# taz.de -- Anonyme Änderungen in der Wikipedia: Banale Bundesstreber | |
> Automatisierte Twitter-Konten überwachen, wie Industrie und Regierungen | |
> Wikipedia-Einträge verändern. Bisher haben sie aber wenig Skandalöses | |
> gefunden. | |
Bild: Die Wikipedia lässt sich nicht ganz so einfach manipulieren. | |
BERLIN taz | Der Propaganda-Krieg um die Ukraine hat – wie fast jede | |
öffentliche Kontroverse – auch die Wikipedia erreicht. Wie [1][der | |
britische Telegraph berichtet], hat jemand aus dem Netz des russischen | |
staatlichen Rundfunks den Wikipedia-Artikel über den abgestürzten Flug MH17 | |
mit der Behauptung ergänzt, dass das Flugzeug von ukrainischen Soldaten | |
abgeschossen wurde. Auf der anderen Seite wurde eine Reporterin [2][des | |
russischen Staatssenders RT America] aus dem Netz des amerikanischen | |
Repräsentantenhauses als „Propagandistin“ beschimpft. | |
Solche Edit-Wars sind seit einem Jahrzehnt Alltag in der | |
Online-Enzyklopädie Wikipedia: Sie wird komplett von Freiwilligen | |
geschrieben und ist damit prinzipiell anfällig für Manipulationen aller | |
Art. Nicht einmal eine E-Mail-Adresse muss angegeben werden, um die | |
Enzyklopädieartikel umzuschreiben. | |
Völlig anonym sind solche Änderungen, genannt „Edits“, dennoch nicht. Und | |
so kamen die Manipulationen zum Propaganda-Krieg um die Ukraine durch eine | |
Reihe neuer Twitter-Bots an die Öffentlichkeit. Diese Programme suchen im | |
Datenstrom der Wikipedia gezielt nach Internetadressen von staatlichen | |
Institutionen oder Firmen und veröffentlichen sie auf Twitter. | |
## Parlamente, Regierungen, Ölindustrie | |
Den Anfang machte der Twitter-Account [3][@parliamentedits], der die | |
Änderungen aus dem britischen Parlament auflistete, dann kam die US-Ausgabe | |
[4][@congressedits], gefolgt von branchenspezifischen Accounts wie | |
[5][@oiledits]. Mehrere der Accounts hatten schnell Tausende Follower, doch | |
spektakuläre Manipulationen entdeckten sie nicht. Denn so plumpe Änderungen | |
wie um den Flug MH17 werden von den Wikipedia-Autoren sofort entdeckt und | |
oft innerhalb von Sekunden rückgäng gemacht – egal ob eine staatliche | |
Adresse dahintersteht oder nicht. | |
Die deutschen Ableger der Transparenztwitteria zeigen dann auch ein Bild | |
der Langeweile. Unter [6][@bundesedit] erfährt man, dass aus dem Netz der | |
Bundeswehr [7][ein Link auf eine Bundeswehrseite] gesetzt wurde, ein | |
mutmaßlicher Mitarbeiter des Bundestags [8][ergänzt einen Buchverweis] beim | |
Kölner Schriftstellers Volker Kutscher. Die meisten anonymen Änderungen | |
sind aber Verbesserungen von Rechtschreibfehlern. Die Mini-Ausbesserungen | |
waren soweit in der Überzahl, dass @bundesedit sie nun herauszufiltern | |
versucht. | |
## „Banal und langweilig“ | |
Wer meint, über anonyme Edits die Wikipedia manipulieren zu können, hat in | |
den letzten Jahren nicht aufgepasst. So sorgte schon der Verdacht, der | |
jetzige FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner habe verdeckt seinen | |
Wikipedia-Eintrag manipulieren wollen, für [9][Schlagzeilen] und einen | |
[10][Rechtsstreit]. Zudem stehen anonyme Änderungen bei Wikipedia unter | |
einem Generalverdacht und werden schnell rückgängig gemacht, wenn sie | |
unbelegte Behauptungen enthalten. | |
Für Wikipedianer sind solche Streitigkeiten ein alter Hut. „Es gibt | |
sicherlich irgendwo den Sachbearbeiter im Forstwirtschaftsministerium, der | |
Kritik an seinem Minister löschen will, aber dies ist noch lange keine groß | |
angelegte Manipulation“, schreibt Wikipedia-Autor [11][Michael | |
Schmalenstroer in seinem Blog]. Für ihn ist der Account @bundesedit deshalb | |
kein Mittel, die Transparenz zu erhöhen, sondern „recht banal und | |
langweilig“. | |
Wer Wikipedia-Artikel nachhaltig manipulieren will, muss sich schon | |
schlauer verhalten. So hatten Wikipedia-Aktivisten im vergangenen Jahr ein | |
[12][Netzwerk Hunderter Fake-Accounts entdeckt], die gezielt dazu angelegt | |
waren, Einträge der Kunden eines PR-Unternehmens aufzuhübschen. Die | |
Twitter-Bots sind angesichts solcher Methoden jedoch machtlos: Die | |
Absendeadressen von Accountinhabern veröffentlicht Wikipedia nämlich nicht. | |
21 Jul 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.telegraph.co.uk/technology/news/10977082/Russian-government-edit… | |
[2] http://rt.com/news/173528-us-congress-edit-wikipedia/ | |
[3] http://twitter.com/parliamentedits | |
[4] http://twitter.com/congressedits | |
[5] http://twitter.com/oiledits | |
[6] http://twitter.com/bundesedit | |
[7] http://de.wikipedia.org/w/index.php?diff=132248051&oldid=131972821 | |
[8] http://de.wikipedia.org/w/index.php?diff=132230288&oldid=128437812 | |
[9] /!108771/ | |
[10] http://www.heise.de/newsticker/meldung/FDP-Politiker-laesst-kritische-Link… | |
[11] http://schmalenstroer.net/blog/2014/07/bundesedit/ | |
[12] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Werbung-in-Wikipedia-Wikimedia-Foun… | |
## AUTOREN | |
Torsten Kleinz | |
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