# taz.de -- Berliner Senat betrügt O-Platz-Flüchtlinge: „Eines Innensenator… | |
> Ist der Vertrag mit den Flüchtlingen bindend? Nein, sagt CDU-Innensenator | |
> Henkel. Dafür kritisiert ihn sogar der Koalitionspartner SPD. | |
Bild: Trickreich: Berlins Innensenator Henkel. | |
BERLIN taz | Wer beim großen Indianerehrenwort die Finger hinter dem Rücken | |
kreuzt, der muss sich hinterher nicht dran halten. Mit einem ähnlichen | |
Trick will sich jetzt Berlin seiner Zusagen gegenüber Flüchtlingen | |
entledigen: Aufgrund eines Formfehlers sei das mit den Flüchtlingen | |
ausgehandelte „Einigungspapier Oranienplatz“ rechtlich nicht gültig, meint | |
Innensenator Frank Henkel (CDU). | |
Obwohl die Flüchtlinge mit dem Abbau ihres Protestcamps am Kreuzberger | |
Oranienplatz ihren Teil der Vereinbarungen bereits erfüllten, sei der Senat | |
nicht verpflichtet, seinem Teil der Abmachung, zum Beispiel der genauen | |
Prüfung der einzelnen Asylverfahren, ebenfalls Folge zu leisten. Die | |
Begründung: Nicht Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD), sondern Henkel | |
selbst hätte das Papier unterschreiben müssen – so jedenfalls argumentiert | |
jetzt die Innenverwaltung. | |
Die Flüchtlinge hatten den Oranienplatz besetzt, um für ihr Recht auf Asyl | |
zu demonstrieren, gegen die Residenzpflicht und für Unterkünfte mit | |
Privatsphäre statt in Mehrbettzimmern. Nach monatelangen Verhandlungen | |
hatte sich die Landesregierung mit den Flüchtlingen auf einen Kompromiss | |
geeinigt. Im März stellte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) | |
gemeinsam mit Innensenator Frank Henkel (CDU) das „Einigungspapier | |
Oranienplatz“ auf einer Pressekonferenz vor. | |
Seit dem Abriss des Protestcamps sind fünf Monate vergangen. Der Konflikt, | |
der vorher lange Zeit große Beachtung in der Stadt fand und die linke Szene | |
in Atem gehalten hatte, flaute ab. Jetzt versucht Innensenator Henkel, | |
seinen Teil des Vertrags schuldig zu bleiben. Bis heute wurde nicht | |
bekannt, dass Berlin auch nur bei einem einzigen Flüchtling die | |
Zuständigkeit von einem anderen Bundesland übernommen hätte. | |
## Gilt der Vertrag? | |
Als ein Flüchtling vor Gericht zog, legte Henkel [1][dort ein | |
Rechtsgutachten] im Auftrag seiner Senatsverwaltung vor, dass die | |
Gültigkeit des Papiers aufgrund der fehlenden Unterschrift Henkels | |
bestreitet. In dem Gutachten von Kay Hailbronner, Leiter des | |
Forschungszentrums für Ausländer- und Asylrecht an der Universität | |
Konstanz, heißt es: Damit ein wirksamer öffentlich-rechtlicher Vertrag | |
abgeschlossen wird, bedarf es unter anderem „der Zuständigkeit der den | |
Vertrag schließenden Behörde“. | |
Und die lag nicht vor: „Für die öffentliche Verwaltung hat die Senatorin | |
für Integration die Verhandlungen geführt, deren Gegenstand für die hier zu | |
prüfenden ausländerrechtlichen Maßnahmen im Wesentlichen außerhalb ihres | |
Zuständigkeitsbereichs liegen. Eine unmittelbare Einbeziehung der Berliner | |
Innenverwaltung und der für den Vollzug eigentlich zuständigen | |
Ausländerbehörde habe in keinem Stadium der Verhandlungen mit den Behörden | |
stattgefunden.“ | |
Die Senatsverwaltung für Inneres bekräftigte am Dienstag ihre Sicht der | |
Dinge: „Laut Gutachten ist das Papier kein öffentlich-rechtlicher Vertrag“, | |
heißt es [2][in einer Stellungnahme]. Die [3][bisherige Berichterstattung | |
der taz] weist die Behörde zurück, schließlich sei „das Einigungspapier von | |
