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# taz.de -- Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter: Eine zarte Seele
> Fachkundiger Botaniker, Bayer, Feingeist: Der Spitzenpolitiker der Grünen
> kommt in der Presse ziemlich schlecht weg. Zu Recht?
Bild: Seit Herbst 2013 auf seinem Posten: Anton Hofreiter.
Was tun, wenn eine Bande Banditen einen unter freiem Himmel mit
vorgehaltenen Gewehren ausrauben will? Mir fällt keine Antwort ein. So was
pflegt in unserer Lebenswelt schließlich nicht vorzukommen. Was aber macht
es mit einem, wenn man es erlebt hat?
Anton Hofreiter hat diese Erfahrung. Auf seinen Reisen in Südamerika ist es
ihm geschehen, mehrfach, wie er sagt. Er berichtet davon als Antwort auf
meine Frage, wie ihn der Stress der letzten Monate verändert habe. Seit
Herbst 2013 ist er Fraktionsvorsitzender der Grünen. Und seither hat der
Neuling auf den Frontplätzen der deutschen Politik ziemlich schlechte
Presse.
Jeder Auftritt von ihm wird skeptisch beäugt, das Wort „hölzern“ macht die
Runde. Die Vergleiche mit seinem rhetorisch geschickten Vorgänger Trittin
fallen überwiegend negativ aus. Manch einer wäre bei dem heftigen
journalistischen Gegenwind eingeknickt. Hofreiter – natürlich – nicht. Kann
einen denn nach solch lebensbedrohlichen Erfahrungen noch irgendetwas
wirklich aus der Fassung bringen? Das jedenfalls ist die Version, die er
mir präsentiert.
Ich bin überrascht über die Massivität, mit der die Idee ausgeräumt werden
soll, eine monatelange Negativkampagne könne an den Nerven zehren. Da
präsentiert sich Hofreiter bärig und mit breiter Brust als robuster,
grundgelassener Bayer: Mia san mia – wer kann uns schon was?
## Lust am Widerspruch
Vielleicht noch stärker als das Bayrische hat ihn seine
naturwissenschaftliche Ausbildung geprägt. Die Mischung aus beidem bestimmt
seinen Kommunikationsstil, in der erkennbaren Lust am Widerspruch finden
sie zusammen. Lange Zeit kommt kaum eine Frage von mir bei meinem
Gesprächspartner an einem lustvoll vorgetragenen
bayrisch-fundamentalistischen „Nein“ vorbei.
Nur um gleich im Anschluss zu erklären, dass die Ablehnung streng
wissenschaftlich zu verstehen ist: Nein, so wie die Frage gestellt ist, sei
es gewiss nicht, aber … Die von mir vorgeschlagene Formel „differenzierende
Negation“ findet Hofreiter lustig und zustimmungswürdig.
Meine Erkundigung, wie er es denn mit der Religion halte, trifft indes auf
ein geradezu überlebensgroßes Nein: „Ich bin Naturwissenschaftler!“ Ein
Bekenntnis-Satz wie ein Hammerschlag. Hofreiters Haltung ist von
existenzieller Entschiedenheit, nicht zuletzt weil seine Überzeugungen
wissenschaftlich untermauert sind. Wenn man einmal die Vielfalt unserer
biologischen Lebenswelt, sei es als fachkundiger Botaniker oder auch nur in
der Fülle ihrer Schönheit, kennengelernt habe, könne man nur ein Grüner
sein: einer, der sich dafür einsetzt, die Grundlagen unseres Lebens mit
allen Mitteln zu erhalten. So sein glaubwürdiges politisches Credo.
## Die Ordnung der Dinge
Hofreiter hat die schöne und vielfältige wie bedrohte Natur auf
ausgedehnten Reisen insbesondere in Lateinamerika unter beiden Perspektiven
wahr- und in sein politisches Portfolio aufgenommen. Seit Jugendtagen
fasziniert ihn, wie Leben entsteht – ausschlaggebend für seine
Entscheidung, Chemie zu studieren und zur Biologie zu wechseln. Als
Alternative hätte er sich ein Philosophiestudium vorstellen können. „Warum
ist die Welt so, wie sie ist?“ lautet die Frage, in der sich Natur und
Geist treffen. Er wiederholt sie, um ihr Gewicht zu geben. Es geht um nicht
weniger als die Ordnung der Dinge.
