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# taz.de -- CSU-Vorzeigefrau Dorothee Bär: Wie man zu sein hat
> In Dorothee Bärs Brust wohnen, ach, zwei Seelen. Es täte ihr und der CSU
> gut, wenn sie dem Rebellischen mehr öffentlichen Raum gäbe.
Bild: Mal Vamp, mal braves Mädchen: Dorothee Bär.
Sind wir nicht alle mit dem Problem beschäftigt, wer man eigentlich sei und
zu sein wünscht? Eine Frage, die keineswegs identisch mit der Frage, wie
man sein möchte, ist. Die Differenz von Wer und Wie wird meist kaum
wahrgenommen. Dabei entscheidet sie wesentlich darüber, was wir unserem
Leben abgewinnen können.
Dorothee Bär hat klare Vorstellungen darüber, wer sie ist, und plausible
Pläne, was sie noch werden möchte. Das Problem ist das Wie. Dabei müsste
sie es eigentlich wissen, denn von Kindesbeinen an ist sie daran gewöhnt,
Erwartungen, wie man zu sein hat, zu entsprechen.
Heute ist sie die junge, hübsche, spontane, Tradition mit Moderne und
politisches Engagement mit intaktem Familienleben verbindende Frau der CSU.
Und vor allem: erfolgreich. Was selbst noch dem leicht hämischen Spruch
eingeschrieben ist, der über sie kursiert: 1 Mann (seines Zeichens Landrat
in Hof), 2 Dienstwagen, 3 Kinder.
Dorothee Bär ist eine Vorzeigefrau. Sie spielt diese Rolle mit Charme – und
Routine. Kein Wunder, sie tut es seit mindestens zwölf Jahren. 2002 wurde
sie erstmals in den Bundestag gewählt, damals war sie 24.
Dass sie heute immer noch die jüngste Frau der CSU an der Spree ist, sagt
einiges über das Profil ihrer Partei; einer der Punkte, mit denen die
Staatssekretärin im Verkehrsministerium nicht zufrieden ist: 19 Prozent
weibliche CSU-Mitglieder – das ist ihr entschieden zu wenig. Bär hat ein
Faible für selbstbewusste, ja, sie sagt es explizit, für „wilde Frauen“. …
eine wäre sie selbst auch gern. Vorbilder dafür findet sie jedoch nicht in
der Politik, sondern in Kunst und Kultur: Niki de St. Phalle, Peggy
Guggenheim oder Coco Chanel – das wär’s!
Dorothee Bär aber ist Politikerin. Von ganzem Herzen – und quasi von
Geburt. Ihr Vater, ebenso wie die Mutter im Lehramt tätig, war der
Bürgermeister ihres unterfränkischen Heimatorts. In langer Traditionsreihe.
Sein Vater war es ebenso wie Dorothee Bärs Urgroßvater. Offenbar eine
verpflichtende Tradition, denn Dorothee trat nicht nur schon mit 14 in die
Junge Union und mit 16 in die CSU ein, sondern lancierte ihre erste
Petition im Alter von neun Jahren.
## Vom Bischof enttäuscht
Bei keinem Geringeren als dem Landesbischof spricht sie zusammen mit einer
Freundin vor, um ihren Wunsch, im Gottesdienst ministrieren zu dürfen,
gegen den Willen des Ortspfarrers durchzusetzen. „Ich war mir sicher, dass
der Bischof sagt, ja der spinnt doch, euer Pfarrer.“ Ihre Enttäuschung war
abgrundtief, als der Kirchenfürst ihrem Anliegen nicht entsprach. „Ich war
echt geschockt, weil ich total sicher war, er würde uns recht geben.“ Als
der Pfarrer sie später doch zur Ministrantin machen will, weil es zu wenig
Jungen gibt, lehnt Dorothee ab. Sie lacht.