unserer Verwaltung nie infrage gestellt worden“, sondern „lediglich die | |
sich daraus ergebenden Rechtsfolgen“ – was nach Abzug dieser vom Papier | |
noch bleibt, ist allerdings fraglich. | |
Integrationssenatorin Kolat wollte sich auch am Dienstag nicht persönlich | |
äußern. Über einen Sprecher gab sie allerdings bekannt, dass sie den | |
Sachverhalt anders sieht als Henkel: „Es besteht kein Zweifel daran, dass | |
das Papier Rechtskraft entfaltet hat“, heißt es auf Anfrage der taz aus | |
ihrer Verwaltung. Außerdem sei „jedes Wort im Einigungspapier in | |
Chefgesprächen zwischen Senatorin Kolat und Senator Henkel abgestimmt“ | |
worden. | |
## Unwürdiger Innensenator | |
„Die Verhandlungen mit dem Senat waren von Anfang an eine Farce“, sagt | |
Bruno Watara, der als Flüchtlingsaktivist selbst an den Gesprächen | |
teilgenommen hat. „Henkel hatte immer nur ein Ziel, nämlich das Camp auf | |
dem Oranienplatz abzuschaffen“, sagt Watara. Das Vertrauen der Flüchtlinge | |
in den Berliner Senat sei nun endgültig zerstört. „Sie nutzen alle Mittel, | |
um die Leute abzuschieben“, sagt Watara. | |
Scharfe Kritik bekommt Henkel auch vom Koalitionspartner SPD: Aziz Bozkurt, | |
Sprecher des Berliner SPD-Arbeitskreises für Migration und Vielfalt, hält | |
dessen Vorgehen für „eines Innensenators unwürdig“. „Das Einigungspapier | |
abfeiern, weil er sich bei der Beseitigung des Camps am Oranienplatz die | |
Hände nicht schmutzig machen musste, und jetzt die Vereinbarung infrage | |
stellen ist armselig.“ Henkel disqualifiziere sich dadurch „aufs Neue als | |
Innensenator, ganz zu schweigen von jeder anderen Position“. | |
Fabio Reinhardt, flüchtlingspolitischer Sprecher der Berliner | |
Piratenfraktion, sieht im Vorgehen Henkels eine „riesige Beschädigung des | |
Vertrauens in die Berliner Regierungspolitik“. Er frage sich, „wie Henkel | |
sich eigentlich noch selbst in die Augen blicken kann“, so Reinhardt. Auch | |
Hakan Tas, zuständiger Abgeordneter der Linkspartei, findet den Vorgang | |
„beschämend“. | |
## Protestcamp wieder aufbauen? | |
Neben der politischen Kritik an Henkel gibt es auch rechtliche Bedenken | |
gegen das Gutachten: „Sehr oberflächlich“ wirke die Argumentation auf sie, | |
sagt Berenice Böhlo, die als Anwältin selbst mehrere der ehemaligen | |
Oranienplatz-BesetzerInnen vertritt. Kolat habe immer im Auftrag des Senats | |
gehandelt, der gesamte Senat habe das Papier als Lösung präsentiert. Ob der | |
Innensenator unterschrieben hat oder nicht, sei deswegen völlig | |
unerheblich. | |
Für Adam Bahar ist klar, was Henkels Vorgehen bedeutet: „Wenn das Abkommen | |
aus Sicht des Senats nicht gültig ist, gibt es auch keinen Grund dafür, | |
dass wir Flüchtlinge uns weiter daran halten“, sagt der ehemalige | |
Oranienplatz-Bewohner, der an den Verhandlungen zu dem Papier beteiligt | |
war. „Wir haben unseren Teil der Abmachung eingehalten“, sagt Bahar. „Jet… | |
gibt es für uns keinen Grund mehr, das weiter zu tun.“ Die Flüchtlinge | |
würden nun „sehr ernsthaft“ darüber nachdenken, das Protestcamp wieder | |
aufzubauen. | |
1 Sep 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.documentcloud.org/documents/1281457-rechtsgutachten-hailbronner.… | |
[2] http://blogs.taz.de/hausblog/files/2014/08/stellung-innenverwaltung.pdf | |
[3] /Oranienplatz-Fluechtlinge/!145116/ | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
Sebastian Heiser | |
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Martin Patzelt | |
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