# taz.de -- SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi: Die Gefangene | |
> Stark musste sie sein für ihren sozialen Aufstieg, stark soll ihre Partei | |
> sein. Dass sie dafür die Herzen erreichen muss, ist ihr Problem. | |
Bild: Strikter Gegensatz zwischen Herz und Verstand: Yasmin Fahimi. | |
Yasmin Fahimis Begrüßungslächeln in ihrem klar eingerichteten Chefbüro des | |
Willy-Brandt-Hauses könnte kaum freundlicher sein. Zwei steile Falten über | |
der Nasenwurzel künden indes von anderen Möglichkeiten. Das Gesicht der | |
SPD-Generalsekretärin beim Gespräch zu beobachten hat etwas von Bergwandern | |
bei unsicherer Wetterlage. Mal gewittert und blitzt es, mal geht die Sonne | |
auf, mitunter wird es, typisch für Höhenlagen, empfindlich kühl. | |
Nur ein Klimaphänomen scheint undenkbar: Nebel. Alles hat klar zu sein. | |
Vielleicht ist das so, wenn das Leben unter unklaren Umständen begonnen | |
hat. Yasmin Fahimi ist das Kind einer Beziehung, in der sich nicht nur zwei | |
Kulturen, sondern auch Leben und Tod begegnet sind. | |
Der Gedanke, sie könne davon geprägt sein, würde bei der Parteimanagerin | |
vermutlich heftige Stirngewitter auslösen – eine nebulöse, | |
psychologisierende Vermutung. Die Tatsachen: Ihr Vater, ein iranischer | |
Chemiker, der in Deutschland studiert hatte, starb bei einem Autounfall, | |
als ihre deutsche Mutter mit ihr schwanger war. Yasmin Fahimi wurde | |
vaterlos geboren und blieb es. | |
Ihre Mutter brachte, nach Deutschland zurückgekehrt, die kleine Familie – | |
der ältere Bruder ist noch im Iran geboren – allein durch. Eine starke, | |
disziplinierte Frau, zweifellos. Sie holte das Fachabitur nach und | |
absolvierte im Schnellgang ein Sozialpädagogikstudium, um eine angemessen | |
bezahlte Stelle zu bekommen. Als ihre Tochter davon erzählt, gerät sie ins | |
Stottern – das einzige Mal im Gespräch. Die Mutter sei Angestellte einer – | |
na, mh – nicht Justizvollzugsanstalt, sondern – äh – im Justizministerium | |
gewesen. | |
Dass sie in dieser Passage beinahe im Gefängnis gelandet wäre, könnte man | |
als Zeichen eines nicht unkonfliktuösen Mutter-Tochter-Verhältnisses | |
verstehen. Wie viel Disziplin mag die alleinerziehende berufstätige Mutter | |
den Kindern abverlangt haben? Meine Frage danach gibt mir indes nur | |
Gelegenheit, Einblick in die erstaunliche Tiefe von Fahimis Stirnfalten zu | |
nehmen. | |
## Primat der Ökonomie | |
Menschen wie die hochdisziplinierte, ihrer Sache gewisse Generalsekretärin | |
sind daran gewöhnt, dass die anderen an ihr vorbeireden. Etwa mit solchen | |
Überlegungen, wie ich sie ins Spiel bringe. Dabei steht sie der | |
Psychologie, wenn man ihren Worten glaubt, nicht grundsätzlich fern. Schon | |
früh habe sie sich mit „den großen Linien“ des Weltgeschehens vertraut | |
gemacht. Ich möchte darin eingeweiht sein und erhalte eine kleine Lektion | |
über den Primat der Ökonomie: die Überzeugung, die Wirtschaft sei der | |
entscheidende Taktgeber des Geschehens. Da sei sie nach wie vor eine | |
„Urlinke“. Aber selbstverständlich sei auch „der Überbau“ wichtig, al… | |
„die Bedürfnisse und Triebe“. Wo denn die Psychologie ihr legitimes | |
Plätzchen hätte. | |
Die Grundlage ihrer Gewissheit ist das terminologisch notdürftig | |
modernisierte, alte marxistische Basis-Überbau-Schema. So hat sie es in | |
ihrer Jusozeit – sie gehörte dem linken Flügel an – gelernt. Leicht | |
nachvollziehbar. Aber so, wie sie es erzählt, lerne ich die junge Yasmin, | |
