# taz.de -- CDU-Generalsekretär Peter Tauber: Pragmatischer Fundamentalist | |
> Peter Tauber soll die CDU jünger machen und dynamischer. Und dabei nicht | |
> das konservative Profil der Partei infrage stellen. | |
Bild: Mann an Merkels Seite: Generalsekretär Peter Tauber mit der Kanzlerin. | |
Am Ende des Gesprächs bin ich überrascht, als Peter Tauber Martin Luther | |
als eines seiner Vorbilder nennt: Dessen bedingungsloses Festhalten an | |
Prinzipien sei imponierend – gerade wenn man, wie er, Pragmatiker sei. Auch | |
die Politiker, die er als vorbildlich empfindet, sind in mancher Hinsicht | |
überraschend. | |
Tauber hebt, obwohl er nicht in allen Punkten mit ihm einverstanden ist, | |
Roland Kochs analytische Fähigkeiten hervor und lobt Alfred Dreggers feine, | |
geradlinige Art. Und, natürlich, seine Parteivorsitzende. Eine seltsam | |
heterogene Riege von role models. | |
Was für ein Bild ergibt sich daraus von einem, der sich vorher als | |
evangelischer Christ und Patriot geoutet hat, der offen sagt: „Ich liebe | |
mein Land“? Dass der Offizier der Reserve bei Fragen wie dem Paragrafen 218 | |
oder der Sterbehilfe sehr konservative Positionen vertritt, ist bekannt. | |
Ja, und rundet es nicht den Gesamteindruck ab, dass er vor seiner Wahl in | |
den Bundestag Pressesprecher einer großen Vermögensberatung war? | |
Alles passt: ein perfekter Christdemokrat! Wer sonst könnte auch die | |
Position des obersten Parteimanagers bekleiden? Das Amt des | |
Generalsekretärs ist das zweitwichtigste nach dem der Vorsitzenden. Hier | |
sind zupackende, pragmatische Fundamentalisten gefragt. | |
Als mich Peter Tauber, der Überraschungsmann im Team Merkel, in seinem | |
lichtdurchfluteten Berliner Büro begrüßt, treffe ich auf einen freundlichen | |
jungen Mann mit der Ausstrahlung eines Schulsprechers. Nicht unbedingt der | |
eines Profipolitikers und schon gar nicht eines klassischen | |
Christdemokraten. Mit Glatze, Dreitagebart und Nerdbrille verbreitet er die | |
Aura eines postmodernen Intellektuellen: multikompatibel, beweglich, | |
schnell, irgendwie „überfraktionell“. | |
Tauber, promovierter Historiker, würde an einer Universität gewiss weniger | |
auffallen als hier im CDU-Hauptquartier. Er sieht jünger aus als 40, zu | |
seinen Lieblingswörtern gehört „cool“, und das ist er auch selbst: ein | |
Jeanstyp, der, so scheint es, aus Versehen im Anzug gelandet ist. Zugleich | |
geht etwas Bodenständiges, beinahe Naives von ihm aus. Vielleicht liegt es | |
am kindlichen Timbre seiner Stimme, dass ich in ihm ein starkes | |
Harmoniebedürfnis vermute. | |
## Männer fürs Grobe | |
Schwer vorstellbar jedenfalls, mit ihm Streit zu haben. Streiten könnte man | |
indes darüber, ob er das richtige Profil für den Job eines Parteimanagers | |
hat. Sind das nicht traditionell jene legendären Männer fürs Grobe, die | |
lange Zeit die politische Szene in der Bundesrepublik geprägt und | |
beherrscht haben? Zumal die Hessen-CDU, aus der er kommt, stets das Bild | |
des Kantholzkonservativen mit schroffer Abgrenzungsgestik nach links | |
gepflegt hat. | |
Peter Tauber dagegen ist mit dem hessischen Grünenchef Tarek al Wazir per | |
du, und der alte Sozi-Bürgermeister seiner „roten“ Heimatgemeinde, gegen | |
den er als achtzehnjähriger Stadtverordneter Opposition machte, ist | |
mittlerweile sein Freund. Demnächst wird er zu seiner Verabschiedung | |
fahren. Tauber – ein Mann ohne Misere? Einer, der es versteht, | |
