# taz.de -- Tod des NSU-Zeugen Florian H.: Eltern bezweifeln Selbstmord | |
> Kurz vor seiner Befragung während der NSU-Ermittlungen stirbt der | |
> 21-jährige Florian H. in seinem brennenden Auto. Vieles spricht gegen | |
> einen Suizid. | |
Bild: Mit diesem Mikro wurden NSU-Zeugen befragt – Florian H. gehörte nicht … | |
KARLSRUHE taz | Es ist einer der rätselhaftesten Todesfälle im Umfeld des | |
NSU-Terrors. Vor einem Jahr verbrannte Florian Heilig in einem Auto in | |
Stuttgart – am Tag, als er bei der Polizei über Nazistrukturen aussagen | |
sollte. Die Staatsanwaltschaft sieht „keine Hinweise auf Fremdverschulden“. | |
Doch die Eltern glauben nicht an einen Selbstmord. | |
Florian Heilig aus Eppingen (bei Heilbronn) war 21 Jahre alt, als er starb. | |
Zumindest im Jahr 2011 war er in der rechtsextremen Szene aktiv. | |
Anschließend hatte er Kontakt zum baden-württembergischen | |
Aussteigerprogramm „Big Rex“. Wie sehr er sich wirklich aus der Szene lösen | |
konnte, ist ungeklärt. | |
Möglicherweise wusste Heilig vom NSU-Terror schon vor dessen Entdeckung. | |
Als er zu den Nazis stieß, machte Heilig gerade eine Ausbildung in | |
Heilbronn – der Stadt, in der vier Jahre zuvor die Polizistin Michèle | |
Kiesewetter erschossen wurde. Im August 2011 brüstete sich Heilig gegenüber | |
Kolleginnen, er wisse, wer Kiesewetter getötet hat. Der Mordfall war damals | |
noch völlig ungeklärt. Erst Monate später, im November 2011, fand man die | |
Tatwaffe im Wohnmobil von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, den beiden | |
NSU-Terroristen. | |
Im Januar 2012 wurde Heilig deshalb beim Landeskriminalamt (LKA) Stuttgart | |
vernommen. Doch der junge Mann wiegelte ab: Er wisse gar nichts Genaues | |
über den Kiesewetter-Mord. Stattdessen erzählt er dem LKA aber eine andere | |
wilde Geschichte: In Öhringen (bei Heilbronn) gebe es eine | |
„Neoschutzstaffel“, die ähnlich „radikal“ sei wie der NSU. Doch wieder | |
ergab sich nichts Handfestes. Niemand hatte je von dieser Neoschutzstaffel | |
gehört – weder die Polizei noch der Verfassungsschutz noch die Antifa. Der | |
Hinweis landete deshalb bei den Akten. | |
Zwanzig Monate später versuchte das LKA, doch noch einmal mit Heilig über | |
die angeblichen rechten Terrorstrukturen zu reden. Am 16. September 2013, | |
einem Montag, wollte ihn das LKA in Geradstetten treffen, wo Heilig ein | |
Ausbildungszentrum für Baufacharbeiter besuchte. Das Treffen um 17 Uhr fand | |
jedoch nicht mehr statt – weil Heilig am Morgen unter mysteriösen Umständen | |
ums Leben kam. | |
Am Tag zuvor war er abends von seiner Heimatstadt Eppingen nach | |
Geradstetten gefahren, gemeinsam mit Kollegen. Doch Heilig blieb nicht in | |
Geradstetten. Am Montagmorgen stand sein Fahrzeug vielmehr 20 Kilometer | |
entfernt in Stuttgart, am Rande des „Cannstatter Wasens“, eines großen | |
Festplatzes. Gegen neun Uhr näherte sich ein Radfahrer, sah eine | |
Stichflamme im Fahrzeug und wie der Wagen schnell lichterloh Feuer fing. Im | |
Auto saß Florian Heilig und verbrannte. | |
## Eltern bezweifeln Sicht der Polizei | |
Die Polizei sprach schon am nächsten Tag von einer Selbsttötung. Heilig | |
habe im Fahrzeug wohl Benzin ausgeschüttet und dann selbst angezündet. Das | |
Motiv liege vermutlich „im Bereich einer persönlichen Beziehung“. Doch die | |
Eltern glauben nicht an einen Suizid. Schließlich gebe es keinen | |
Abschiedsbrief. Liebeskummer habe Florian auch nicht gehabt, er sei | |
