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# taz.de -- Jenseits der Landesgrenze: Flüchtlinge in Schullandheim
> Bremen bringt unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Wald in
> Niedersachsen unter. Was nach Skandal klingt, erweist sich tatsächlich
> als Glücksfall.
Bild: Feriendomizil für Flüchtlinge: Das Schullandheim Gerdshütte.
BREMEN taz | Zum ersten Mal werden minderjährige Flüchtlinge aus Bremen im
Nachbarland Niedersachsen untergebracht, genauer gesagt in einem
Schullandheim in Kirchseelte, eine halbe Stunde entfernt von der Bremer
Innenstadt. Und mitten im Wald.
Das Schullandheim soll nur vier Wochen lang als Unterkunft dienen. „Für die
Jugendlichen aus Afrika und Afghanistan war das zunächst mit
Angstvorstellungen verbunden“, sagt Boris Ortloff, der die Einrichtung mit
seiner Ehefrau leitet. Unter den Flüchtlingen war nämlich das Gerücht
umgegangen, sie würden dort eingesperrt und von der Polizei bewacht.
Beides ist nicht der Fall und nach dem ersten gemeinsamen Abendessen am
vergangenen Montag hätten die Jugendlichen nach den Handys gegriffen und
ihren Bekannten in der Stadt Entwarnung gegeben. Gleich am Dienstag hätten
die nächsten zehn vor der Tür gestanden, so Ortloff. Insgesamt sind jetzt
18 von 30 Plätzen belegt.
Die Unterbringung von Flüchtlingen ist für die Behörden ein Drahtseilakt,
wie die aktuelle Auseinandersetzung um entsprechend genutzte Turnhallen
zeigt: Vereine hatten den Wegfall ihrer Sportstätten beklagt und im
Internet melden sich AnwohnerInnen mit rassistischen Kommentaren zu Wort,
nachdem widersprüchliche Informationen der Sozialbehörde für
Verunsicherungen gesorgt hatten [1][(taz berichtete)]. Dass
„Zwischenlösungen“ wie die Turnhallen oder eben das Landschulheim in
Kirchseelte notwendig sind, liegt laut Bernd Schneider, Sprecher des
Sozialressorts, am starken Flüchtlingszuwachs in sehr kurzer Zeit. Bremen
muss knapp ein Prozent der bundesweiten Zugänge aufnehmen.
Die Unterbringung unbegleiterer Minderjähriger passiert nun erstmals in
Niedersachsen – allerdings unter dem Dach eines Bremer Trägers: Gerdshütte
e.V. ist eines von neun Bremer Landschulheimen. Seit die Residenzpflicht
zwischen Bremen und Niedersachsen im Februar aufgehoben wurde, bestehen für
die Flüchtlinge keine rechtlichen Bewegungshindernisse mehr.
Eigentlich ist Unterbringung in Abgeschiedenheit etwas, das keine Seite
wollte: Der Flüchtlingsrat betont seit Jahren, wie notwendig die räumliche
Nähe etwa zur psychologischen Beratungsstelle „Refugio“ ist und auch
Handreichungen der Sozialbehörde betonen deren Bedeutung. Aber: Refugio ist
weit weg von Kirchseelte.
Trotzdem scheint mit dieser Zwischenlösung ein Glücksgriff gelungen zu
sein: In der Gerdshütte sind nicht nur die räumlichen Gegebenheiten
günstig, sondern man kann dazu an langjährige pädagogische Arbeit anknüpfen
– auch im interkulturellen Bereich. Rund um die Uhr vor Ort sind die
ErlebnispädagogInnen von „Wolkenkratzer“ mit Angeboten, die Spaß machen
sollen: Gemeinsam wird Fußball gespielt, im Hochseilgarten geklettert oder
gekocht – ein Flüchtling ist gleich als Praktikant in den Küchenbetrieb
eingestiegen.
Für Ortloff sei die Betreuung der Flüchtlinge eine Bereicherung, sagt er.
„Wir arbeiten spontan und sagen entweder gleich, dass wir sowas hinbekommen
– oder wir lassen es.“ Dass „Wolkenkratzer“ gleich mit eingestiegen ist,
läge an beidseitig guten Erfahrungen mit früheren Projekten. Solche Träger
gibt es nicht viele. Das Know-how ist vorhanden, die Strukturen günstig und
es gibt weder Nachbarn noch Beiräte, die dazwischenfunken könnten.
Mit einem Blick auf die Flüchtlingszahlen ist allerdings klar, dass dieses
Projekt ein glücklicher Einzelfall unter Urlaubsbedingungen ist: Da zur
Zeit ohnehin Ferien sind, verpassen die grundsätzlich schulpflichtigen
Flüchtlinge auch keinen Unterricht. Im Schullandheim nehmen sie an
Deutschkursen teil – und im September kommen sie zurück in die Stadt. Ob in
Mobilbauten oder in andere Unterkünfte, ist derzeit aber unklar.
22 Aug 2014
## LINKS
[1] /Fluechtlinge-in-Turnhallen/!144211/
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
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