Unvereinbares zusammenzubringen? | |
Tatsächlich gehört diese Fähigkeit gewissermaßen zu seiner Jobbeschreibung. | |
Der Auftrag ist so klar wie kompliziert: Er soll die CDU jünger, moderner | |
und dynamischer machen, ohne das Image einer konservativen Partei infrage | |
zu stellen. Was, frage ich ihn, ist denn heute konservativ? | |
Erwartungsgemäß fallen Wörter wie Verantwortung und Freiheit – schließlich | |
war Peter Taubers politisches Schlüsselerlebnis der Mauerfall. Da war er | |
16, und er spürte, hier geschah vor seinen Augen etwas Historisches, etwas, | |
das zu politischem Engagement aufforderte. Er trat in die Junge Union ein. | |
Was ihn angesichts dieses Erlebnisses von Freiheitswillen heute stört, ist | |
der übergroße Wunsch der Deutschen nach Sicherheit – die möglichst gratis | |
vom Staat geliefert werden soll. Verantwortung, das heißt für ihn in | |
allererster Linie auch, sich um sich selbst zu kümmern. | |
## Er jammert nicht | |
Taubers Definition des Konservativen ist bestechend schlicht: Für ihn sei | |
„konservativ“ vor allem eine Haltung, die Sichtweise, „sich die Welt | |
anzuschauen, ohne beleidigt zu sein, dass sie so ist, wie sie ist“, um | |
herauszufinden, „was ist gut und soll so bleiben, was sich ändern, damit | |
das, was gut ist, so bleiben kann“. Mit dem Gejammer altkonservativer | |
Kreise kann er nichts anfangen. Schließlich geht es um ein neues Profil der | |
Partei. | |
Warum, fragt er, hat die CDU bei der letzten Bundestagswahl in praktisch | |
allen Wählergruppen mit Ausnahme der Arbeitslosen gewonnen – und bietet | |
ihnen trotzdem keine wirkliche politische Heimat? Wieso gibt es zu wenige | |
Frauen, Junge und Zuwanderer in der Partei? Und weshalb hat die vielleicht | |
umstürzendste aller aktuellen Veränderungen, die digitale Revolution, immer | |
noch zu wenig Platz in ihrer Agenda? Er hat diesen Kanon seit seinem | |
Amtsantritt in Dutzenden von Interviews und Stellungnahmen heruntergebetet, | |
aber es gelingt ihm, sie wie überraschende Neuigkeiten zu präsentieren. | |
Keine Frage, Peter Tauber ist ein Mensch mit Gespür für Themen, die er mit | |
kommunikativem Geschick zu verkaufen versteht. Unser Gespräch läuft leicht, | |
wie auf Schienen. So wie Taubers politische Karriere. Er erzählt von den | |
glücklichen Zufällen, die ihn vorangebracht haben – bis hin zu der | |
Tatsache, dass er „Quotenhesse“ ist. Er mache sich da nichts vor. Aber er | |
gebe sich, gleichgültig wo er gefordert werde, immer Mühe. | |
Do or do not, there is no try, zitiert er den weisen Zwerg Yoda aus „Star | |
Wars“: das Lieblingszitat aus seinem Lieblingsfilm; ein Lego-Modell des | |
Raumschiffs ziert seinen Schreibtisch. „Also sind Sie ein zupackender | |
Mensch?“ Zum ersten Mal spüre ich bei ihm eine Irritation. Ja –. Aber da | |
sei auch noch eine andere Seite, etwas Zögerliches in seinem Wesen. Wo? | |
## Das lange Schweigen | |
„Supergute Frage“, sagt er – und versinkt ins längste Schweigen, das ich… | |
Interview mit einem Politiker je erlebt habe. Für einen Moment scheint es, | |
als würde das Licht im Zimmer gedimmt. Die Antwort kommt leise: „Manchmal, | |
wenn’s um mich geht.“ Mit persönlichen Entscheidungen tue er sich schwer, | |
im Privatleben neige er dazu, Dinge aufzuschieben. „Mach mal hinne“, würden | |
ihn seine Geschwister dann mahnen. | |
Familie ist für Peter Tauber ein zentrales Thema. Wenn er von seiner | |
erzählt, kommt ein schwärmerischer Ton in die Stimme. Im Elternhaus, zu dem | |
