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# taz.de -- US-Nazi-Roman und NSU-Terroristen: Ein Roman vor Gericht
> Ein Nazi-Roman aus den USA dient als Beweismittel im NSU-Prozess. Der
> Autor versteckte einen Mann bei sich, der zur Umgebung des Terrortrios
> zählt.
Bild: Seltsame Verbindung: Zwischen Beate Zschäpe und einem rassistischen Auto…
MÜNCHEN dpa | Hat das NSU-Trio seine Serie von zehn Morden und zwei
Sprengstoffanschlägen allein geplant und ausgeführt oder gab es eine
übergeordnete Struktur mit einem strategischen Plan? Die Ermittler gehen
bisher davon aus, dass das Trio die Taten allein beging. Das aber will das
Oberlandesgericht (OLG) München im Prozess gegen Beate Zschäpe und vier
Mitangeklagte jetzt offenbar kritisch hinterfragen.
Denn das Gericht hat vor der Sommerpause ein ungewöhnliches Beweismittel in
den NSU-Prozess eingeführt, das ab der nächsten Sitzung am 4. September im
Prozess erörtert wird – einen Roman, der auf mehrfache Weise mit dem NSU
verknüpft ist. Verblüffend sind vor allem personelle Verflechtungen
zwischen dem Autor und dem NSU-Umfeld, die eine ganz andere Vermutung
nahelegen könnten: dass nämlich das Trio in eine weit verzweigte, womöglich
internationale Struktur eingebunden gewesen sein könnte.
Der Titel des Romans lautet „Die Turner-Tagebücher“. Verfasst hat ihn der
Gründer der amerikanischen Nazi-Organisation „National Alliance“ (NA),
William Pierce. Der Held der Geschichte beschreibt in Ich-Form seinen Kampf
gegen das „System“, das von Juden beherrscht sei. Er schließt sich einer
kleinen Zelle „arischer“ Kämpfer an, die sich nach und nach mit weiteren
Zellen zu einer mächtigen Untergrundorganisation verbindet. Am Ende gewinnt
sie ihren „Rassenkrieg“ mit einer Serie nuklearer Explosionen und der
Zerstörung der „Zentren des Systems“, New York und Tel Aviv.
In rechtsextremen Kreisen in Amerika und Europa gilt das Werk als Kult.
Schon mehrfach soll es Terroristen zu ihren Taten inspiriert haben, etwa
den amerikanischen Rassenfanatiker Timothy McVeigh, der 1995 ein
Regierungsgebäude in Oklahoma in die Luft sprengte und dabei 168 Menschen
tötete.
## Keine Blaupause für die NSU-Bande
Auch beim „Nationalsozialistischen Untergrund“ um Beate Zschäpe sieht das
Bundeskriminalamt „gewisse Parallelen“ zu den „Turner-Tagebüchern“, wi…
in einer BKA-Analyse heißt. Dazu gehöre das Prinzip des „führerlosen
Widerstands“, die Geldbeschaffung durch Banküberfälle und die auch im Roman
geschilderte willkürliche Ermordung von Imbissbetreibern, im Roman als
„Orientalen mit dunklen, gekräuselten Haaren“ beschrieben. Außerdem seien
deutsche Übersetzungen auf den Computerfestplatten der beiden
mitangeklagten NSU-Helfer Ralf Wohlleben und André E. gefunden worden.
Als „Blaupause“ habe der Roman dennoch nicht gedient, heißt es in dem
BKA-Papier, weil beim NSU die „Einbettung in eine größere Gesamtstruktur“
fehle, die es aber im Roman gebe. Allerdings haben sich die BKA-Ermittler
ihrem Bericht zufolge allein mit der Romanhandlung beschäftigt, die
persönlichen Kontakte zwischen US-Autor Pierce und dem NSU-Umfeld aber
außer Acht gelassen.
Pierce hatte einem aus Deutschland geflohenen Neonazi vorübergehend
Unterschlupf gewährt. Dieser Hendrik Möbus stammt wie das mutmaßliche
NSU-Trio aus Thüringen, allerdings nicht aus Jena, sondern Sondershausen.
Als Jugendlicher gründete er eine Satanisten-Band. Mit 17 Jahren ermordete
er mit zwei Kameraden den 15-jährigen Sandro B. Die Tat machte als
„Satansmord von Sondershausen“ Schlagzeilen. Möbus wurde zu acht Jahren
Jugendstrafe verurteilt. 1998 – dem Jahr als Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und
Zschäpe in den Untergrund gingen – kam er nach zwei Dritteln der Haftzeit
unter Bewährungsauflagen wieder frei.
