# taz.de -- Traumatisierte Flüchtlinge in Bremen: Warten auf die Therapie | |
> Flüchtlinge sollen psychologisch besser betreut werden. Doch Bremen fehlt | |
> es weiterhin an Geld, TherapeutInnen und DolmetscherInnen. | |
Bild: Flüchtlingszelt in Bremen: Wer so wohnt, hat es schwer, gesund zu bleibe… | |
BREMEN taz | Deutlich mehr Geld als bisher soll in diesem Jahr Refugio | |
bekommen: Für den Betrieb [1][des therapeutischen Behandlungszentrums für | |
Flüchtlinge] will die Landesregierung 178.000 Euro statt wie im Vorjahr | |
128.000 Euro ausgeben. Die Bürgerschaft muss noch zustimmen. 2014 lag die | |
Fördersumme bei 74.000 Euro. | |
Damit reagiert Bremen auf den steigenden Bedarf an psychotherapeutischen | |
Angeboten. Es sei „möglich, dass bis zu 40 Prozent der Flüchtlinge | |
Anzeichen einer Posttraumatischen Belastungsstörung aufweisen“, heißt es im | |
kürzlich vorgestellten Integrationskonzept. Viele ExpertInnen gehen davon | |
aus, dass weit mehr als die Hälfte belastet sind. Die Anzeichen dafür sind | |
nicht immer zu erkennen, weil die Betroffenen in der von vielen | |
Unsicherheiten geprägten Ankunftszeit die Erlebnisse verdrängen müssen. | |
40 Prozent der Flüchtlinge, das sind über 4.000 Personen, die Bremen allein | |
2015 aufgenommen hat. Weil Kinder und Jugendliche stärker gefährdet sind | |
als Erwachsene, soll auch die Kinder- und Jugendpsychiatrische | |
Beratungsstelle des Gesundheitsamts finanziell besser ausgestattet werden | |
sowie dessen Ambulanz für junge Menschen mit Suchtproblemen. Wie viel Geld | |
das sein wird, ist offen. | |
## Nur ein Bruchteil der Traumatisierten kann betreut werden | |
2015 hatte Refugio 334 Personen betreut, 2014 waren es 277. Wegen der | |
steigenden Flüchtlingszahlen und des steigenden Bedarfes wird sich an den | |
Wartezeiten nichts ändern. Zwei Mal im Jahr gibt es die Möglichkeit, sich | |
bei Refugio anzumelden. Danach müssten die meisten drei bis sechs Monate | |
warten, bis sie eine Therapie beginnen können, sagte Marc Millies, Sprecher | |
von Refugio. Im schlimmsten Fall beträgt die Wartezeit ein Jahr. Voll | |
finanziert sei das Behandlungszentrum noch lange nicht, sagt Millies: | |
„Bisher haben die Zuschüsse 20 Prozent unserer Kosten abgedeckt, jetzt sind | |
es etwas mehr.“ | |
Zudem würden die Krankenkassen viele Angebote wie Kunst- und | |
Bewegungstherapie nicht zahlen. Und auch eine Psychotherapie zahlen die | |
Kassen AsylbewerberInnen erst 15 Monate nach ihrer Registrierung – auf die | |
viele derzeit monatelang warten müssen. Refugio behandelt deshalb auch | |
umsonst. | |
Nicht erstattet von den Kassen werden Dolmetscherkosten – deshalb werde | |
Bremen dafür Geld zur Verfügung stellen, sagte das Gesundheitsressort. | |
TherapeutInnen, die in Bremen Flüchtlinge behandeln, zahlen derzeit die | |
Übersetzungskosten selbst, kritisiert Karl-Heinz Schrömgens, Präsident der | |
Psychotherapeutenkammer. | |
## Mangel an unabhängigen ÜbersetzerInnen | |
Seit vergangenem Jahr können seine KollegInnen nicht mehr auf den | |
Dolmetscherpool zurückgreifen, der im Gesundheitsamt für solche Zwecke | |
aufgebaut wurde. Der Grund: Die Performa Nord, ein Eigenbetrieb des Landes, | |
der den Pool verwaltet, macht keine Verträge mit Freiberuflern. „Wir kennen | |
das Problem und arbeiten an einer Lösung“, sagte die Sprecherin der | |
Gesundheitssenatorin. | |
Bisher würden aus Mangel an DolmetscherInnen oft Familienangehörige | |
übersetzen, was die Therapie behindere, da die KlientInnen entweder | |
Erlebtes verschweigen oder die ÜbersetzerInnen etwas nicht aussprechen | |
wollen, wie eine Vergewaltigung. Daher arbeitet Refugio grundsätzlich mit | |
eigenen DolmetscherInnen, die zudem extra geschult werden und Supervision | |
bekommen. Besonders schwierig sei es, ÜbersetzerInnen für ostafrikanische | |
Sprachen zu finden, sagt Millies. | |
Mangel herrscht auch an TherapeutInnen, die Flüchtlinge behandeln, ganz | |
besonders an MuttersprachlerInnen. „Wir haben im vergangenen Jahr noch | |
einige gefunden, die jetzt ein paar KlientInnen aufgenommen haben“, sagte | |
Millies. Dabei gibt es ausgebildete TherapeutInnen, die in Bremen keine | |
Zulassung für die Abrechnung mit den Krankenkassen bekommen, weil es nach | |
Ansicht der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Bremen zu viele | |
PsychotherapeutInnen gibt. Die KV könnte aber Ausnahmen ermöglichen. Vier | |
entsprechende Anträge seien eingegangen, bestätigt ein KV-Sprecher. | |
## Refugio: Akute Krisen wären vermeidbar | |
Beim sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamts melde sich täglich | |
ein Flüchtling in einer akuten Krise, sagt die Sprecherin des Ressorts. | |
„Früher waren es ein bis zwei in der Woche.“ | |
Viele dieser Krisen, die in Suizidversuchen enden können, ließen sich | |
vermeiden, sagt Millies. „Wenn 40 Prozent Anzeichen erkennen lassen, heißt | |
das ja nicht, dass alle erkranken müssen und der Zustand chronisch wird.“ | |
Um dies zu vermeiden, sei eine rasche Versorgung wichtig. „Manchmal reicht | |
schon ein Gespräch mit Fachleuten, in dem die Betroffenen verstehen, was | |
mit ihnen los ist, woher ihre Beschwerden kommen.“ Denn so furchtbar die | |
Erfahrungen auf der Flucht oder im Herkunftsland auch gewesen sein mögen: | |
Nicht immer führten diese zu schweren Traumatisierungen, die nur mühsam und | |
langwierig zu behandeln sind, sagt Millies. | |
Kinder und Jugendliche haben die Fähigkeiten, etwas zu verarbeiten und | |
gesund zu bleiben häufig noch nicht ausgebildet und sind viel stärker | |
gefährdet als Erwachsene. Dies gilt umso mehr, wenn sie ohne Familie hier | |
sind und auf sich gestellt. „Wenn dann jemand auch noch provisorisch in | |
einem Zelt lebt und es keinen Platz in einer Schule für ihn gibt, ist es | |
kein Wunder, wenn er krank wird“, sagt Millies. | |
1 Feb 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.refugio-bremen.de/ | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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