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# taz.de -- Antifaschismus in Griechenland: Mit Theater gegen Rassismus
> Regisseure und Schauspieler wollen in Griechenland mit für Aufklärung bei
> den Jüngsten sorgen. Wo Politik verpönt ist, versucht Kunst zu helfen.
Bild: Figuren aus dem Schattentheater finden jetzt eine erhellende Funktion
„Die Aufgabe des Theaters im Griechenland der Krise ist es vor allem,
Stellung zu nehmen.“ Schauspieler und Regisseur Vassilis Koukalani steht
inmitten seiner Helfertruppe vor einer kleinen Bühne im Zentrum Athens. Der
energische Mann Anfang 40 gibt Anweisungen, packt selbst mit an, ständig
klingelt sein Handy.
Koukalani steckt in den letzten Vorbereitungen eines
Antifaschismusfestivals. Er hat schon mehrere im Lande organisiert, mit
Podiumsdiskussionen, Konzerten und Theateraufführungen. Das sei wichtig in
den heutigen Zeiten.
Heute ist er in den Prosfigika – einer Häusersiedlung mitten im Zentrum
Athens. Die mittlerweile brüchig wirkenden Häuser wurden Anfang der 20er
Jahre für griechische Flüchtlinge aus Smyrna, dem heute türkischen Izmir,
erbaut.
Heute leben hier besonders viele ausländische Einwanderer. „Da gab es dann
mit einem Mal Probleme“, sagt Koukalani, während er kritisch die Bühne
begutachtet, welche zwischen zwei Häuserfronten aufgebaut wird. Der
Lastwagen mit den Requisiten steht in der prallen Sonne. Es staubt.
Ein Transparent wird an der Mauer neben der Bühne aufgehängt. „Nie wieder
Faschismus“ steht in rot-schwarzen Lettern auf gelbem Hintergrund. Denn
seit die neofaschistische Partei Griechenlands, Chrysi Avgi, was übersetzt
so viel wie Goldene Morgenröte bedeutet, im Parlament sitzt, hat die
Ausländerfeindlichkeit im Land stark zugenommen. Im Juli 2012 wurde Chrysi
Avgi drittstärkste Partei. Die Faschisten, die sich bis dahin eher im
Untergrund aufhielten, wurden damit legalisiert.
## Stücke gegen Vorurteile
„Noch bis vor ein paar Jahren lachten wir über diese null Komma null, null,
null Prozent, die die Faschisten hier im Lande hatten“, sagt Koukalani und
lacht bitter auf. „Aber jetzt sind die gefährlich geworden.“ Er schaut sehr
ernst. Auch hier im Viertel sei es zu Angriffen gekommen.
Viele der verunsicherten Griechen fühlten sich durch den Einzug der
Faschisten ins Parlament in ihrer Haltung bestätigt. Denn das Vertrauen in
in die einst etablierten Parteien ist durch die Sparpakete und die damit
verbundenen Kürzungen längst verloren. Slogans wie „Griechenland den
Griechen“ wirken besonders in Krisenzeiten.
Gegen diese Entwicklung stellt sich nun die Theaterszene des Landes. Ob in
kleinen Offtheatern, bei Aufführungen unter freiem Himmel oder im
Nationaltheater Athen – immer mehr Aufführungen zum Thema Faschismus werden
gezeigt. Koukalani möchte vor allem für Aufklärung bei den Jüngsten der
Gesellschaft sorgen. Seine aktuelle Inszenierung „Ein Fest bei Nourian“ ist
eine für Griechenland adaptierte Fassung des Kindertheaterstücks „Ein Fest
bei Papadakis“ von Gripsgründer Volker Ludwig.
„Das Theater hat heutzutage nicht mehr den Luxus, einfach schöne Kunst zu
produzieren“, so Koukalani. „Wir müssen über das Theater an die Menschen
rankommen, denen Mut gemacht werden muss.“ Vor allem müsse den Menschen
gezeigt werden, dass eine Veränderung der Gesellschaft in ihren Händen
liegt. Das Stück „Ein Fest bei Nourian“ mache sich lustig über Vorurteile.
## Auch ohne Worte präsent
Doch dass Vorurteile zurzeit wieder sehr verbreitet sind, bekommt auch
Schauspieler Michalis Afaloyan zu spüren. Der 33-jährige Mann sitzt auf den
Stufen des Nationaltheaters Athen. Er spielt mit in dem Stück „Ditiki
apobathra“ („Quai West“ von Bernard-Marie Koltès), das heute auf der
Studiobühne aufgeführt wird.
