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# taz.de -- Debatte Israels Politik und der Westen: Mit Sicherheit falsch
> Die Rechte der Palästinenser werden durch Netanjahus Politik missachtet.
> Das ist das größte Sicherheitsrisiko. Widerspruch aus dem Westen fehlt.
Bild: 2010: Israelische Soldaten schützen jüdische Siedler bei einem Rundgang…
Bundeskanzlerin Merkel hat vor der Knesset die Sicherheit Israels zum Teil
deutscher Staatsräson erklärt. Das war richtig. Leider definierte sie
nicht, was darunter zu verstehen sei. Der Begriff „Sicherheit“ ist in
Israel ein häufig missbrauchtes Wort. Nationalreligiöse Ideologen treiben
die Bevölkerung des Landes, die zutiefst geprägt ist vom Trauma des
Holocausts und der jüngeren blutigen Geschichte Israels, damit vor sich
her, um ihre expansionistischen Ziele durchzusetzen und die Besetzung der
palästinensischen Gebiete dauerhaft aufrechtzuerhalten.
Auch in den internationalen Beziehungen wird „Sicherheit“ von der
regierenden israelischen Rechten eingesetzt, um ihre Politik vor Kritik zu
schützen. Israel verlässt sich auf das amerikanische Veto im
UN-Sicherheitsrat und auf den großen deutschen Einfluss in der EU. Die
Regierung Netanjahu sah sich auch durch das lange Schweigen der
Bundesregierung zu den Opferzahlen in Gaza mit einer Carte blanche für die
nun vier Wochen andauernde, massive Bombardierung ausgestattet.
Das von den USA und Deutschland unterstützte Spiel der israelischen Rechten
mit dem Begriff Sicherheit verhindert den Blick auf das Wohlergehen, die
Rechte und, ja, die Sicherheitsinteressen der Palästinenser. Doch deren
Verwirklichung wird letztlich entscheidend für die Sicherheit Israels sein.
Nicht weil die Palästinenser zu einem Großteil antisemitisch eingestellt
wären oder dem Staat Israel das Existenzrecht absprächen (Umfragen belegen,
dass eine Mehrheit für eine friedliche Zweistaatenlösung ist), sondern weil
sie seit fast 50 Jahren unter israelischer Besatzung leben und zunehmend
die Hoffnung auf die Realisierung ihrer Rechte verlieren.
Manche Städte und Dörfer im Westjordanland sind inzwischen im Namen der
Sicherheit komplett von der Trennmauer umgeben. Zehn Prozent des
Westjordanlands wurden durch die vom Internationalen Gerichtshof als
illegal bewertete Mauer dem Staat Israel de facto einverleibt. Beduinen
werden im Namen der Sicherheit von ihrem Land vertrieben. Häuser, Ställe,
Wasserzisternen, Spielplätze werden abgerissen. Kliniken, Schulen, sogar
ganze Dörfer sind vom Abriss bedroht.
Für die Sicherheit von 800 Siedlern werden 200.000 Palästinenser in Hebron
daran gehindert, sich in ihrer Stadt frei zu bewegen. Für die Sicherheit
werden große Landflächen im Westjordanland zu Schutzzonen für Siedlungen
erklärt und sind dann für die palästinensischen Landbesitzer tabu. Für die
Sicherheit dürfen zahlreiche Straßen im Westjordanland nur von Israelis
genutzt werden, wurden die Menschen in Gaza zeitweise daran gehindert,
Bücher, Textilien, Nudeln und Milchprodukte zu importieren.
## Gewalt im Kontext der Blockade
Die Eskalation der Proteste in Ostjerusalem und im Westjordanland zeigt,
dass Israel es nicht nur mit einem „Hamas-Problem“ zu tun hat. Der Einsatz
von Gewalt muss im Kontext der kontinuierlichen Blockade des Gazastreifens
und der Besatzung des Westjordanlands und Ostjerusalems gesehen werden.
Der wachsenden palästinensischen Bevölkerung steht immer weniger Land zur
Verfügung. Schwindende Ressourcen, fehlende Bewegungsfreiheit, wachsende
Armut und fehlende Perspektive sowie die Verdrängung in immer kleinere,
dicht besiedelte urbane Gebiete könnten dazu führen, dass die von der
Palästinensischen Autonomiebehörde kontrollierten Orte im Westjordanland in
der gleichen Sackgasse enden wie Gaza.