Dorothee Bär lacht gern. So oft und so explosiv, dass ich den Eindruck
gewinne, das Lachen sei Teil einer Abwehrstrategie: Bär besitzt die
Fähigkeit, das, was ihr nicht ins Konzept passt, in Gelächter zu ertränken,
es „wegzulachen“. Selbst in der lauten Szenekneipe, in der wir sitzen –
praktisch jeder Gast hat ein Laptop vor sich, die Ohren der meisten sind
verstöpselt – dringt dieses Lachen durch das kommunikative Sperrfeuer
englischer und deutscher Laute. Dann habe sie ja damals, mit neun Jahren,
schon eine Grundqualifikation für Politik besessen, sage ich. Sie schaut
fragend: „Nämlich?“ – „Der Glaube, wie es zu sein hat.“
Zu dem Zeitpunkt sprechen wir schon eine gute Dreiviertelstunde
miteinander, ich habe einiges über ihre Karriere, das Aufwachsen im Dorf,
ihr enges Verhältnis zur Familie – sie lebt immer noch im Elternhaus – und
ihr Studium der Politikwissenschaften in München und Berlin erfahren. Das
Gespräch ist lebhaft, Frau Bär erzählt mit erkennbarer Lust.
Und urplötzlich sitzt das Gespenst des Misstrauens bei uns am Tisch. Meine
Bemerkung über den festen politischen Glauben bringt Dorothee Bär sichtlich
aus dem Takt. Für Momente ist es so, als würde sie mehr zu sich selbst als
zu mir reden: Welches Bild ich denn wohl von ihr hätte? Eigentlich habe sie
sich jedes weitere Porträt für diese Periode untersagt! Was werde ich nun
über sie schreiben?
Ihr Lachen, das unsere Unterhaltung bislang untermalt hat, ist weg. Ich
habe das Gefühl, einer anderen Frau gegenüberzusitzen. Eine, für die nicht
alles klar ist, die zweifelt und mir zu verstehen gibt, bei ihr sei weiß
Gott nicht alles so glatt und nach Plan verlaufen, wie es scheinen mag. Mir
gefällt der Ernst, der sich in ihrem Gesicht ausbreitet, und sage das auch.
Sie schaut erstaunt und ein bisschen zweifelnd. Das habe ihre Mutter immer
zu ihr gesagt: Sie sei eine Grüblerin, zu ernsthaft. Inmitten der
lautstarken Öffentlichkeit entsteht still ein etwas anderes Bild als das
von ihr so sorgfältig für die Außendarstellung gepflegte.
## Gegen den Vater rebelliert
Auf dem Umweg über den Würzburger Bischof sind wir wieder bei ihr zu Hause,
bei den Wurzeln gelandet. Diesmal nicht nur mit dem Vater in der
Hauptrolle. Die sonst unumstritten ist. Er ist Dorothee Bärs absolutes
Vorbild, als Mensch wie als Politiker. Bei den Politikern folgen ihm mit
großem Abstand Edmund Stoiber, der sie früh gefördert hat, und Michael
Glos, ihr ehemaliger Landesgruppenchef.
Wie das Menschliche und das Politische zusammenhängen – darüber erzählt die
bewundernde Tochter eine Geschichte, die mindestens so viel über sie selbst
aussagt wie über den Vater: Als sie mit 14 in die Junge Union eintreten
will, rät er ab. Sie sei zu jung. Dorothee tut es trotzdem. „Das war meine
Teenagerrebellion.“ Er habe wohl Angst gehabt, dass sie es nur wolle, weil
er dort Mitglied war.
Es ist eine Schlüsselgeschichte über die komplexe Mischung aus Bravheit und
Trotz, die Dorothee Bär auszeichnet. Ähnlich wie beim Bischof war sie sich
sicher, das Richtige zu wollen. Noch im Widerspruch lag die Gewissheit,
letztlich doch dem väterlichen Willen zu entsprechen – und zugleich
Eigenständigkeit zu beweisen. War die Rebellion am Ende die Erfüllung einer
Erwartung höherer Art? Eine Antwort auf die Frage, wie man zu sein hat?
