Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wikipedia-Konferenz in Leipzig: Die Macht der Admins
> Kulturwissenschaftler Andreas Möllenkamp, Mitorganisator der
> Wikipedia-Konferenz, über die Elite der Wiki-Administratoren,
> Manipulation von Texten und distanzierte Dozenten.
Bild: "Viele Unternehmen versuchen, die Einträge bei Wikipedia zu schönen."
Herr Möllenkamp, Sie haben die erste Wikipedia-Konferenz in Deutschland
mitorganisiert. Was ist ihr Konzept?
Andreas Möllenkamp: Die Konferenz bringt erstmals alle Beteiligten
zusammen: Forscher, Wikipedianer, also Leute, die Artikel für Wikipedia
verfassen, und Kritiker.
Ein Schwerpunkt ist „Digitale Governance“. Was ist das?
„Digitale Governance“ untersucht die Machtstrukturen, die innerhalb einer
Netzkultur wie Wikipedia entstehen und sich ständig wandeln. Die
ursprüngliche Ideologie von Wikipedia besagt, dass mit der Beteiligung
vieler Menschen ohne große Zugangsbegrenzung das Wissen der Welt gesammelt
wird. Allerdings hat sich in der Praxis gezeigt, dass diese Strukturen sich
antidemokratisch entwickeln können.
Bei Wikipedia?
Ja, auch bei Wikipedia haben sich Hierarchien und Restriktionen
herausgebildet. In den Anfangsjahren von Wikipedia konnte man sehr leicht
einen Artikel über ein Thema schreiben und ihn veröffentlichen. Nach dem
Motto: Je mehr Artikel, desto besser. Mittlerweile gibt es bei Wikipedia
eine Elite der Administratoren und Autoren, die die Texte stark bearbeiten
und hohe Anforderungen an die Qualität von Artikeln setzen. Sie entscheiden
oft darüber, ob ein Artikel veröffentlicht oder gelöscht wird.
In der deutschen Bloggerszene und anderen Medien wurde jüngst den
Administratoren vorgeworfen, sie würden viele Artikel zu schnell löschen,
so dass die Autoren gar keine Chance hätten, sie zu verbessern.
Genau um diese Frage geht es auf der Konferenz: Ist es eine Elite der
Administratoren, die das Wissen in Wikipedia beherrschen oder soll jeder
Artikel diskutiert und, falls er gerechtfertigt ist, auch veröffentlicht
werden? Bei knapp 300 neuen Artikel pro Tag wird natürlich auch stärker
diskutiert, was eigentlich relevant ist und was überflüssig.
Wenn Administratoren aber den Anspruch entwickeln, alles kontrollieren und
überblicken zu wollen, läuft das der ursprünglichen Wikipedia-Idee schnell
zuwider. Für Neueinsteiger ist es zudem oft schwer nachzuvollziehen, welche
Relevanzkriterien es überhaupt gibt und wie sie wichtige Inhalte online
stellen können. Letztlich verlassen viele Leute Wikipedia wieder, weil sie
das Klima als nicht sehr motivierend empfinden.
Brauereien zum Beispiel sind für Wikipeadia relevant, wenn sie eine
Jahresproduktion von mindestens 100.000 Hektolitern Bier erzielen oder seit
100 Jahren ununterbrochen brauen. Wer entscheidet über solche Kriterien?
Jede Sprachversion von Wikipedia kann selbst diskutieren und entscheiden,
welche Regeln für sie gelten. Das wird nicht zentral vorgegeben. In der
deutschsprachigen Wikipedia könnte man erwarten, dass sie weniger
restriktiv ist als die englischsprachige. Denn diese ist nicht nur die
größte, sondern es sind auch viele englischsprachige Länder an der
Entstehung der Seite beteiligt. Deshalb müssten dort die Kulturkonflikte
eigentlich viel größer sein.
Aber genau das sind sie nicht. In der kleineren deutschen
Wikipedia-Community gelten im Vergleich dazu viel striktere Regeln. Genauso
werden Änderungen erst gesichtet bevor sie erscheinen, um Vandalismus zu
unterbinden. Allerdings erscheinen Änderungen oder Beiträge von
angemeldeten Benutzern, die schon öfters Texte bearbeitet haben, sofort.
Also haben Administratoren schon eine große Macht?
Definitiv. In der deutschsprachigen Wikipedia gab es im August 98.425
Benutzer. Etwa 7.000 davon machen mehr als fünf Bearbeitungen im Monat. Dem
gegenüber stehen rund 300 Administratoren, die erweiterte Nutzerrechte
haben. Das heißt, sie können Benutzer und Artikel sperren oder löschen.
Damit sind sie eine Entscheidungsinstanz. Wenn zum Beispiel in einem
Artikel ein sogenannter „WikiWar“ entsteht, ein dauernder Kampf darum,
welche Artikelversion die richtige ist, können sie eine Version festlegen.
