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# taz.de -- Brückenschlag: Deutsch-polnische Grenzerfahrungen
> Seit einem Jahr verbindet die Buslinie 983 die Schwesterstädte Frankfurt
> (Oder) und Slubice auf polnischer Seite. Unsere Autorin ist mitgefahren.
Bild: Grün und verbindend: die Linie 983
Dienstagmorgen kurz vor zehn am Hauptbahnhof von Frankfurt (Oder). Ein
einziger junger Mann lehnt an einer der zahlreichen Bushaltestellen auf dem
öden Vorplatz. „Tote Hose“, knurrt er und blickt auf die Uhr. „Aber glei…
kommt der Neunhundertdreiundachtzig, dann wird’s voll.“ Vor allem „Hartzl…
und Rentner“, der Frankfurter spricht es abschätzig aus, führen da mit, auf
die polnische Seite.
Fünf Minuten später, der Regionalzug aus Berlin ist gerade eingetroffen,
ist die Haltestelle der Linie 983 proppenvoll. Doch nur etwa die Hälfte der
Wartenden sind Rentner oder Einkaufstouristen auf Schnäppchenjagd. Die
anderen sind Studierende, aus Polen wie aus Deutschland. Zum Beispiel die
Kulturwissenschaftsstudentin im dritten Semester, die dreimal die Woche aus
Berlin an die Viadrina-Universität pendelt: „In Frankfurt zu leben wäre
billiger, aber zu langweilig.“ Oder die polnische BWL-Studentin, die in
Slubice wohnt und sich darüber freut, dass sie nun nicht mehr zu Fuß über
die 250 Meter lange Brücke laufen muss, die zwischen dem Stadtkern von
Frankfurt und der Schwesterstadt Slubice auf der polnischen Seite verkehrt.
Seit Dezember 2012 verbindet die Buslinie 983 die beiden Städte, die bis
1945 zusammengehörten. Der Bus, die von der Stadtverkehrsgesellschaft
Frankfurt betrieben wird, ist ein Kompromiss: Ursprünglich war eine
Straßenbahnlinie geplant, doch nach zehnjährigem Gerangel um die
Finanzierung und massiven Bürgerprotesten gaben die beiden
Stadtverwaltungen die Pläne auf. Der hellgrüne Bus, der von fünf Uhr
morgens bis kurz vor zehn am Abend verkehrt, fährt tagsüber im
Halbstundentakt, abends stündlich. Das Ticket für den ganzen Tag kostet
2,80 Euro.
## 1.000 Fahrgäste pro Tag
Die Auslastung übertrifft alle Erwartungen: Nach Angaben der
Verkehrsgesellschaft nutzen 2013 durchschnittlich knapp 1.000 Fahrgäste pro
Tag das Angebot. Der Geschäftsführer der Frankfurter Verkehrsbetriebe,
Michael Ebermann, geht für das kommende Jahr von bis zu 400.000 Fahrgästen
aus. Das Streckennetz soll nun ausgeweitet werden, sodass unter anderem
auch ein deutsch-polnischer Kindergarten angefahren werden kann, der bald
eröffnet. Der alltägliche kleine Grenzverkehr zwischen Frankfurt und
Slubice ist nicht nur Ausdruck des Zusammenwachsens der beiden Oder-Städte,
sondern auch der vielfältigen Nachbarschaftsbeziehungen zwischen
Deutschland und Polen.
Wenn die Linie 983 die Oderbrücke passiert hat, ist ein Teil der
Studierenden bereits an der Haltestelle „Europa-Universität“ ausgestiegen,
der Rest verlässt den Bus am Collegium Polonicum, einem verglasten
Riesenbau, der den polnischen Teil der Europa-Uni beherbergt. Zum Beispiel
die junge Polin mit den roten Locken, die aus den Nachrichten von der neuen
Busverbindung erfahren hat – für sie ein Grund, sich an der Viadrina
einzuschreiben. Jetzt studiert sie BWL, wohnt im Wohnheim auf der
polnischen Seite und studiert auf beiden Seiten der Oder.
Im Bus sind nun die Shopping-Touristen unter sich. Zum Beispiel der Rentner
aus Eisenhüttenstadt, der dreimal im Monat zum Einkaufen nach Slubice
fährt. „Erst im Baumarkt meine Liste abarbeiten, dann zum Stöbern in den
Supermarkt“, beschreibt er seine Routine. „Und zum Abschluss in meine
Lieblingskonditorei, da gibt es ein Törtchen mit Kaffee – mit
Rabattmarken.“ Oder die ältere Berlinerin, die sich einmal im Monat in den
Zug setzt, um „drüben“ Zigaretten für den Sohn und die Schwiegertochter zu
kaufen.
Der Schnäppchentourismus macht einen großen Teil des deutsch-polnischen
Grenzverkehrs aus. Das Angebot der Läden und Einkaufszentren direkt hinter
der Brücke, wo nur noch ein Schild an die früheren
Personalausweiskontrollen erinnert, ist ganz auf die deutsche Klientel
zugeschnitten: „Bezahl nie mehr zu viel, vergleich die Preise“ steht auf
einem großen Fassadentransparent, das Alkohol, Zigaretten und Feuerwerk
anpreist.
Dass der Bus 983 nicht bis zum „Basar“ am Stadtrand fährt, dem Eldorado der
Billigeinkäufer, dafür hätten die polnischen Taxifahrer gesorgt, erzählt
der Mann aus Eisenhüttenstadt. Wer dahin wolle, müsse am Plac Frankfurt ins
Taxi umsteigen. Ihm reiche aber die fünfzig Meter von der Haltestelle
entfernte Galeria Slubice.
