| # taz.de -- Straffällige junge Flüchtlinge: Ein fragwürdiger Neustart | |
| > Umstrittene Erziehungsmethoden, Ablehnung und Ausländerfeindlichkeit: Das | |
| > erwartet die minderjährigen Flüchtlinge in ihrem neuen Zuhause in Farge. | |
| Bild: Trainingscamp-Lieter Lothar Kannenberg mit zwei Schützlingen. | |
| BREMEN taz | Vier Jugendliche sind mittlerweile in der Rekumer Straße 12 in | |
| Bremen-Farge eingezogen, vier unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge, die | |
| straffällig geworden sind wegen Körperverletzung, Hausfriedensbruchs oder | |
| Diebstahls. Nach und nach sollen hier insgesamt zwölf 14- bis 17-Jährige | |
| einziehen, damit sie, so heißt es auf der Facebook-Seite der | |
| SPD-Beiratsfraktion Blumenthal, „Strukturen und Werte lernen“, und zwar | |
| unter anderem durch „viel Sport bis zur Erschöpfung“ und „einem straffen | |
| Programm zwischen 6 und 22 Uhr“. Ein Bootcamp in Farge? | |
| „Keineswegs“, sagt Bernd Schneider, Sprecher der Sozialbehörde: „Währen… | |
| einem Bootcamp die Persönlichkeit gebrochen wird, setzt das pädagogische | |
| Konzept von Kannenberg darauf, die Jugendlichen wertzuschätzen. Ihre | |
| Persönlichkeit soll gestärkt werden.“ In der Tat redet der 57-jährige | |
| Lothar Kannenberg, Leiter des Projekts in Farge, nicht über Erschöpfung und | |
| 16-Stunden-Tage, sondern über Struktur, Sport, Respekt und Regeln. Für | |
| seine „Trainingscamps“ ist er mehrfach ausgezeichnet worden, zuletzt mit | |
| dem Kriminalpräventionspreis der Stüllenberg-Stiftung im Jahr 2009. | |
| Trotzdem: Kannenberg ist kein Pädagoge. Der Ex-Boxer und Ex-Junkie setzt | |
| auf einen rauen Umgangston und klare Männlichkeitsbilder und auf das hoch | |
| umstrittene Prinzip der Kollektivstrafe: Bricht einer der jugendlichen | |
| Delinquenten seine Regeln, muss die ganze Gruppe dafür geradestehen – gern | |
| auch in Form von Liegestützen. Das hat er auch schon im TV gezeigt, in | |
| einer Serie namens „Das Erziehungscamp“ auf RTL II. | |
| Kannenbergs „harte Hand“ dürfte manchen BürgerInnen Blumenthals nur recht | |
| sein. Schließlich sind die Jugendlichen ja „extrem straffällig“, | |
| „gewalttätig“, gar eine „bewaffnete, arabische Räuberbande“ – das z… | |
| behaupten Mitglieder der Facebook-Gruppe „Rekumer Straße 12 Nicht mit uns“, | |
| die immerhin schon mehr als 2.500 AnhängerInnen gefunden hat. „Im Vorfeld | |
| hat, auch durch die Polizei, eine Dämonisierung dieser Minderjährigen | |
| stattgefunden“, sagt Schneider – „da war von Hoch- und Höchstkriminellen | |
| die Rede.“ Keiner der Jugendlichen falle jedoch in diese Kategorie. | |
| Für Kannenberg habe man sich entschieden, weil Daniel Magel, Initiator des | |
| Jugendprojekts „Hood Training“ in Tenever, Kontakt zu ihm habe, „und weil | |
| Kannenberg einen guten Ruf genießt“, sagt Schneider. Darüber hinaus seien | |
| die Bremer Jugendhilfeträger stets zurückhaltend gewesen bei der | |
| Intensiv-Betreuung Jugendlicher. Dass Kannenberg noch gar nicht genug | |
| pädagogisches Personal beisammen hat, um bei Vollbelegung die versprochene | |
| Eins-zu-eins-Betreuung in Farge gewährleisten zu können, ist für Schneider | |
| kein Problem: „Bis wirklich alle Jugendlichen da sind, wird er auch genug | |
| Leute haben. Das Konzept ist ja nicht so kompliziert.“ | |
| Die AnwohnerInnen interessiert das ohnehin nicht – sie wollen die | |
| „Schwerkriminellen“ einfach nicht da haben. Sie sind sauer auf den Beirat, | |
| der in einer nichtöffentlichen Sitzung sein Okay zum Jugendheim gegeben | |
| hat. Auch Kannenberg sagt: „Der entscheidende Fehler war, dass die Menschen | |
| vorher nicht informiert wurden.“ Ortsamtsleiter Peter Nowack (SPD) | |
| begründet das mit „einem enormen Handlungsdruck. Manchmal muss dann die | |
| Bürgerbeteiligung etwas warten. Wir werden dann am realistischen Beispiel | |
| alles abarbeiten.“ Feindselige und beleidigende Äußerungen erfahre er | |
| ohnehin fast nur durch die Anonymität des Internets. | |
| Und die wird genutzt, auch für offene Ausländerfeindlichkeit. So schreibt | |
| „Anni Meyer“: „Wir waren so froh als es endlich Ruhe gegeben hat in rekum | |
| das Asylantenheim endlich abgerissen wurde und nu holen die uns die | |
| kiminellen wieder hier her.“ Aber auch in der nicht-virtuellen Welt läuft | |
| nicht alles rund für Kannenberg und die Jugendlichen: Gegenüber der Rekumer | |
| Straße 12 hängt ein weithin sichtbares Transparent mit der Aufschrift: | |
| „Kein offener Vollzug in der Rekumer Straße!“, Kannenberg hat bereits zwei | |
| Morddrohungen erhalten und eine Drohung, einen Molotow-Cocktail in das Heim | |
| zu werfen, das nun unter Polizeischutz steht. Kannenberg wird von einem | |
| Bodyguard beschützt, gibt sich aber entspannt: „Ach, alles halb so schlimm. | |
| Ich bin mir sicher, dass sich das wieder beruhigt.“ Viele Nachbarn böten | |
| ihm auch Hilfe an und brächten Spenden vorbei. | |
| 2 Nov 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schnase | |
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