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# taz.de -- Goldene Morgenröte gegen „Spiegel“: Doch eine mörderische Ban…
> In Griechenland verklagt die rechtsextreme Partei Goldene Morgenröte das
> Magazin „Der Spiegel“ – und erscheint dann nicht zur eigenen Anhörung.
Bild: Eine Hand sagt alles: Demo der Goldenen Morgenröte in Athen.
ATHEN taz | Manfred Ertel wischt sich den Schweiß von der Stirn. Seinen
Schreibblock benutzt der 63-Jährige als Fächer. Mit schnellen
Handbewegungen erzeugt er damit einen Luftzug, der kühle Luft in sein
Gesicht wedelt.
Ertel wirkt blass, angespannt, die Leichtigkeit scheint verflogen. Er war
in der Friedens- und Anti-Kernkraftbewegung der 70er Jahre aktiv,
engagierte sich für Amnesty International, saß im Beirat der
Heinrich-Böll-Stiftung. Seit 1977 ist er Redakteur beim Spiegel, schon
lange im Ressort Ausland. Beruflich ist er viel unterwegs. In letzter Zeit
kommt der Hamburger immer wieder nach Griechenland, ins Ursprungsland und
Epizentrum der nur scheinbar überwundenen Euro-Krise.
An diesem frühlingshaft warmen zweiten Donnerstag im November hockt Ertel
in der letzten Stuhlreihe in einem Saal des Gebäudes 4 des Landgerichts
Athen. Schon seit zweieinhalb Stunden laufen hier mündliche Verhandlungen,
gerade ist es die dritte. Ertel versteht kein Wort. Was er hier macht?
Ertel ist Angeklagter, im vierten Prozess des heutigen Tages.
Hintergrund: In der Spiegel-Ausgabe 16/2013 vom 15. April letzten Jahres
erschien sein Artikel „Mörderische Bande“. In 1.156 Wörtern schildert Ert…
den Werdegang der Neonazis der Goldenen Morgenröte („Chrysi Avgi“). „Wie
nirgendwo sonst in Europa“ seien sie in Hellas „durch die Krise erstarkt.“
„Mit offener Gewalt“ würden sie „gezielt“ Einwanderer terrorisieren, a…
töten.
## Partei fordert eine Million Euro Geldstrafe
Der Aufschrei der Morgenröte war groß. Im Mai 2013 erhob die Partei mit
viel Tamtam eine Klage gegen Magazin und Autor. Wegen der „illegalen
Beleidigung, verleumderischen Diffamierung und Beschimpfung“ seien laut
Klageschrift Der Spiegel sowie der Autor zu einer Geldstrafe in Höhe von
einer Million Euro zu verurteilen. Werde die Geldstrafe nicht beglichen,
sei gegen den Autor eine Haftstrafe von einem Jahr zu verhängen. Die
Zuständigkeit des Landgerichts Athen sei gegeben, denn: Der Spiegel ist zu
Füßen der Akropolis erhältlich.
Um 11:29 Uhr ist es im Gebäude 4 soweit. Richterin Kyriaki Galliou, eine
kleine Frau mit strengem Blick, schaut in die Runde. Sie fragt: „Goldene
Mörgenröte gegen Spiegel Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. KG. Sind die
Parteien anwesend?“ Ein Mann steht auf: „Ich bin der Rechtsanwalt der
Beklagten.“ Dann herrscht plötzlich Stille.
Rasch wird klar: Ausgerechnet für den Kläger ist keiner da. Kein
Rechtsanwalt, kein Zeuge, kein Unterstützer. Niemand. Nach elf Sekunden ist
die mündliche Verhandlung vorbei. Richterin Galliou wird in der Sache nicht
mehr viel zu tun haben. Sie weiß, was sie jetzt noch tun muss: ein
Versäumnisurteil erlassen, wonach die Klage abzuweisen sei.
## Andere Probleme
Bliebe die Frage: Wieso erhebt die Morgenröte zunächst eine
1-Million-Euro-Klage, um dann sang- und klanglos die Segel zu streichen?
Eine betreffende Anfrage an das Pressebüro der Goldenen Morgenröte blieb
unbeantwortet. Die Partei hat derweil wohl ganz andere Sorgen – trotz
weiter erschreckend hoher Umfragewerte.
Nach dem Mord an einen linken Hip-Hop-Sänger in Athen am 18. September
vorigen Jahres, nur wenige Wochen nach Erscheinen des Spiegel-Artikels,
sitzt nunmehr die komplette Morgenröte-Führungsriege hinter Gittern. Die
Staatsanwaltschaft stuft die ganze Partei als kriminelle Vereinigung ein.
Überdies ist ihr der Geldhahn zugedreht worden. Die Marschrichtung in
Athen: kein Euro an staatlicher Parteienfinanzierung mehr für die
Morgenröte, keine Gnade für diese „mörderische Bande“.
15 Nov 2014
## AUTOREN
Ferry Batzoglou
## TAGS
Der Spiegel
Goldene Morgenröte
Griechenland
Prozess
Griechenland
Pavlos Fyssas
Nikos Michaloliakos
Athen
Griechenland
Schwerpunkt Rassismus
Goldene Morgenröte
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