In der schmucklosen Mall Galeria Slubice kann man sich für weniger als zehn
Euro beim Friseur die Haare schneiden lassen und im Supermarkt Travel Free
deutsche Produkte wie Waschpulver, Kaffee und Tchibo-Waren zum
Extra-Tiefpreis erwerben. Die Angestellten sprechen etwas Deutsch, der Euro
wird gern genommen.
Über den großen Parkplatz schallt eine deutschen Lautsprecherdurchsage in
Dauerschleife: „Zigaretten, beste Marken zum Sonderangebotspreis. Im
Backsteingebäude gleich 300 Meter hinter der Brücke.“ In dem kleinen Laden
kostet die Stange West nur 24 Euro, ein 500-Gramm-Päckchen Eduscho-Kaffee
2,15 Euro – ungefähr die Hälfte der deutschen Preise. 99,9 Prozent ihrer
Kunden, sagt die junge Frau hinter der Theke, seien deutsche Kunden. Vier
Stangen pro Person, 10 Liter Spirituosen oder 10 Kilo Kaffee darf man pro
Person nach Deutschland einführen. Auf die Bestimmungen weisen große
Schilder im Verkaufsraum hin, direkt um die Ecke. Wirkungsvoller sind
wahrscheinlich die Beamten der Zollstreife, die in Sichtweite
patrouillieren.
Nicht alle Fahrgäste steigen am Einkaufszentrum aus, manche fahren weiter
bis „Poczta“, Post, um einen Bummel im Stadtkern von Slubice mit den
geduckten klassizistischen Häusern zu machen. Liselotte Kernchen und ihre
Freundin Renate Watzlaw fahren bis zur Endhaltestelle am Plac Bohaterów
mit, dem Heldenplatz. Kernchen ist 83 Jahre alt und arbeitete früher als
Russisch-Dolmetscherin. Seit zwei Jahren besucht sie jeden Dienstag eine
deutsch-polnische Bastelgruppe für Senioren, organisiert vom Seniorenbüro
der Stadt.
Im dritten Stock eines verwitterten Altbaus sitzen ein halbes Dutzend
Frauen um einen großen Tisch. Man begrüßt sich auf Polnisch und Deutsch,
eine Dolmetscherin hilft bei Verständigungsproblemen. Auf dem Tisch stehen
Teller mit Gebäck, Kaffee und Kirschwodka. Zum Aufwärmen gibt es eine Runde
Prosecco: Heute ist in Polen „Großelterntag“. Eine elegant gekleidete
Mittsechzigerin, die alle Nina nennen, liest die Glückwunsch-SMS ihrer
Enkel vor. Während die Bastelaufgabe des Tages angegangen wird, aus langen
Papierrollen gebogene Valentins-Herzen, wird über das Wetter geschwatzt,
über die Angebote der Seniorenakademie. Die bietet abwechselnd auf der
West- und der Ostseite kostenlose Vorträge über Gesundheits- und
Gesellschaftsthemen an.
Auch der Linienbus ist Thema – Nina etwa nutzt ihn nie. Man könne dort
nicht mit Zloty bezahlen, sagt sie, außerdem könnten die Fahrer oft kein
Polnisch. „Ich fahre lieber Rad, solange es geht.“ Ein Reizthema ist beim
Bastelkreis die grenzverbindende Trambahnlinie, die bei den Verwaltungen
beider Städte weiterhin im Gespräch ist. „Schreiben Sie: Wir wollen diese
Bahn nicht. Sie ist unsinnig teuer für diese kleine Stadt!“, ruft Liselotte
Kernchen erregt. Zustimmendes Gemurmel.
Draußen, am Plac Bohaterów, den das Standbild zweier Sowjetsoldaten in
Heldenpose ziert, hat sich bereits wieder eine Schlange von Wartenden
gebildet: Der Bus 983 fährt zurück zum Bahnhof Frankfurt (Oder). Dominik,
ein höflicher 14-Jähriger mit Wuschelkopf, hat jetzt Schulschluss. Er fährt
nach Hause, ins deutsche Jacobsdorf/Mark, drei Haltestellen vom Frankfurter
Hauptbahnhof entfernt. Seitdem seine Familie vor einem Jahr aus Slubice
wegzog, pendelt er zu seiner alten Schule. Das Leben zwischen Polen und
Deutschland sei „echt kein Problem – ganz normal“, sagt er lässig. Man
pflege auch im Unterricht rege Beziehungen zu einer deutschen Schulklasse,
besuche sich wechselseitig jede Woche. Auch sein Deutsch werde immer
besser.
An der Plac Frankfurt, kurz vor der Brücke, steigen zufriedene
Schnäppchenjäger mit dicken Taschen zu. Drei Berliner mit Hertha-Käppis
freuen sich über einen gelungenen Tag mit „Zigaretten-Kaufen und
Pizza-Essen“. Am Frankfurter Bahnhofsvorplatz verlassen die Fahrgäste den
hellgrünen Grenzbus und verteilen sich auf die Regionalzüge nach Berlin und
Brandenburg. Der Bus mit der Nummer 983 ist jetzt wieder leer. Bereit für
die nächste Runde im kleinen Grenzverkehr.
25 Feb 2014
## AUTOREN
Nina Apin
Nina Apin
## TAGS
Polen
Schwerpunkt Rassismus
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