Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Oranienplatz-Flüchtlinge: Der große Bluff
> Täuschung des Berliner Senats: Wegen eines Formfehlers ist der Vertrag
> mit den Flüchtlingen ungültig - die falsche Senatorin hat unterschrieben.
Bild: Vergeblicher Versuch, ein neues Zelt auf dem Oranienplatz zu errichten
„Der Senat hat den Weg zu einer Einigung geebnet“, sagte Innensenator Frank
Henkel (CDU) am 18. März auf einer Pressekonferenz. Dort traten auch der
Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, Integrationssenatorin Dilek Kolat
(beide SPD) und Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) auf.
Zusammen stellten sie das Ergebnis der Verhandlungen mit den Flüchtlingen
vor: Das [1][„Einigungspapier Oranienplatz“], das die Senatskanzlei auch
auf ihrer Webseite veröffentlichte. Jetzt zeigt ein Gutachten: Die Papier
ist wegen eines formalen Fehlers ungültig.
Der Senat machte den Flüchtlingen in dem Schreiben einige Zusagen, darunter
eine „umfassende Prüfung der Einzelfallverfahren im Rahmen aller
rechtlichen Möglichkeiten (Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung,
Anträge auf Umverteilung nach Berlin etc.)“. Außerdem heißt es dort: „Die
Flüchtlinge erhalten Unterstützung und Begleitung bei der Entwicklung ihrer
beruflichen Perspektiven. Dazu gehören insbesondere der Zugang zu
Deutschkursen, die Anerkennung ihrer beruflichen Kompetenzen und Beratungen
zur beruflichen Entwicklung sowie der Zugang zur Berufsausbildung, zum
Studium und zum Arbeitsmarkt.“
Auch die Flüchtlinge machten Zusagen. In dem Papier heißt es: „Die
Flüchtlinge organisieren selbstständig den Abbau aller Zelte
beziehungsweise Unterkünfte.“ Das Einigungspapier machte das eine sogar zur
Bedingung für das andere: Eine Prüfung der Einzelfallverfahren gebe es erst
„nach dem Abbau der Zelte“.
Auf der Pressekonferenz wurde der Eindruck erweckt, dass das, was in dem
Papier steht, auch gilt. Darauf vertrauten auch die Flüchtlinge: Sobald der
Senat drei Wochen später eine alternative Unterkunft organisiert hatte,
räumten sie das Protestcamp.
Und was ist mit den Zusagen des Senats? Henkel hat ein [2][Rechtsgutachten]
in Auftrag gegeben, dass zu dem Ergebnis kommt: Die Zusagen sind aufgrund
einer Formalie ungültig. Laut dem Gutachten hätte Henkel selbst als
zuständiger Innensenator unterschreiben müssen. Er hat das Papier zwar der
Öffentlichkeit vorgestellt, aber tatsächlich unterschrieben hat
Integrationssenatorin Dilek Kolat – und die war nicht zuständig.
In dem Gutachten von Kay Hailbronner, Leiter des Forschungszentrums für
Ausländer- und Asylrecht an der Universität Konstanz, [3][heißt es]: Damit
ein wirksamer Vertrag abgeschlossen wird, bedarf es unter anderem „der
Zuständigkeit der den Vertrag schließenden Behörde“. Und die lag nicht vor:
„Für die öffentliche Verwaltung hat die Senatorin für Integration die
Verhandlungen geführt, deren Gegenstand für die hier zu prüfenden
ausländerrechtlichen Maßnahmen im Wesentlichen außerhalb ihres
Zuständigkeitsbereichs liegen. Eine unmittelbare Einbeziehung der Berliner
Innenverwaltung beziehungsweise des zuständigen Senators für Inneres und
Sport und der für den Vollzug zuständigen Ausländerbehörde hat in keinem
Stadium der Verhandlungen mit den Behörden stattgefunden.“
Henkel hatte auf der Pressekonferenz gesagt, „der Senat“ habe den Weg zur
Einigung freigemacht. Auch in der [4][Pressemitteilung der Senatskanzlei]
heißt es: „Der Berliner Senat hat im Konflikt um das Flüchtlingscamp auf
dem Oranienplatz und die Besetzung der Gerhart-Hauptmann-Schule in
Kreuzberg ein Lösungsangebot vorgelegt.“
Aber das war eine Finte, [5][wie das Rechtsgutachten ausführt]: „Ein
Senatsbeschluss über die Bevollmächtigung der Senatorin für Integration,
mit Verbindlichkeit für den Senat über die Räumung Oranienplatz und
aufenthaltsrechtliche Maßnahmen zu verhandeln und gegebenenfalls bindende
Vereinbarungen zu schließen, liegt nicht vor. Die Protokollnotiz des Senats
vom 18. März 2014, kraft der das Einigungspapier zur Kenntnis genommen
wurde, kann nicht als rückwirkende Bevollmächtigung eines
Vertragsabschlusses angesehen werden.“
Henkels Verwaltung benutzt das Gutachten in Gerichtsverfahren, um dort die
Klagen von Flüchtlingen auf Einhaltung der Zusagen abzuwehren. Wäre Henkel
konsequent, dürfte er auch von den Flüchtlingen nicht mehr verlangen, ihren
Teil der Zusagen einzuhalten: Der Oranienplatz dürfte wieder besetzt
werden.
31 Aug 2014
## LINKS
[1] http://www.berlin.de/rbmskzl/_assets/aktuelles/2014/maerz/einigungspapier_o…
[2] http://www.documentcloud.org/documents/1281457-rechtsgutachten-hailbronner.…
[3] http://www.documentcloud.org/documents/1281457-rechtsgutachten-hailbronner.…
[4] http://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles/politik-aktuell/2014/meldung.91447.p…
[5] http://www.documentcloud.org/documents/1281457-rechtsgutachten-hailbronner.…
## AUTOREN
Sebastian Heiser
## TAGS
Verwaltung
Flüchtlinge
Oranienplatz
Flüchtlingspolitik
Flüchtlinge
## ARTIKEL ZUM THEMA
Berliner Ämter: Das Chaos wird verwaltet
Berlins Behörden sind so schlecht wie ihr Ruf. Das zeigt eine Umfrage der
Europäischen Kommission. Damit ist nun belegt, was schon jeder Betroffene
wusste.
Polizei räumt Camp in München: Flüchtlinge retteten sich auf Bäume
Mittwochabend räumte die Polizei ein Flüchtlingscamp in München. Sechs
Protestierende flüchteten auf Bäume. Nun soll es Gespräche mit dem
Oberbürgermeister geben.
Berliner Senat betrügt Flüchtlinge: Papier kann sehr geduldig sein
Der Senat streitet weiter über die Flüchtlinge vom O-Platz. Zehn von ihnen
besetzen seit einer Woche aus Protest ein Dach.
Kommentar Berliner Flüchtlingspolitik: Es gibt Wasser, aber kein Essen mehr
Politik und Polizei testen an den Flüchtlingen aus, inwieweit sie Menschen
als reine Verwaltungssache behandeln können. Dabei wird es nicht bleiben.
Berliner Senat betrügt O-Platz-Flüchtlinge: „Eines Innensenators unwürdig�…
Ist der Vertrag mit den Flüchtlingen bindend? Nein, sagt CDU-Innensenator
Henkel. Dafür kritisiert ihn sogar der Koalitionspartner SPD.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.