## Erfolgreicher Nazimusik-Vertrieb
Zurück in Freiheit gründete er einen Verein „Deutsch-Heidnische Front“ und
kooperierte mit dem Neonazi-Netzwerk „Thüringischer Heimatschutz“, wie es
in einem Vermerk der Thüringer Sonderkommission „Trio“ heißt. Dem
„Thüringer Heimatschutz“ gehörten auch Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt a…
Bei einem Konzert seiner Band zeigte Möbus den Hitler-Gruß und rief „Sieg
Heil“.
Seine politischen Ansichten beschrieb er im Interview mit einem
US-Journalisten für das Buch „Lord of Chaos“ so: „Wir glauben, dass
Nationalsozialismus die perfekteste Synthese ist aus luziferianischem
Machtwillen und neo-heidnischen Prinzipien.“ Sein Mordopfer Sandro B.
schmähte er als „linke Schwuchtel“ und erklärte: „Am 29. April 1993 wol…
wir das Sandro-Problem erledigen – und das taten wir.“
Mit seinen Aktivitäten verstieß Möbus gegen die Bewährungsauflagen. Wegen
Verunglimpfung Verstorbener und Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole
wurde er in zwei Gerichtsverfahren zusätzlich verurteilt. Vor der Festnahme
floh er in die USA. Ein Zielfahnder des Thüringischen Landeskriminalamts
spürte ihn aber im US-Bundesstaat West Virginia auf: auf dem Anwesen von
William Pierce.
Für den baute Möbus den Vertrieb rechtsextremer Musik auf. Allein die
Sparten „Hatecore“ und „NSBM“ (National Socialist Black Metal) sollen
Millionenumsätze erzielt haben, schätzt die amerikanische „Anti Defamation
League“.
Im August 2000 verhafteten US-Marshalls Möbus auf Bitten der Thüringer
Ermittler und steckten ihn in Abschiebehaft. Unverzüglich entfachten Pierce
und seine „National Alliance“ eine Kampagne unter dem Motto „Free Hendrik
Möbus“. In Untergrundzeitschriften erschienen Spendenaufrufe, auch in
deutschen Fanzines aus dem unmittelbaren NSU-Umfeld. Möbus beantragte Asyl
in den USA.
Im Februar 2001 flog der Anführer des „Thüringer Heimatschutzes“, Tino
Brandt, zu Möbus' Unterstützung nach Amerika. Die Reise finanzierte nach
Erkenntnis des Thüringer Verfassungsschutzes die „National Alliance“ – e…
Vermerk darüber findet sich in den Prozessakten. Den Kontakt zwischen
Brandt und Pierce soll ein führendes Mitglied der sächsischen
„Hammerskin“-Gruppe vermittelt haben, das sich bereits in den USA aufhielt.
Offen ist, ob der Verfassungsschutz diese Information von Brandt selber
hat, der einer seiner wichtigsten V-Leute in der Szene war. Die
„Hammerskins“, eine militante Organisation amerikanischer Neonazis mit
Niederlassungen in mehreren europäischen Ländern, waren im NSU-Prozess
schon mehrfach als mögliche Helfer-Struktur ins Visier geraten.
Im Juli 2001 wurde Möbus nach Deutschland abgeschoben und erneut
verurteilt. 2007 hatte er seine Strafen abgesessen. Inzwischen lebt er in
Berlin und betreibt gemeinsam mit einem Kompagnon einen Internethandel mit
dem Namen „Merchant of Death“ (Händler des Todes). Dieser Kompagnon war bis
vor kurzem der Facebook-Freund eines Cousins von Beate Zschäpe. Als Zeuge
im NSU-Prozess räumte der Cousin das widerwillig und erst auf Vorhalt eines
Fotos ein.
Zeichnet sich hier eine „größere Gesamtstruktur“ ab, die das BKA in seiner
Analyse der „Turner-Tagebücher“ noch vermisste? Eine Sprecherin des
Gerichts sagt: „Der Senat ist an die Analyse nicht gebunden und muss sich
ein eigenes Bild machen.“
29 Aug 2014
## AUTOREN
Christoph Lemmer
## TAGS
Beate Zschäpe
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