# taz.de -- Israelische Siedler in der Nähe von Gaza: Die Gefahr lauert unter … | |
> Die Mörsergranaten aus dem Gazastreifen schaffen es nicht bis zum Kibbuz | |
> Be’eri. Doch die Bewohner haben Angst vor Angriffen aus dem Tunnelsystem. | |
Bild: Die Idylle täuscht: ein israelischer Soldat beim Gebet in der Parkanlage… | |
KIBBUZ BE‘ERI taz | Die letzten fünf Kilometer bis zum Kibbuz Be’eri sind | |
gespenstisch. Im Sekundentakt donnern die Kanonen der israelischen Panzer. | |
Mal etwas weiter weg, mal ganz nah. Am Straßenrand stehen ein paar Autos | |
unter einer millimeterdicken Schicht aus Staub und Sand, den die Panzer | |
aufwirbeln. Nur wer eine Sondergenehmigung des Militärs hat, darf auf diese | |
Straße, die in nur wenigen hundert Metern Abstand parallel zu den | |
Grenzanlagen des Gazastreifens verläuft. | |
Sieben israelische Kibbuzim liegen an der Straße. Sechs davon sind nahezu | |
menschenleer. Nur ein kleiner Stab blieb dort zurück, um die Kühe zu | |
melken, die Hühner zu füttern und die thailändischen Arbeiter anzuweisen, | |
die wie im Kibbuz Nirim, unweit der Grenze zum Sinai, Äpfel verpacken und | |
die Felder wässern. | |
Wer nicht unbedingt bleiben musste, ist schon vor Wochen nach Norden | |
gezogen, weg von den Raketen und Mörsergranaten, die hier ohne Vorwarnung | |
jederzeit einschlagen könnten. Und weg von den geheimen Tunnel, durch die | |
die Islamisten der Hamas ihre Terrorkommandos nach Israel einschleusen. | |
Nur der Kibbuz Be’eri ist nicht leer. Er liegt gerade weit genug von den | |
Grenzanlagen entfernt, um nicht mehr von den Mörsergranaten erreicht zu | |
werden. 15 Sekunden Zeit bleiben bei Raketenalarm. Das reicht, denn überall | |
gibt es sichere Unterstände. | |
## Eine Oase für Soldaten | |
Hinter dem Tor an der Einfahrt erstreckt sich eine sattgrüne Parkanlage | |
zwischen den Gemeinschaftseinrichtungen, der modernen Druckerei und den | |
Wohnhäusern. Zwei Kibbuznikim liegen auf dem Rasen und rauchen, eine ältere | |
Frau lenkt ihren dreirädrigen Miniscooter Richtung Speisesaal, und eine | |
Gruppe Soldaten fragt, wo das Konzert von Matti Caspi stattfindet. | |
Der populäre Liedermacher ist einer von Dutzenden Künstlern, die hier zur | |
Ermunterung der Armee gratis auftreten. Be’eri ist für Hunderte Soldaten | |
eine Oase der Ruhe. Sie kommen, um am Pool oder bei den Familien zu duschen | |
und um für ein paar Stunden zu schlafen, bevor sie zurück in den Kampf | |
ziehen. | |
Die Idylle in Be’eri trügt. Mit dem Raketenbeschuss haben sich die Leute | |
arrangiert. Routiniert suchen auch die Kinder Schutz, wenn Alarm ist, um | |
nach ein bis zwei Minuten dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten. In | |
den mit Betondächern vor Raketen geschützten Kinderhäusern der 0- bis | |
6-Jährigen läuft der Betrieb wie immer, nur draußen wird in diesem Sommer | |
nicht gespielt. Auch das Schwimmbad ist meistens geschlossen. | |
Es ist die Angst vor Terrorkommandos, die sich durch die Tunnel unbemerkt | |
Zutritt verschaffen könnten, die die Leute zermürbt. „Ich liege im Bett und | |
überlege, was ich mache, wenn ein Terrorist kommt“, sagt Bosmat Burstein, | |
alleinerziehende Mutter von drei Mädchen. „Am besten wäre wohl ein | |
Küchenmesser“, meint sie und lacht bitter. „Ich wüsste gar nicht, wo man … | |