Der promovierte Botaniker hat nicht nur gelernt, die Pflanzenwelt nach
festen Klassifikationssystemen zu ordnen. Kaum dass wir am Tisch in seinem
seltsam anonym wirkenden Berliner Büro Platz genommen haben („es gibt
Wasser, es gibt Apfelsaft und Wasser ohne Sprudel“), sehe ich mich selbst
auf der Grundlage äußerer Merkmale kategorisiert.
Ich solle mir bloß nicht einbilden, was Besonderes zu sein mit der
„klassischen uniformierten Durchschnittskleidung des gehobenen Akademikers
– Anzug, Hemd und Krawatte“. Ich bräuchte mich in der peer group doch nur
mal umzuschauen: „Da sind alle exakt so gekleidet.“ Das gelte selbst für
meine langen Haare. Wissenschaftlern sei „das halt gestattet“.
Ich bin überrascht, wie genau Anton Hofreiter mein Leben kennt. Zweifellos
ist er ein kontrollierender, ja durchaus misstrauischer, zum Rivalisieren
neigender Mensch. Was gewiss nicht nur an den schlechten Erfahrungen der
letzten Zeit liegt. Der weitgereiste Grüne hat etwas zu verstecken. Etwas,
das auf der politischen Bühne leicht zum Fallstrick werden kann: eine zarte
Seele. Viele würden es dem ach so robusten, manchmal beim Reden deftig aufs
Pult trommelnden, vermeintlich emotional unerschütterlichen und politisch
kompromisslosen Oppositionsführer nicht zutrauen: Im grünen Problembären
schlägt das Herz einer lyrischen Nachtigall.
## Den Faust in der Tasche
Als wir auf Literatur zu sprechen kommen, ändern sich schlagartig Ton und
Puls unseres Gesprächs. Ob ich die „Büchergilde Gutenberg“ kenne? Mein
Kopfnicken scheint die uniformierte Durchschnittskleidung wettzumachen. Mit
den wunderschönen Ausgaben dieser Buchgesellschaft verbinden sich bei
Hofreiter prägende Lektüreerfahrungen seiner Jugendzeit.
Plötzlich weicht das Misstrauen einem sympathischen jungenhaften Eifer.
Einem Eifer, der so weder bei den Erzählungen über seine Jugendkarriere als
Torwart selbstorganisierter Fußballmannschaften („Ich bin kein Vereinstyp“)
noch in den Erinnerungen an die Münchner Kneipenszene und Isarpartys, ja
nicht einmal bei der Geschichte seines frühen politischen Engagements
spürbar war – schon mit 14 Jahren besuchte er Veranstaltungen der Grünen.
Erst als es um B. Traven, Brecht, Kafka, Borchert und Kästner, um Pablo
Neruda und García Márquez geht, kommt ein Ton der Begeisterung auf. Und,
natürlich, Goethe.
Plötzlich rezitiert Hofreiter den Mephisto-Monolog. Bei der Stelle über den
Geist, der stets verneint, muss ich ein bisschen grinsen: Wer könnte es
glaubwürdiger vortragen? Der „Faust“ ist für Anton Hofreiter seit seinen
Jugendtagen eine Art Vademecum. Er kennt ganze Passagen auswendig, ebenso
Lyrik: „zur damaligen Zeit so 50, 100 Gedichte“.
Noch heute führt er ein Notizbuch mit sich, in das er Gedichte schreibt,
die ihm besonders gefallen. Sie sind für ihn „eine ganz direkte, emotionale
Art, Probleme anzusprechen, in der grundlegende Fragen sehr knapp und
prägnant auf den Punkt gebracht werden“.
