# taz.de -- Bürgerwehr in Eisenhüttenstadt: Für die Schönheit der Stadt | |
> Bürger wollen auf eigene Faust Kriminelle bekämpfen – und denken dabei an | |
> „Ausländer“. Die Bürgermeisterin bringt die Initiatoren mit der Polizei | |
> zusammen. | |
Bild: In Eisenhüttenstadt weiß man sich zu wehren | |
EISENHÜTTENSTADT taz | Das Lunik bröckelt vor sich hin. Früher war der | |
graue Klotz auf der Straße der Republik in Eisenhüttenstadt mal ein Hotel. | |
Jetzt ist es eine Ruine. Ein gelber Trabi knattert über den Asphalt, eine | |
Radfahrerin wartet an einer roten Ampel. Bauarbeiter dösen im Schatten vor | |
sich hin. | |
Es ist nicht viel los an diesem Montagmittag in der brandenburgischen | |
Kleinstadt dicht an der Grenze zu Polen. Die Sonne knallt unbarmherzig auf | |
die Plattenbauten in der ersten Planstadt der DDR, die mal Stalinstadt hieß | |
und jetzt das größte Flächendenkmal Deutschlands ist. Die Leere und die | |
Stille haben etwas Gespenstisches. Und etwas Beruhigendes. Man fühlt sich | |
sicher. | |
Doch das Gefühl trügt. Sagen manche Bürger von Eisenhüttenstadt: Die | |
Kriminalität sei hoch. Es würden Autos geklaut, Garagen geknackt, Datschen | |
aufgebrochen. Dagegen muss man was tun, finden sie. Aber wie? | |
Eine Bürgerwehr gründen zum Beispiel. Davon gibt es schon jede Menge in der | |
Republik. In Troisdorf in Nordrhein-Westfalen, in Garbsen in Niedersachsen, | |
in Schöneiche kurz hinter Berlin. Und in Sachsen in fast jeder größeren | |
Stadt, die an der Grenze zu Tschechien liegt. Warum also nicht auch in | |
Eisenhüttenstadt? | |
Im Frühjahr eröffneten ein paar junge Männer auf Facebook die Gruppe | |
„Bürgerwehr in Eisenhüttenstadt“. Um „unsere Stadt und deren Sicherheit… | |
geht es den Aktivisten. Und darum, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, | |
bevor die Autoknacker und Einbrecher es zu weit treiben. Die Initiatoren | |
speisten ihre Ideen ins Netz ein: Patrouillen durch gefährdete Gebiete wie | |
Garten- und Garagenanlagen, Diebe festhalten. | |
## Selbstjustiz? Das geht nicht! | |
Irgendwann stieß Dagmar Püschel, 53, auf die Gruppe. Sie ist Mitglied der | |
Linkspartei und Bürgermeisterin in Eisenhüttenstadt, die erste Frau im | |
Chefsessel der Stadt. „Ich fand das unheimlich“, sagt sie. Jetzt sitzt sie | |
im klimatisierten Konferenzraum, direkt neben ihrem Büro in dem | |
denkmalgeschützten Gebäude, das mal das „Haus der Parteien und | |
Massenorganisationen“ war. Vor ihr eine Tasse Kaffee, hinter ihr an der | |
Wand eine Luftaufnahme der Stadt und gegenüber ein Bild vom | |
realsozialistischen Maler Walter Womacka aus dem Jahr 1958. Es zeigt das | |
fröhliche Leben von Werktätigen in Eisenhüttenstadt. | |
Die Kriminalstatistik und die „Bürgerwehr“ sind in Eisenhüttenstadt | |
Riesenthemen im Wahlkampf, Brandenburg wählt am 14. September einen neuen | |
Landtag. Dagmar Püschel findet, dass gegen Eigeninitiative von Leuten | |
nichts einzuwenden sei. Schließlich gehe es um den Schutz des | |
Privateigentums. „Aber Bürgerwehr klingt nach Selbstjustiz“, sagt sie: „… | |
geht nicht.“ | |
Und dann las sie auf Facebook auch noch Kommentare wie diese: „Die sollen | |
hingehen, wo se hingehören“, postete eine Frau am 25. April. Und: „Bin | |
gespannt, wann die ersten Ghettos in Form von Zigeunercamps errichtet | |
werden!“ Mit „die“ meint die Schreiberin die Asylsuchenden in der Stadt. | |
Dagmar Püschel kennt solche Äußerungen. Seit 1978 wohnt sie in | |
Eisenhüttenstadt, sie ist von Schwedt hierhergezogen, 131 Kilometer weit. | |
Sie hat miterlebt, wie 1991 die ersten Flüchtlinge aus Rumänien, dem Kosovo | |