Das ist schon eine machtvolle Position.
Was muss man mitbringen, um Administrator zu sein? Etwa einen akademischen
Abschlus?
Im Prinzip kann jeder Administrator werden. Mann muss sich lediglich
bewerben und wird dann gewählt.
Aber muss ich für so eine Position nicht Experte sein? Wie soll ich sonst
entscheiden, ob ein Artikel über Elektrolyse oder Kernspaltung stimmig ist?
Genau das ist ein Punkt, der kritisiert wird. Es gibt Administratoren, die
durchaus auf bestimmten Gebieten Experten sind. Aber viele machen nur
administrative Aufgaben, das heißt, sie schauen sich jeden Tag die Liste
der neuen Artikel an und prüfen, ob da Quatsch drin steht.
Ein anderer Kritikpunkt ist, inwiefern die Identität der Administratoren
nachvollziehbar sein sollte. Ein Vorschlag ist, dass die Namen der
Administratoren – ähnlich wie bei den Herausgebern einer Zeitung –
öffentlich sein sollten. Dass man sie ansprechen kann, wenn zum Beispiel
Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Ein weiterer Vorschlag ist, dass
Administratoren sich nicht als Autoren an der Wikipedia beteiligen, um
Interessenskonflikten aus dem Weg zu gehen.
Vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2005 wurden im
Wikipedia-Artikel über Jürgen Rüttgers unangenehme Stellen wie die „Inder
statt Kinder“-Debatte gelöscht. Die IP-Nummer verwies auf jemanden im
Bundestag. Wie oft passiert so etwas?
Leider sehr oft. Es gibt ein Tool, den Wiki-Scanner, das analysiert, von
welchen IP-Adressen Bearbeitungen gemacht werden. Hier konnte im letzten
Jahr gezeigt werden, dass viele Unternehmen systematisch überprüfen, was
über sie in der Wikipedia steht und Einträge zu ihren Gunsten bearbeiten,
Artikel schönen oder kritische Teile löschen. Nachdem das aufgedeckt wurde,
sind Unternehmen dazu übergegangen, externe PR-Agenturen oder Blogger zu
beauftragen, womit es schwerer wird, ihnen auf die Spur zu kommen.
Könnte irgendwann ein Unternehmen wie Google ankommen und Wikipedia einfach
aufkaufen?
Wikipedia hat freie Lizenzen. Die Seite wird zwar von der Wikimedia
Foundation betrieben, sie ist aber nicht verantwortlich für die Inhalte.
Artikelautoren sind zwar Urheber ihrer Texte, sie können aber frei kopiert,
genutzt und weiterveröffentlicht werden. Die Lizenz erlaubt auch eine
kommerzielle Nutzung. Also könnte Google die Inhalte von Wikipedia
jederzeit auf ihrer Seite anbieten. Dafür müssen sie die Plattform nicht
erst kaufen.
Welche Auswirkungen hat Wikipedia auf unsere Wissensgesellschaft?
Innerhalb von zehn Jahren seit der Gründung von Wikipedia hat sich der
Markt der gedruckten Enzyklopädien komplett gewandelt. Einen gedruckten
Brockhaus wird es in Zukunft wohl nicht mehr geben.
Ist Wikipedia eigentlich nur gut, um sich oberflächlich zu informieren?
Wikipedia eignet sich für einen schnellen Überblick und Einstieg in ein
Thema. Wenn man aber tiefer in ein bestimmtes Thema einsteigen will, kann
es das Lesen von Fachliteratur nicht ersetzen. Jeder Dozent einer
Hochschule muss sich hier die Frage stellen: Wie gehe ich mit Wikipedia um?
Erlaube ich zum Beispiel Zitate bei Hausarbeiten? Wenn Wikipedia die beste
Quelle ist, spricht unter Umständen nichts dagegen. Die meisten Dozenten
sind derzeit da aber noch sehr distanziert, weil sie befürchten, dass
Wissen unreflektiert kopiert wird.
Wäre es da nicht sinnvoll, eine wissenschaftliche Wikipedia zu gründen?
Das gibt es durchaus. Das sind Abspaltungen von Wikipedia, die
unterschiedlich heißen und sich zum Teil auf bestimmte Themen beschränken.
Ein Beispiel ist die Seite Wikiweise. Da die Seite jedoch viel weniger
Schreibende hat, ist der Umfang derzeit überschaubar. Die Frage ist immer,
ob es solche Projekte schaffen, genug Nutzer und vor allem Mitglieder zu
binden, die Artikel verfassen. Und da hat bisher kein Projekt auch nur
annähernd die Reichweite von Wikipedia erreicht.
24 Sep 2010
## AUTOREN
Oliver Matthes
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.