„Ditiki apobathra“ thematisiert ebenfalls Fremdenhass. Das Bühnenbild der
Studiobühne ist einfach gehalten – zwei hohe Wände und Sand auf dem Boden.
Afaloyan spielt einen schwarzen Einwanderer, den „Einwanderer zweiter
Klasse“.
Er schreit in der Anfangsszene erschreckt auf, als ihn jemand beim Schlafen
am Strand aufweckt. Sprechen tut er nicht, da ihm die Worte fehlen, und
doch ist Afaloyan mit seiner stillen Präsenz einer der Hauptcharaktere in
dem Stück des französischen Autors Bernard-Marie Koltès.
Das Drama ist besonders im heutigen Griechenland aktuell, denn mit ihm
lässt sich eine neue Problematik der griechischen Gesellschaft verhandeln:
Die weißen Ausländer im Lande stellen sich mittlerweile oftmals gegen die
dunkelhäutigen.
## Rassismus kein Tabu mehr
Afaloyan hat noch etwas Zeit bis zur Aufführung, nimmt einen Schluck aus
seiner Wasserflasche und schaut auf die dichtbefahrene
Agiou-Konstantinou-Straße. „Früher haben sich die Leute noch überlegt,
etwas Rassistisches zu äußern“ sagt Afaloyan. Heute sei das kein Tabu mehr
und, ja, das ginge einher mit dem Aufstieg und der gesellschaftlichen
Akzeptanz der Chrysi Avgi.
Afaloyan ist in Griechenland geboren, seine Eltern kommen aus Nigeria. Der
Blick des Mannes verdunkelt sich, während er ruhig weitererzählt: „Im Bus
und in den Zügen, überall siehst du sie, sie versammeln sich und sind heute
stolz darauf, zur Partei zu gehören. Früher galten die hier als unethisch –
galten als Nazis, als Faschisten. Jetzt ist das nicht mehr eindeutig.“
Die Entwicklungen in seiner Heimat Griechenland machen dem Schauspieler
große Sorgen. Zwar konnte das oppositionelle Bündnis der radikalen Linken
Syriza die Europawahl klar für sich entscheiden. Doch die Chrysi Avgi
schaffte es nach ihrem Erfolg bei den Parlamentswahlen auch hier auf Platz
drei und hat jetzt drei Sitze im Europaparlament. Deshalb sind Stücke wie
„Ditiki apobathra“ so notwendig, sagt Afaloyan, während er sich von den
Stufen erhebt. Dann geht er.
Sotiris Chatsakis, Intendant des Nationaltheaters, stellt sich auch mit
weiteren Planungen klar gegen rechts. In der kommenden Spielzeit plant er,
mit antifaschistischen Stücken an Athener Schulen zu gehen.
## Hoffen auf Umschwung
„Das Theater ist vor allem dazu da, Minderheiten sichtbar zu machen und
Ungerechtigkeiten aufzuzeigen“, so Chatsakis, der durch sein Tun von der
Chrysi Avgi schon mehrfach verbal attackiert wurde. Doch er gibt die
Hoffnung auf einen Umschwung nicht auf: „Wir als Theatermacher können nur
aufzeigen. Verstehen müssen die Leute selbst.“
Inzwischen steht die Bühne auf dem Gelände der Prosfigika und die
Aufführung „Ein Fest bei Nourian“ ist in vollem Gange. Die Schauspieler, zu
denen auch der Regisseur Koukalani gehört, springen, tanzen und singen auf
der kleinen Bühne. Durch die Selbstironie bei der Präsentation vieler
Klischees kommt das didaktisch angelegte Stück gut an. Eine der
Schauspielerinnen mimt eine ausländische Putzfrau und schleicht durch die
Stuhlreihen, integriert das junge Publikum, das sowohl aus ausländischen
Zuschauern als auch aus vielen Griechen besteht.
Auch die junge Mutter Sofia ist heute mit ihren beiden Kindern zur
Aufführung in die Prosfigika gekommen. „Ich denke, dass Theater besonders
jetzt unheimlich wichtig ist“, sagt sie. Denn viele der Griechen trauen
heutzutage weder der Politik noch den Medien. Und so gewinnt die
Theaterszene Griechenlands neu an Gewicht – als politischer Ort.
2 Aug 2014
## AUTOREN
Theodora Mavropoulos
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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Kunst
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