besten zusticht.“ | |
## Terroristen griffen an | |
Vor 13 Jahren sei es schon einmal einem Kommando gelungen, in den Kibbuz | |
einzudringen, erzählt Burstein. „Wir mussten Fenster und Türen schließen | |
und das Licht ausschalten.“ Stundenlang verharrte sie mit den Kindern, ohne | |
zu wissen, was draußen passiert. „Ich hab überlegt, ob ich meine Töchter im | |
Kleiderschrank verstecke.“ Im Moment sei die gesamte Region voller Militär | |
und gut überwacht. | |
Vier Soldaten starben letzte Woche bei Kämpfen mit Terroristen, die durch | |
einen Tunnel bis zum Kibbuz Nahal Oz, nur wenige Kilometer von Be’eri | |
entfernt, vordringen konnten. „Im Moment ist Krieg, kein Terror“, sagt | |
Burstein. Sie hat Angst, dass die Soldaten wieder abziehen könnten, bevor | |
alle Tunnel zerstört sind. „Wenn ich keine Verantwortung hätte, wäre ich | |
längst weg“, sagt Burstein. Sie ist die Chefin einer Produktionsabteilung | |
der Druckerei. | |
16 Millionen Briefe für die Banken, Krankenkassen und Kreditinstitute | |
kommen jeden Monate aus Be’eri. Kurz darauf widerspricht sie sich selbst: | |
„Ich bleibe hier. Wir sind stark.“ Wegzugehen würde die Trennung von ihrer | |
Familie bedeuten, den Eltern, fünf Geschwistern, Nichten und Neffen, nur | |
„die Tunnel müssen weg“. | |
Bosmats Vater, Abraham Mencer Dvori, ist Vorsitzender von Be’eri und selbst | |
hier aufgewachsen. Es habe schon schlimmere Zeiten gegeben, sagt er. „Als | |
Kind habe ich öfter im Bunker geschlafen als zu Hause.“ Die Stärke von | |
Be’eri ist der soziale Zusammenhalt der rund 1.000 Menschen, die hier | |
leben, und der wirtschaftliche Erfolg. Der Kibbuz gehört zum | |
erfolgreichsten Zehntel aller israelischen Landwirtschaftskooperativen und | |
ist bis heute traditionell organisiert. Jeder gibt, was er kann, an die | |
Gemeinschaft und kriegt zurück, was er braucht. | |
## Kanonenfeuer rund um die Uhr | |
„Wir stehen in der ersten Reihe der Heimatfront“, sagt Dvori. Komplette | |
Panzerbrigaden fahren an seinem Haus vorbei Richtung Gazastreifen. Auch | |
wenn er wisse, dass das Kanonenfeuer, das rund um die Uhr zu hören ist, von | |
den eigenen Leuten kommt, „stört es sehr. Man kann schlecht dabei | |
schlafen.“ Doch auch Dvori hofft, dass die Soldaten nicht abziehen, bevor | |
das Tunnelproblem gelöst ist. „Du weißt nie, wo so ein Tunnel plötzlich | |
auftaucht“, sagt er. „Es könnte mitten im Kibbuz, mitten in einem Haus | |
sein.“ Der Druck auf die Leute in Be’eri sei spürbar. | |
Früher beschäftigte der Kibbuz auch Palästinenser aus dem Gazastreifen. | |
„Wir hatten vier Arbeiter, denen wir bis heute noch jeden Monat 1.400 | |
Schekel (ca. 250 Euro) bezahlen, obwohl sie seit 20 Jahren nicht mehr | |
herkommen dürfen.“ Die islamischen Extremisten terrorisierten die eigene | |
Bevölkerung fast noch schlimmer als die Israelis, meint Dvori. | |
„Wir müssen die Palästinenser vor der Hamas retten.“ Ohne die könnte Gaza | |
eine „rosige Zukunft“ haben. Klima, Strand, Meer, „wie die Riviera“. Mit | |
Terror und Raketen werde die Hamas nicht weit kommen. „Das versuchen sie | |
seit Jahrzehnten, immer ohne Erfolg.“ | |
4 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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