Aber es gab auch andere Seiten adoleszenten Aufbegehrens. Ihr damaliger
Freundeskreis war „sehr links und sehr punklastig“. Sie punktete in dieser
Szene mit lila gefärbten Haaren, einer ansehnlichen Sammlung von Doc
Martens und einer Vorliebe für „Ultrapunkbands“. Hier ist die
Internetspezialistin, zu deren politischen Zielen es gehört, Deutschland
flächendeckend mit Breitbandzugang zu versorgen, nicht unglücklich darüber,
dass es damals noch keine Digitalfotografie und Plattformen zum Posten der
Bilder gab.
CSU und linke Punkszene – wie ging das zusammen? Bär zuckt die Achseln. Sie
war immer „gern mit denen befreundet, die nicht so angepasst waren“.
Dennoch sei sie in vielem damals konservativer gewesen als heute, etwa in
der Frage von Patchworkfamilien und homosexuellen Lebensgemeinschaften.
Dorothee Bär ist – weshalb sie auch von ihrer ursprünglichen Kritik des
Betreuungsgelds abgegangen sei – strikt dafür, verschiedenen Lebensmodellen
eine Chance zu geben. Ihr Wunsch ist, von der Norm loszukommen, ja „eine
Kultur des Scheiterns zuzulassen“.
## „'Das macht man nicht?' Dann mach ich’s erst recht“
Sie läuft Sturm gegen das herrschende Dogma, das keine Fehlentscheidung,
keine Lücke im Lebenslauf verzeihe. Risiken einzugehen sei notwendig für
die Entwicklung der Gesellschaft. Sie hält ein flammendes Plädoyer für das
Aufkündigen falscher Konventionen. Was etwa sei dagegen zu sagen, wenn eine
junge Mutter sich piercen lässt oder ein Tattoo trägt? Wird da etwa alter
Punktrotz laut? Ewig dieses „Das macht man nicht!“ Sie schüttelt energisch
den Kopf und sagt: „Dann mach ich’s erst recht.“ Auch aus den politischen
Zwängen möchte sie immer wieder mal „ausbüxen“ – und sie tut es auch. …
Beispiele, die sie zum Besten gibt, haben entwaffnenden Witz.
In Dorothee Bärs Brust wohnen, ach, zwei Seelen. Das Wer und das Wie
unserer Ausgangsfrage – sie sind nicht endgültig zur Deckung zu bringen.
Auf ihren Internetfotos kann man es sehen: mal Vamp, mal braves Mädchen.
Dirndl und Minirock – kein Widerspruch? Nur eins, sagt sie am Ende unseres
Gesprächs lachend, ginge nicht: „Nie flache Schuhe!“ Es ist so
selbstironisch wie symptomatisch. Ihr Widerspruchsgeist, die Lust am
Ausbrechen sind, so genuin sie sein mögen, in ihrer politischen Vita noch
nicht wirklich untergekommen.
Im Zweifel verblüht der Wunsch nach einer „wilden“ Frauenexistenz im
Schatten der braven Tochter, die sie trotz allem geblieben ist. Stilettos
statt konsequentem politischen Stilethos. Dabei täte es ihr und ihrer
Partei gut, wenn sie dem Rebellischen mehr öffentlichen Raum gäbe. Nicht
nur Ab-, sondern Ansätze dafür gibt es. Etwa, wenn sie die
Vorratsdatenspeicherung oder den Umgang ihrer Kirche mit Geschiedenen
kritisiert.
Dorothee Bärs Vater hat viel von seiner Tochter verstanden, als er sie
davor warnte, das zu tun, von dem sie meinte, er wünsche es. Eigentlich,
denke ich, sollte sie der Rolle entwachsen sein, die Wünsche von
Autoritätsgestalten antizipierend zu erfüllen. Das Feld der Politik ist für
die Integration ihrer zwei Seiten, der braven und der rebellischen,
ungünstig, es verlangt in aller Regel eindimensionale Eindeutigkeit.
Mein Eindruck ist: Wenn sie sich nur konsequent genug auf die Seite ihres
Eigensinns schlägt, wird sie niemand mehr am Ministrieren hindern können.
Aber sie muss dann schon hundertprozentig wissen, was ihr Ziel ist. 3
Kinder sind mehr als 2 Dienstwagen. Spannend, weil ungewiss, wie es
ausgehen wird.
30 Aug 2014
## AUTOREN
Christian Schneider
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