er weiter engen Kontakt pflegt, würde traditionell viel gestritten, und | |
trotzdem würden „sich alle lieb haben“. Der Vater, ein Sozialdemokrat, | |
hatte nie ein Problem mit der Entscheidung seines Sohns für die Union. Es | |
gab und gibt „eine Loyalität, die gar nichts mit dem Inhalt zu tun hat – | |
das ist superschön, ein Supergefühl.“ | |
Wenn der Parteimanager mit beinahe kindlicher Freude über die Familie als | |
Ort des Rückzugs und der Rekreation redet, umweht ihn das Flair heiler | |
Konservativenromantik. Aber im gleichen Atemzug macht er sich für die | |
Gleichstellung homosexueller Partnerschaften stark – inklusive | |
Adoptionsrecht. Wenn Vertrauen, Zusammenhalt und das Wohl der Kinder | |
gegeben ist, sei alles andere nachgeordnet. Konservativ? | |
Und wie steht es mit seinem Wunsch nach Familie und Kindern? Ja, natürlich. | |
Und wann? Der dynamische junge Mann der CDU wird kein junger Vater mehr | |
werden können: Er ist jetzt 40. Gehört das vielleicht auch zum | |
Aufgeschobenen? Zum zweiten Mal erlebe ich den Dimmeffekt: Taubers Stimme | |
wird schmal. Er stimmt zu, mit fühlbarem Unbehagen. Plötzlich bewegen wir | |
uns auf dünnem Eis, offenbar habe ich einen persönlichen Konflikt berührt. | |
Und alles Konflikthafte scheint bei ihm auf „leise“ gestellt. Er sähe sich | |
schon als guten, engagierten Vater, wenn es auf ihn zukomme. Wann? „Das | |
kann ich nicht sagen.“ | |
Bei dieser wichtigen Lebensentscheidung wird eine Passivität kenntlich, die | |
man in seinem politischen Leben vergeblich suchen wird. Ein Spalt tut sich | |
auf. Als Tauber versucht, aus dem Thema auszusteigen, merke ich, wie leicht | |
es ist, sich in seiner charmanten Freundlichkeit zu verlaufen. Mühelos | |
schwenkt er vom aktuellen Problem der Familiengründung auf die | |
Herkunftsfamilie. Er erzählt so, als würde er sich selbst als Kind | |
betrachten und in der Rolle des Beobachters zugleich den aktiven Part | |
übernehmen. | |
## Mit doppelter Perspektive | |
Ich staune über den Spagat, der diese doppelte Perspektive ermöglicht – und | |
bin nicht mehr überrascht, als er davon spricht, wie er sich in seiner | |
ersten Legislaturperiode, als er noch nicht im Rampenlicht stand, selbst | |
genau daraufhin beobachtet habe, ob ihn die neue Situation verändere. | |
Peter Taubers Stärke liegt in seiner Fähigkeit zur Selbstreflexion und | |
-beobachtung, die er mit der ungewöhnlichen Gabe einer instrumentellen | |
Naivität verbindet. Seine kommunikative Kompetenz kann Türen öffnen und | |
Verbindungswege offenhalten, die beim alten Führungsstil längst versperrt | |
wären. Es bleibt die Frage, ob es gelingt, sein familiär fundiertes | |
Konfliktlösungsverhalten ins Politische zu übertragen. Anders gesagt: Sein | |
politisches Schicksal wird sich daran entscheiden, ob man eine Partei so | |
harmonisch wie eine Familie führen kann. | |
Es wird zugleich ein Gradmesser für die Zukunft der CDU sein. Denn es sind | |
Leute wie ihr neuer General, die für die überfällige Erneuerung stehen: | |
Nicht nur in Stilfragen, sondern auch bei der schwierigen Aufgabe, dem | |
konturschwachen Merkel-Pragmatismus neue programmatische Qualität zu | |
verschaffen. Peter Tauber ist die Rolle des Reformators zuzutrauen. Bleibt, | |
ihm zu wünschen, dass sie nicht auf das Feld der Politik beschränkt bleibt. | |
6 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Christian Schneider | |
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