ihre Neugier danach, was die Welt zusammenhält und was sie damals | |
angetrieben hat, nicht kennen. Die Bedürfnisse, die hinter ihrer | |
„Theoriearbeit“ steckten, bleiben ausgespart. Es fallen Namen wie Gramsci, | |
Laclau und Adorno, aber das Subjekt der theoretischen Anstrengung, sie | |
selbst, wird nirgends kenntlich: als stünde bei ihr alles Lebendige, alles | |
Persönliche unter Verbot. | |
Klar ist nur, dass die anspruchsvolle Theorierezeption parallel zu Schule | |
und Studium Fleiß und Engagement, Kraft und Intelligenz erforderten. | |
All das zeichnet Yasmin Fahimi aus. Sie hat, in der Spur der Mutter, | |
gelernt, sich „durchzubeißen“. Schon das Gymnasium besuchen zu dürfen | |
verlangte Entschlossenheit und die Unterstützung einer Lehrerin. Die | |
Entscheidung für Chemie als Studienfach – ob es vielleicht eine unbewusste | |
Prägung durch den Vater gebe, fragt sie, fast kokett lächelnd – wirkt wie | |
eine Trotzreaktion: Der Lehrer im Leistungskurs Chemie hatte erst einseitig | |
die Jungen gefördert, dann allen Teilnehmern die Fähigkeit abgesprochen, | |
das Fach zu studieren. Fahimis Widerspruchsgeist war herausgefordert. | |
Tatsächlich, sie hat Kämpfen gelernt. Diese kämpferischen Qualitäten will | |
sie nun für die Partei einsetzen. | |
Die SPD, sagt sie, müsse sich auf ihre Stärken besinnen. Klar. Nur, dass | |
die Stärken aus ihrem Mund immer wie ein Singular klingen: Stärke – darum | |
scheint sich in ihrem Kosmos alles zu drehen. Stärke zeigen. Sich keine | |
Blöße geben. Sich auf sich selbst besinnen. In meinen Ohren klingt es wie | |
die Projektion einer persönlichen Lebensphilosophie auf das politische | |
Feld: Der/die Starke ist der/die Überlegene. | |
Um die SPD wieder stark zu machen, müssen – klar – die ihr in Scharen | |
entlaufenen Wähler zurückgewonnen werden: Die Partei müsse wieder die Nähe | |
der Menschen suchen, sie direkt ansprechen, ihre Nöte verstehen und | |
thematisieren. Bei diesem Diskurs zählten nicht nur Sachargumente, es komme | |
darauf an, „auch mit dem Herzen zu überzeugen“. Ich bin so überrascht, da… | |
mir die Frage herausrutscht: „Können Sie denn das?“ | |
Unmittelbar davor hatte Fahimi auf den von mir zitierten, medial vielfach | |
gegen sie erhobenen Vorwurf, sie wirke „abstrakt“, achselzuckend reagiert: | |
Vielleicht sei das so. Sie müsse allerdings sagen, dass sie das nur bedingt | |
interessiere. Und: „Der Spaß am Denken ist natürlich nicht wirklich sexy zu | |
verkaufen.“ In ihrem Weltbild scheinen Herz und Verstand, Denken und Fühlen | |
strikte Gegensätze zu sein. Ihre Antwort auf meine Frage lautet: „Ja, | |
vielleicht muss ich selbstkritisch eingestehen, dass ich die andere Seite | |
stärker zulassen müsste.“ Sie meint das Herz. | |
## An Taten messen | |
Im Kontakt mit Menschen stelle sie immer wieder fest, dass sie viel | |
sympathischer rüberkomme als erwartet. Prinzipiell sei es für sie kein | |
Problem, die Menschen zu erreichen, mit ihnen zu reden und zu lachen. Und | |
dann lacht sie tatsächlich und sagt: „Vielleicht muss ich das an der einen | |
oder anderen Stelle noch deutlicher machen“ – „weiter herausarbeiten“ h… | |
sie in unserem Gespräch gesagt, aber wir hatten vereinbart, sie dürfe die | |
Zitate gegenlesen, und so wurde daraus „deutlicher machen“. | |
„Herausarbeiten“: Ein Wort wie ein Stempel, niederschmetternd und prägend. | |
Sie sei halt sehr diszipliniert erzogen worden, fokussiert auf | |