## Empfindsamkeit und Ruhe
Theater hat er früher gespielt und viel gemalt, Aquarelle vor allem. Ich
bin verblüfft, mit welcher Leidenschaft er davon spricht, wie das Zeichnen
die Augen für die Wahrnehmung der komplexen Realität öffne: Es sei etwas,
um zur Ruhe zu kommen, und es setze zugleich Ruhe voraus. So hat er es auf
seinen Reisen, bei denen er immer die Malutensilien dabeihatte, gelernt:
„Um gut zeichnen zu können, müssen Sie eigentlich schon eine Woche
abgeschaltet haben.“ Wenig schule die „Empfindsamkeit für die Umgebung“
ähnlich stark. Die dazugehörige Ruhe fehlt dem Profipolitiker heute.
Trotz seines frühen Engagements hat er sich erst spät dazu durchgerungen,
hauptberuflich Politik zu treiben. Ob er es bereut? Ich verzichte auf die
Frage, weil ich des „Neins“ sicher bin. Aber sein Hinweis auf die
Empfindsamkeit als grundlegende Haltung zur Welt rührt an ein Problem, das
sich gerade den glaubwürdigsten Politikern stellt: Was verliert man in der
Tretmühle des Tagesgeschäfts – allen narzisstischen Gewinnen zum Trotz?
Anton Hofreiter ist in dieser Hinsicht eine exemplarische, tragisch
unzeitgemäße Gestalt. Er steht in seinem persönlichen Bekenntnis zu
fundamentalen ökologischen Werten für eine Rückbesinnung der Grünen auf
ihre ursprünglichen Werte. Aber unter dem gnadenlosen Gebot des Erfolgs,
der seiner Partei bis vor Kurzem sicher schien und nun grundsätzlich
fraglich geworden ist.
Hofreiters ganzes Temperament steht für konsequente Opposition; eine Form
der Politik, der es fremd ist, nach kompromisshaften Erfolgen zu schielen.
Nur ist das nicht mehr der Anspruch der Partei, die er anführen, im
Klartext: möglichst schnell in die Regierung führen soll. Hofreiters Manko
ist der Mangel an Zynismus. Er wird Schwierigkeiten haben, den Spagat
zwischen wertegeleitetem Widerspruch und taktischer Zustimmung
hinzukriegen.
## Strategie der Zuspitzung
Ein Sachpolitiker von Gnaden, fleißig, präzise, kenntnisreich – als Leiter
des Verkehrsausschusses heimste er Lob von allen Seiten ein – ist er
durchaus „anschlussfähig“, offen für andere Optionen als das von ihm
favorisierte Rot-Grün. Doch bleibt die Frage, ob er der richtige Mann dafür
ist, die Partei für eine schwarz-grüne Koalition vorzubereiten: der
wahrscheinlich einzig realistischen Möglichkeit, in absehbarer Zeit in
Regierungs-, sprich Gestaltungsverantwortung zu kommen.
Hofreiters Strategie, die Konfrontation mit den Latino-Banditen zu
überstehen, war übrigens, die Lage zuzuspitzen. Er gab dem Anführer zu
verstehen: Egal, wie groß deine Übermacht ist, du bist im Ernstfall
garantiert dran.
Botaniker, sagt Hofreiter lächelnd, hätten bei ihrer Arbeit ja immer etwas
Scharfkantiges in der Hand. Und das sei im Nahkampf zweifellos das bessere
Mittel als eine Flinte. Für die Räuber scheint das plausibel gewesen zu
sein. Es wäre albern, Hofreiter zu unterstellen, er würde diese krasse
Erfahrung auf seine parlamentarische Arbeit übertragen. Aber es entspricht
seinem Charakter. Jedenfalls der einen, der offenkundigen Seite. Es bleibt
abzuwarten, ob er die andere, einfühlsame und empfindsame, stark genug
machen kann, um aus der aktuell gegebenen Konfrontation Möglichkeiten für
zukunftsweisende Kooperationen entwickeln zu können.
24 Aug 2014
## AUTOREN
Christian Schneider
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