ländern belastet ist, gar keine Bedeutung | |
besitzt. In einem wohlhabenden Volke kann der einzelne Steuerzahler | |
natürlich mehr militärische Ausgaben ertragen als in einem ärmeren oder | |
ganz armen. | |
Nicht die absolute Ausgabe, sondern ihr Verhältnis zu seinen Einnahmen und | |
zu seinen sonstigen Leistungen für den Lebensunterhalt seiner Familie ist | |
das Entscheidende. Der einzelne Engländer kann ohne Schaden eine Anzahl | |
Mark mehr für Heer und Flotte anlegen, weil er im Durchschnitt mehr | |
verdient als der einzelne Deutsche und weil eine stark progressive | |
Einkommen- und Erbschaftssteuer die Lasten hauptsächlich auf die | |
wohlhabenden Schichten der Bevölkerung wirft. Und andererseits wird der | |
einzelne Russe, obwohl er nur 11,5 Mark an Mehrausgaben zahlt, dadurch | |
mindestens ebenso bedrückt werden, wie der Deutsche, dem fast das Dreifache | |
aufgebürdet wird. | |
Aber mit dieser Kopfberechnung gehen unsere Rüstungsschwärmer immer noch | |
[krebsen] und fangen so manchen Dummen ein. | |
Davon abgesehen sind natürlich die Angaben des „Nautikus“, wie die ganze | |
amtliche deutsche Statistik, mit größter Vorsicht zu genießen. Sie | |
berechnen die deutschen Rüstungsausgaben zu gering und nehmen sich nicht | |
die Mühe, die Budgets der einzelnen Großmächte, die nach recht | |
verschiedenen Gesichtspunkten aufgestellt sind, zu vergleichbaren Größen | |
umzugestalten. Aber selbst mit dieser Beschränkung beweisen sie immerhin, | |
in wie erschreckendem Maße die Wehrausgaben von Jahr zu Jahr gestiegen | |
sind, und wie sie mehr und mehr die Mittel für Kulturausgaben und soziale | |
Verbesserungen zu beschneiden beginnen, oder soll ich nicht lieber sagen: | |
fortfahren? | |
Nach „Nautikus“ zahlt Deutschland im laufenden Jahre für Heer und Flotte 2 | |
338 Mill. Mark. In Wahrheit fehlen hier noch – außer einer Zahl kleinerer | |
Ausgaben – rund 140 Millionen für Pensionen und mindestens ebenso viel an | |
Zinsen für die zu kriegerischen Zwecken (Festungen, Schiffe, Waffen, | |
Vorräte aller Art) aufgenommenen Anleihe. Die wirkliche Ausgabe wird also | |
nicht sehr weit von 2,7 Milliarden entfernt bleiben. | |
Aber legen wir einmal die ungenauen Zahlen des „Nautikus“ zugrunde, so | |
folgen zurzeit die Großmächte in folgender Ordnung aufeinander, wobei für | |
Deutschland der auf 1914 entfallende Wehrbeitrag und für Frankreich die | |
neueste Anleihe von 800 Millionen Frank mitgerechnet sind. | |
Wir sehen wahrhaftig: Deutschland in der Welt voran! | |
Ich darf Hierbei nochmals darauf hinweisen, dass z.B. Japan, das mit seinen | |
55 Millionen Einwohnern nur hinter Russland, den Vereinigten Staaten und | |
Deutschland zurücksteht, dennoch trotz seiner verhältnismäßigen geringen | |
Rüstungsausgaben von ihnen fast erdrückt wird und in schwerster | |
finanzieller Bedrängnis sich befindet. | |
Die obige Ziffer von 10 ½ Milliarden Mark ist sicherlich erschreckend hoch; | |
sie wird aber noch viel höher, wenn man die vom „Nautikus“ diskret | |
verschwiegenen Millionenausgaben hinzurechnet. Und dann ergibt sich noch | |
sinnfälliger, wieviel glücklicher in dieser Beziehung die neue Welt | |
dasteht, obwohl auch dort die militärischen Ausgaben allmählich steigen. | |
Die Vereinigten Staaten zählen 99 Millionen Einwohner; Deutschland und | |
Frankreich zusammenkommen nur 10 Millionen mehr, sie geben aber erheblich | |
mehr als das Vierfache für kriegerische Zwecke aus. In so ungeheurem Maße | |
wird den Staaten der alten Welt der friedliche, kulturelle Wettbewerb mit | |
denen der neuen erschwert. Und diese ganze Rüstungswut lässt sich | |
schließlich auf das gespannte, dass misstrauische, das eifersüchtige | |
Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland zurückführen, das in den | |
breiten Volksschichten längst im Schwinden wäre, wenn es nicht von den | |
herrschenden Klassen immer wieder geschürt würde. Wenn hier die Einsicht | |
wahrhaft patriotischer Leute auf beiden Seiten, die zugleich im besten | |
Sinne des Wortes internationale Patrioten wären (ich wage das Wort), | |
durchbräche, dann träfe man das Übel in seinem Kern und dann, aber auch nur | |
dann, könnte man hoffen zu einer Gesundung zu gelangen. Denn an den Unsinn, | |
dass diese Rüstungen nötig seien, um die Völker mannhaft, kräftig, | |
lebensfähig zu erhalten, glauben heutzutage nicht einmal die mehr, die ihn | |
so geschäftig verbreiten. | |
Zählt man alle militärischen Ausgaben zusammen, wie es sich gehört, so | |
werden allein die sechs Großstaaten Europas Jahr für Jahr jetzt 10 | |
Milliarden Mark für unfruchtbare Zwecke ausgegeben, und diese Lasten zeigen | |
noch immer, das Bestreben, weiterzusteigen. Rechnen wir allein die | |
Ausgaben, die Deutschland in den zehn Jahren 1905 bis 1914 für seine | |
Mehrhaftigkeit getragen hat, so gelangen wir (beträchtlich höher als | |
„Nautikus“) zu der rieseigen Summe von | |
16 Milliarden Mark! | |
Aber die Liebert, Keim und Köster meinen, das sei nicht genug! | |
Quelle: Vorwärts | |
14 Jul 2014 | |
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