Der Gazastreifen ist seit 2006 fast komplett abgeriegelt. Trotzdem gelingt
es der Hamas und anderen Gruppierungen in Gaza Raketen auf Israel
abzuschießen. Auch die neuesten Bombardierungen werden das nicht ändern.
Solange die Menschen keine Perspektive haben, wird die Idee, selbstgebaute
Raketen abzuschießen oder Tunnel zu graben, weiter Anhänger finden. Der
ehemalige Leiter des israelischen Inlandsgeheimdienstes Yuval Diskin warnt:
„[Die Palästinenser] werden nie den Status quo der israelischen Besatzung
akzeptieren. Wenn Menschen die Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer
Situation verlieren, werden sie radikalisiert.“
Trotz der stetig größer werdenden Gefahr für den Staat Israel treibt die
von der Rechten dominierte Netanjahu-Regierung das Siedlungsprojekt mit
aller Gewalt voran. Mitte Juli sagte der Premier offen, dass es nie einen
Staat Palästina mit voller Souveränität geben darf. Widerspruch aus Berlin
oder Washington war nicht zu hören.
Zu Recht reagieren deutsche Politiker zutiefst erschrocken auf
antisemitische Äußerungen in Deutschland. Diese Exzesse dürfen in
Deutschland keinen Platz finden. Sie sind im Übrigen auch schädlich für die
Palästinenser (ebenso wie antisemitische Äußerungen von Hamas-Vertretern
und die starrköpfige Beibehaltung der widerlichen Hamas-Charta von 1988).
Denn solange der antisemitische Hass die Schlagzeilen füllt, wird in
Deutschland nicht bekannt, welche gefährliche Entwicklung der
gesellschaftliche Diskurs in Israel inzwischen genommen hat.
## Israelische O-Töne
In Israel wurde verboten, im Radio die Namen der durch israelische
Bombenangriffe getöteten Kinder in Gaza zu nennen. Israelischen
Palästinensern, aber auch jüdischen Kritikern des Kriegs schlägt ein
massiver Hass entgegen. „Tod den Arabern, Tod den Linken“, skandieren
Demonstranten in Tel Aviv, in Jerusalem, in Haifa. Fußballfans fordern
„weitere 1.000 Tote“ in Gaza.
Der stellvertretende Parlamentsvorsitzende ruft offen zur ethnischen
Säuberung Gazas auf. Eine Parlamentarierin der Regierungspartei HaBajit
haJehudi fordert, palästinensische Mütter zu töten, damit sie keine
weiteren „Schlangen gebären“. Man sei schließlich im „Krieg gegen das
palästinensische Volk“. Der Industrieminister meint: „Ich habe in meinem
Leben schon viele Araber getötet – und das ist kein Problem.“ Der
Außenminister fordert jüdische Israelis auf, „arabische Läden“ zu
boykottieren.
Israel muss ein „normaler“ Staat werden. Seit 2002 liegt die Arab Peace
Initiative auf dem Tisch. Sie ist ein Angebot aller arabischen Staaten an
Israel, Frieden zu schließen. Bis heute gibt es keine offizielle Reaktion
der israelischen Regierung auf dieses Friedensangebot. Stattdessen verweist
Israel auf die Gefahr des regionalen Terrorismus.
In der Tat wird Israel in der Region regelmäßig zur Ablenkung von internen
Problemen benutzt. Doch auch beim Nahostkonflikt gilt: Wer sagt, es gebe
keine Lösung, hat ein Interesse an der Beibehaltung des Problems. Vertreter
der israelischen Siedler wie Dani Dajan sprechen von der Notwendigkeit
einer „Nichtlösung“. Diese Nichtlösung einer ewig „temporären“ Besat…
ist mit einem demokratischen Staat unvereinbar.
Als undemokratischer Staat sowie als ewiger Besatzer würde Israel im Zuge
einer bereits wachsenden internationalen Boykottbewegung immer mehr
isoliert und von der palästinensischen Bevölkerung im eigenen Land
bekämpft. Eine solche Zukunft darf Israel niemand wünschen. Besonders kein
deutscher Politiker.
8 Aug 2014
## AUTOREN
Jakob Rieken
## TAGS
Israel
Palästina
Siedler
Benjamin Netanjahu
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
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