Problemlösungen und klare Ziele. Dagegen sei „alles andere eher | |
Schmückwerk“. An Taten, nicht an Reden will sie sich messen lassen. Machen, | |
nicht Schönreden sei ihre Stärke. Dabei „verigele“ sie sich manchmal und | |
ziehe sich zurück. Nein, kein Riegel, ein Igel: das Stacheltier. Es ist die | |
erste Passage des Interviews, in der mich ein Affekt erreicht. | |
Sie spüre die Ansprüche ihres Hochleistungsjobs – „kein Tag unter 14 | |
Arbeitsstunden“ – auch im Privatleben. Manchmal, im Hotelzimmer, komme ein | |
Gefühl der Einsamkeit auf. Als Ausgleich gibt es im heimischen Hannover | |
einen wunderbaren Freundeskreis. Für den sie gerne kocht. Sie mag es, von | |
vorne bis hinten – Planung, Einkauf, Kochen, Essen, Feiern: inklusive | |
Herumalbern. Ich versuche, es mir vorzustellen. | |
Und schließlich sei der Job ja auch spannend und voll ungewöhnlicher | |
Gratifikationen: Kontakte mit „exklusiven Menschen“, mit denen sie | |
„geistiges Pingpong“ spielen könne; die eigene Kreativität auszuleben, | |
strategisches Denken in Handeln umzusetzen. Fahimi gilt als versierte | |
Organisatorin. Besonders gut sei sie darin, sagt sie, Trends aufzuspüren, | |
neue Formate und Kommunikationsstrategien zu entwickeln; aber auch an alte | |
Traditionen zu erinnern. | |
## Mechanisches Verständnis | |
Manchmal ärgert sie sich über die heute herrschende Disziplinlosigkeit und | |
Unzufriedenheit in der Partei. Wo bleibt der Stolz auf Erfolge? „Was ist | |
die Geschichte, die wir erzählen wollen?“, fragt sie mit Stirnfaltenmiene. | |
Um die Menschen zu erreichen. „Was sind die Reizwörter, was ist die Idee, | |
was ist die Empfindung, die wir damit auch auslösen wollen?“ – „Empathie… | |
hatte sie im Interview gesagt. | |
Empathie auslösen? Es klingt, als ginge es um eine Versuchsanordnung, in | |
der sie wie ein experimentell zu gewinnender chemischer Botenstoff ins | |
Reagenzglas tropft. Als ich sage, nach meinem Verständnis sei die | |
Möglichkeit dazu doch daran gebunden, selber Empathie ins Spiel zu bringen, | |
fühle ich hinter ihrem kurzen Kopfnicken – nichts. „Sehen Sie es mir nach, | |
dass ich das anders sehe als Sie“, sagt sie und lacht. Diesmal mehr | |
überlegen als freundlich. Kein Zweifel, wer hier Bescheid weiß. | |
Die strategische Empathieoffensive entpuppt sich übrigens als | |
Nachbarschaftskampagne – SPDler klingeln an Haustüren. | |
Zu diesem Zeitpunkt habe ich es längst aufgegeben, mehr von Fahimis | |
„Überbau“-Seite, der emotionalen Grundierung ihres Handelns und Wollens, | |
von ihrem Leben und ihrer Lebendigkeit erfahren zu wollen. All das ist | |
radikal abgekapselt, dem Diskurs entzogen. Ich muss an die | |
Justizvollzugsanstalt und den Igel denken: Eingerollt mit den Stacheln zur | |
Welt ist er unangreifbar, aber eben auch – gefangen. | |
Als Yasmin Fahimi am Schluss über Glückserlebnisse in der Natur redet, | |
fühle ich mich ein wenig wie ein Bub, der zum Abschied ein Bonbon mit auf | |
den Weg bekommt. Der Flieger wartet nicht. Keine Chance, noch auf ein | |
anderes Gesprächsniveau zu kommen: objektiv unmöglich, würde sie vielleicht | |
sagen. | |
Als ich im Lift von der Chefetage ins Basement fahre, denke ich, unklar | |
traurig, über Überbau und Basis nach. Und über Empathie. Und die Chancen | |
der SPD, sie auszulösen. | |
27 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Christian Schneider | |
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