| # taz.de -- Brasilianischer Aktivist über die WM: „Wir sind kein Fußballlan… | |
| > Argemiro Ferreira Almeida über die Veränderungen durch WM und Proteste – | |
| > und über den langen Weg der Gegenöffentlichkeit. | |
| Bild: Argemiro Ferreira Almeida ist sich sicher: Die WM ist vorbei, aber die Pr… | |
| taz: Herr Ferreira Almeida, die WM ist vorbei. Was für gesellschaftliche | |
| Auswirkungen hat das Spektakel gehabt? | |
| Argemiro Ferreira Almeida: Eigentlich ist die WM noch nicht vorbei, sie | |
| wird für uns noch lange weitergehen. Die Spiele, der Bau der Infrastruktur, | |
| das Modell der Stadtentwicklung – alles orientierte sich an kommerziellen | |
| Kriterien und Interessen. Dieses Modell bleibt und damit auch die Probleme, | |
| die es verursacht. | |
| Welche meinen Sie? | |
| Allen voran die soziale Ausgrenzung. Das bedeutet auch, dass es weiter | |
| Proteste geben wird, wobei unklar ist, in welcher Form und Intensität. | |
| Dabei spielt das dramatische Ausscheiden der Brasilianer auch eine Rolle. | |
| Viele Leute, die aus unterschiedlichen Gründen während der WM nicht mehr | |
| auf die Straße gehen wollten, sagen jetzt: Der Spuk ist vorbei, jetzt ist | |
| wieder Motivation zum Demonstrieren da. | |
| Was hat die Blamage gegen Deutschland ausgelöst? | |
| Natürlich erst einmal eine riesige Enttäuschung. Aber die Menschen | |
| reflektieren darüber. So wie bei den Deutschen müsse es gemacht werden, im | |
| Fußball, aber auch generell, sagen sie. Immer waren wir die Besten, jetzt | |
| plötzlich nicht mehr. Wenn das, was uns im Fußball als Wahrheit verkauft | |
| wurde, nicht stimmte, dann auch nicht in anderen Bereichen. Nicht im | |
| Fußball, nicht bei Gesundheit und Bildung, nicht beim Verkehr. So wie unser | |
| Fußball demaskiert wurde, werden jetzt auch andere Dinge hinterfragt. | |
| Emanzipation dank Deutschland? | |
| Die Komitees haben immer gesagt, dass das Land soziale Investitionen | |
| braucht. Deswegen auch die Kritik an den Stadien, die nur prunkvollen | |
| Events dienen, den Breitensport aber außen vor lassen. Aber wenn sich | |
| niemand um den Nachwuchs kümmert, ist es kein Wunder, wenn die Leistungen | |
| oben irgendwann einbrechen. Der Zusammenbruch der brasilianischen | |
| Mannschaft – der nicht den Deutschen zuzuschreiben ist – ist ein Beispiel | |
| dafür, dass wir recht haben. | |
| Die Kritik an Fußballer-Leistungen führt also zu einer politischen Kritik? | |
| Nicht zwingend. Aber durchaus möglich. Vor allem, weil es uns gelungen ist, | |
| eine Gegenöffentlichkeit herzustellen. Trotz aller Propaganda von oben gab | |
| es überall Informationen zu den Problemen dieser WM und den verfehlten | |
| Vorgaben von Regierung und Fifa. Ganz Brasilien kennt unsere Kritikpunkte. | |
| Also ein Erfolg der Protestbewegung? | |
| In gewissem Sinn waren wir jetzt sogar erfolgreicher als 2013, denn damals | |
| waren zwar die Massen auf den Straßen sichtbar, aber oft fehlte es an | |
| klaren Inhalten. Seitdem sind unsere Positionen überall präsent, im | |
| Internet und sogar in der internationalen Presse, da wir zumindest in | |
| Salvador oft mehrsprachig arbeiten und aus Prinzip keine einzige der | |
| unzähligen Interviewanfragen abgelehnt haben. | |
| Wie wird es jetzt weitergehen mit den Komitees? | |
| Als wir vor Jahren mit der Arbeit begonnen hatten, sagten wir, dieser | |
| Prozess geht nur bis zum Ende der WM. Dann lösen wir uns auf und die | |
| Gruppen und Bewegungen, die im Komitee vertreten sind, machen die Arbeit | |
| innerhalb ihrer Strukturen weiter. Doch jetzt überlegen wir gerade, ob die | |
| Komitees nicht weiter bestehen und neue Gruppen hinzugewinnen sollten. | |
| Einfach weil sich sehr viel Erfahrung und auch eine gute, dialogorientierte | |
| Praxis entwickelt haben. | |
| Aber die WM ist doch vorbei? | |
| Schwerpunkt einer zukünftigen Arbeit wäre Stadtpolitik, der Kampf gegen | |
| soziale Säuberungen und gegen eine kommerzielle Ausrichtung der | |
| Stadtentwicklung. Aber das wird gerade diskutiert, noch wurde nichts | |
| entschieden. | |
| Hat sich die Ausgangslage für politische Arbeit verändert? | |
| Wir sind kein „Fußballland“ mehr, das ist ein großer Fortschritt. Gut ist | |
| auch, dass die Menschen ihre Schwächen sehen und anerkennen. Denn neben dem | |
| Fußball gibt es viele Probleme, die angegangen werden müssen. Das ist zwar | |
| ein langwieriger Prozess, aber aus meiner Sicht ist diese veränderte | |
| Einstellung zu Problemen die wichtigste Folge der WM. | |
| Ein Beispiel: Vorher haben alle auf ein Wunder von Neymar gehofft. Dann | |
| brach alles zusammen. Jetzt wissen sie, dass wir auch mit Neymar verloren | |
| hätten. Die Dinge müssen also selbst angepackt werden. Es drängt sich der | |
| Eindruck auf, dass da oben etwas nicht stimmt, dort, wo so viel Geld | |
| verdient wird. Die Begeisterung, die Passion am Fußball wurde gedämpft, an | |
| ihre Stelle tritt etwas mehr Rationalität. Nicht erst seit dem Halbfinale, | |
| sondern schon lange vorher. Das macht Hoffnung. Auf alle Fälle war diese WM | |
| nicht so, wie sie sein sollte, wie die Fifa es wollte. | |
| 15 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Behn | |
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