vielmehr mit seiner Freundin glücklich gewesen. | |
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führte ein Todesermittlungsverfahren, das | |
im April dieses Jahres abgeschlossen wurde: Es gebe keine Hinweise auf ein | |
Fremdverschulden. Der Zeuge mit dem Fahrrad habe an Heiligs Wagen keine | |
anderen Personen gesehen. Ein Zündmechanismus für eine Fernzündung oder | |
Ähnliches sei auch nicht gefunden worden. Zudem habe ein Kollege Heiligs | |
ausgesagt, dass dieser in den Tagen vor seinem Tod einen Kanister mit | |
Benzin gekauft habe. | |
Die Fragen der Eltern aber bleiben. Warum sollte sich ihr Sohn gerade am | |
Tag einer LKA-Aussage töten? Und das zudem auf eine so grausame Weise? Nach | |
einer langen Phase des Schocks und der Angst haben sie inzwischen einen | |
Anwalt eingeschaltet und bereiten eine Strafanzeige vor. Mit der Presse | |
wollen sie derzeit aber nicht sprechen. | |
Seltsam ist, dass keiner der Brandzeugen Schreie aus den Flammen gehört | |
hatte. War Heilig vielleicht schon tot, als das Auto brannte? Das ist | |
jedoch unwahrscheinlich. Die direkt nach dem Brand durchgeführte Obduktion | |
ergab nach taz-Informationen, dass Rauch in Heiligs Lunge war. Er atmete | |
also noch, als das Feuer ausbrach. Allerdings fanden sich in seinem Magen | |
Spuren einer Vielzahl von Medikamenten. Hatte also jemand versucht, ihn zu | |
vergiften – oder wollte sich Heilig vor dem Feuertod selbst benebeln? Der | |
Medikamenten-Cocktail könnte jedenfalls erklären, warum keine | |
Schmerzensschreie zu hören waren. | |
## Drohanrufe aus der rechten Szene | |
Denkbar ist auch, dass der junge Mann sich zwar selbst tötete, aber von | |
anderen in den Tod getrieben wurde. So habe er am vorletzten Tag seines | |
Lebens einen Anruf erhalten, „der ihn sehr verstört hat“, [1][sagte sein | |
Vater im letzten Dezember der Südwestpresse]. Wer der Anrufer war, ist bis | |
heute unbekannt. Allerdings, so der Vater, habe Florian immer wieder | |
Drohanrufe aus der rechten Szene erhalten. Wurde er etwa so massiv erpresst | |
oder unter Druck gesetzt, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah? | |
Die Gründe für einen möglichen Suizid will die Stuttgarter | |
Staatsanwaltschaft nicht untersuchen. Wenn es keine Hinweise auf strafbares | |
Verhalten gebe, könne man nicht weiter ermitteln, betont Claudia Krauth, | |
die Sprecherin der Anklagebehörde. „Ein verstörender Anruf unklarer | |
Herkunft genügt jedenfalls nicht für den Anfangsverdacht einer Straftat.“ | |
Auch die Bundesanwaltschaft will nicht aktiv werden. Heiligs bisherige | |
Aussagen hätten nichts erbracht. Er galt bei den NSU-Ermittlungen deshalb | |
nicht als relevanter Zeuge. | |
Der emeritierte Berliner Politikprofessor Hajo Funke, ein NSU-Experte, | |
beobachtet den Fall Florian Heilig schon lange. „Hier sind noch so viele | |
Fragen offen. Auch mit Blick auf diesen Fall sollte Baden-Württemberg | |
dringend einen eigenen Untersuchungsausschuss zu den NSU-Verwicklungen | |
einrichten“, sagte Funke der taz. Derzeit gibt es im grün-rot regierten | |
Bundesland aber nur eine Enquetekommission – die nicht einmal Polizisten | |
und Staatsanwälte befragen darf. | |
15 Sep 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.swp.de/ulm/nachrichten/politik/Vater-eines-NSU-Zeugen-zweifelt-a… | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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