und Russland in die damals in Eile hochgestemmte und schnell überfüllte | |
Zentrale Aufnahmestelle an der Eisenhüttenstädter Peripherie kamen. | |
Sie erinnert sich daran, wie die NPD bei der Kommunalwahl im vergangenen | |
Mai in der Nähe der Aufnahmelagers plakatierte: „Geld für Oma statt für | |
Sinti & Roma“. Und sie kennt die Zahlen der Polizei zu Einbrüchen und | |
Diebstählen: 93 Autos wurden im vergangenen Jahr geklaut und 89 Carports | |
geknackt, doppelt so viele wie im Jahr zuvor. In 28 Datschen wurde | |
eingebrochen. | |
## Asylsuchende brechen nicht ein | |
„Aber das eine, das Aufnahmelager, hat mit dem anderen, der Kriminalität, | |
nichts zu tun“, sagt Püschel: Die Asylsuchenden brechen nicht ein, die | |
warten darauf, dass ihnen das Land erlaubt hierzubleiben. Die | |
Autodiebstähle hätten eher mit der nahen Grenze zu tun, mit den dort | |
organisierten Banden, bei denen auch Deutsche dabei sind. Die geben den | |
Tätern Tipps. „Die Leute differenzieren häufig zu wenig“, sagt die | |
Bürgermeisterin. Da müsse man aufklären. | |
Aber wie macht man das? Den Eisenhüttenstädtern erläutern, dass „die | |
Ausländer“ nicht „die Kriminellen“ sind, und die Bürger gleichzeitig in | |
ihrer Angst vor Dieben und Einbrechern ernst nehmen? | |
Dagmar Püschel hat sich lange Gedanken gemacht, sie hat im Netz | |
recherchiert und im brandenburgischen Innenministerium nachgefragt. Dann | |
hat sie die „Bürgerwehr“-Facebook-Gruppe zu sich ins Rathaus eingeladen. | |
Seit 1995 ist das, was die zehn jungen Männer und eine Frau vorhaben, in | |
Brandenburg nämlich möglich, durch einen Erlass des damaligen | |
SPD-Innenministers über sogenannte ehrenamtliche | |
Sicherheitspartnerschaften, eine Art Kooperation zwischen Bürgern, | |
Stadtverwaltung und Polizei. So etwas geht auch in Eisenhüttenstadt: immer | |
mal Streife laufen, vor allem nachts, durch Gartenanlagen und über | |
Parkplätze, Herumschleicher ansprechen. | |
## Polizei schult Hilfssheriffs | |
Die Leute der Facebook-Gruppe, die anonym bleiben wollen, finden das gut. | |
Die Polizei auch, aber sie macht Vorgaben: Wenn patrouilliert wird, muss | |
das im Revier bekannt sein. Waffen sind tabu, die „Sicherheitspartner“ | |
sollten niemals versuchen, einen Täter allein zu schnappen. Die | |
„Hilfssheriffs“ werden von der Polizei genau gecheckt und geschult. Bei wem | |
es nicht läuft, fliegt raus. | |
Das trifft den Nerv mancher Menschen. „Wenn allet seine Ordnung hat, hab | |
ick nüscht dagegen“, sagt ein Mann, der im „Hähnchen-Eck“ mit zwei Freu… | |
Mittag isst, ein Viertel Broiler mit Pommes und Rohkost für 3,90 Euro. Sie | |
reden über Angebote im Discounter, Stasi und die Leute im Asylbewerberheim. | |
„Mir hamse noch nix jetan“, sagt einer der beiden anderen. „Mir ooch nich… | |
sagt der andere. | |
Eine junge Frau, die mit ihrem Sohn in der Eisdiele auf der anderen | |
Straßenseite sitzt, sieht das anders: „Man traut sich nachts nicht mehr | |
allein auf die Straße.“ Sie erzählt, dass vor Kurzem ein Tschetschene einen | |
Jungen berührt und ein Dunkelhäutiger eine Frau am Arm angefasst habe. „Am | |
hellichten Tag auf offener Straße.“ | |
Dagmar Püschel kennt die Vorfälle. Sie sagt: „Manche Bürger warten | |
regelrecht auf ein Fehlverhalten von Migranten, um sich bestätigt zu | |
fühlen.“ Püschel will den Menschen „ihre Ängste nehmen“. Für Ende Aug… | |
hat sie eine Einwohnerversammlung geplant. Thema: | |
Sicherheitspartnerschaften und Flüchtlinge. | |
11 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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