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# taz.de -- Bundestag setzt NSU-Sonderermittler ein: Pannen und Merkwürdigkeit…
> Die Aufklärung der NSU-Mordserie hinkt. Nun soll der Grünen-Rechtsexperte
> Jerzy Montag den Fall als Sonderermittler untersuchen.
Bild: „Akribisch und engagiert“ soll er sein: Jerzy Montag
BERLIN taz | Nach wiederholten Ungereimtheiten bei der Aufklärung der
NSU-Mordserie schickt der Bundestag nun einen Sonderermittler ins Bundesamt
für Verfassungsschutz: der langjährige Rechtsexperte der Grünen im
Bundestag Jerzy Montag wurde am Montag vom Parlamentarischen
Kontrollgremium einstimmig beauftragt, systematisch den Merkwürdigkeiten
und Pannen bei der Aufklärung des NSU-Skandals durch den Verfassungsschutz
nachzugehen.
Vergangene Woche hatte der Verfassungsschutz einräumen müsse, entgegen
bisheriger Behauptungen schon seit 2005 eine CD mit Hinweisen auf einen
„Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in seinen Archiven gehabt zu
haben. Genau das hatte die Behörde auf Nachfrage der Abgeordneten immer
wieder explizit bestritten – und behauptet, erst im März 2014 von einem
solchen Datenträger erfahren zu haben, der damals beim Hamburger
Verfassungsschutz eingegangen war.
Nun ist das Amt in Erklärungsnot. In einer Sondersitzung des
Kontrollgremiums bestätigte Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen den
verwunderten Parlamentariern, der inzwischen tote V-Mann Thomas R.
(Deckname „Corelli“) habe die CD dem Amt schon 2005 übergeben. Danach sei
sie aber nie detailliert ausgewertet worden, der NSU-Bezug sei nicht auf
den ersten Blick erkennbar gewesen.
Laut Verfassungsschutz ist die CD inhaltsgleich mit einer anderen „NSU“-CD,
die im April bei einer Hausdurchsuchung in Krakow am See
(Mecklenburg-Vorpommern) gefunden worden war. Es handele sich um eine
„umfangreiche Sammlung von Propagandamaterial“. Die CD habe weder Cover
noch Booklet, sondern trage nur den allgemeinen Schriftzug "NS-Bilder und
NS-Symbole". Der NSU-Hinweis liege in einem Ordner namens „nscd“ versteckt,
allein dieser Ordner umfasse 177 Unterordner mit 15.700 Dateien. Eine davon
sei die Datei mit dem Kürzel „NSU/NSDAP“ – die nun neue Fragen zur Rolle
des Verfassungsschutzes bei der Aufklärung des NSU-Skandals aufwirft.
Nach taz-Informationen entdeckte der Verfassungsschutz die NSU-Datei nicht
einmal selbst in seinem Archiv. BKA-Ermittler sollen sie bei Recherchen für
ein Ermittlungsverfahren zu einer weiteren „NSU“-CD gefunden haben, die im
Frühjahr beim Hamburger Verfassungsschutz aufgetaucht war und angeblich
ebenfalls von „Corelli“ stammt. Der Verfassungsschutz beteuerte, seine
„NSU“-CD sei trotz umfangreicher Recherchen nach Auffliegen der Terrorzelle
Ende 2011 unentdeckt geblieben, weil sie nicht in der V-Mann-Akte von
„Corelli“ gelegen habe, sondern zwischen vielen anderen CDs „im Archiv
eines Auswertungsreferats“.
## Überraschender Tod
Die neuen Informationen irritieren NSU-Fachleute im Bundestag – und zwar
über die Parteigrenzen hinweg. Sie fragen sich, was in den
Asservatenkammern des Verfassungsschutzes noch alles unentdeckt schlummert.
Saß der Verfassungsschutz womöglich auf Informationen, mit denen er die
Mordserie des NSU hätte stoppen können? Das ist mitnichten belegt. Es gibt
bisher nicht einmal einen Beweis dafür, dass die Bezeichnung „NSU“ auf den
aufgetauchten CDs einen direkten Bezug zu der mordenden Terrorzelle hatte.
„Corelli“ selbst bestritt jeden Kontakt zu der NSU-Zelle. Der Neonazi starb
im April 2014 überraschend, bevor das BKA ihn zur Hamburger „NSU“-CD
vernehmen konnte. Als Todesursache stellten Mediziner eine unerkannte
Diabetes fest.
Allerdings urteilt inzwischen auch der CDU-Innenexperte und Vorsitzende des
Kontrollgremiums, Clemens Binninger, der Fall „Corelli“ weise „eine Fülle
von Querbezügen“ zum NSU auf. So stand der bürgerliche Name des V-Mannes
etwa auf einer Kontaktliste von Uwe Mundlos, die Polizisten schon 1998 in
der Bombenwerkschaft des späteren NSU-Trios in Jena sicherstellten.
Nach den Recherchen des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses in Thüringen
sind auch Kontakte von „Corelli“ zum Neonazi David Petereit nachweisbar,
der inzwischen für die NPD im Schweriner Landtag sitzt. Petereit war
Herausgeber der Neonazi-Zeitschrift „Der Weiße Wolf“, in der 2002 ein
Hinweis auf den NSU erschien: „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte
getragen Der Kampf geht weiter...“ Dem Untersuchungsausschuss zufolge
unterstützte „Corelli“ den „Weißen Wolf“ unter anderem dadurch, dass …
Petereit Speicherplatz für den Webauftritt des Magazins bereit stellte.
## „Totales Versagen“
Binninger sah nach der Sondersitzung des Kontrollgremiums keinen Beweis
dafür, dass der Verfassungsschutz den Hinweis auf der CD vorsätzlich
übersah. Man habe schließlich erst in das Dokument hineinklicken müssen, um
den NSU-Bezug zu erkennen. Der CDU-Politiker kritisierte aber die
Arbeitsweise des Inlandsgeheimdienstes. Er erwarte von dem Bundesamt, dass
es Material so auswerte, dass die Inhalte auch verwertbar seien.
Der Grünen-Geheimdienstexperte Christian Ströbele sprach von einem „totalen
Versagen“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Schließlich sei die CD
erst durch die Arbeit des Bundeskriminalamts überhaupt ans Licht gekommen.
Der Linkspartei-Politiker André Hahn nannte die Erklärung des Bundesamtes
„nicht nachvollziehbar“. „Warum lässt man sich CDs von V-Leuten geben, w…
man sie hinterher nicht auswertet?“, kritisierte er.
Dieser und anderen Fragen soll Sonderermittler Jerzy Montag nun nachgehen.
Der 67-jährige Jurist sei der richtige, um „akribisch und engagiert“
offenen Fragen nachzuspüren, lobte der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka.
Auch die Opposition begrüßte Montags Ernennung.
6 Oct 2014
## AUTOREN
Astrid Geisler
## TAGS
Corelli
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
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Verfassungsschutz
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Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
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