| # taz.de -- Kritik an Lebensmittel-Tafeln: Ort der Scham | |
| > Eine Hamburger Master-Studentin hat die Bedeutung der Spenden-Tafeln für | |
| > ihre Nutzer untersucht. Diese würden durch die Art der Essensausgabe | |
| > beschämt. | |
| Bild: Wer sich in die Schlange der Spenden-Tafel einreiht, erwartet eine Gabe, … | |
| Die Hamburger Tafeln machten zuletzt im Winter Schlagzeilen, weil sie | |
| überlastet waren und Bedürftige wegschicken mussten. Zwanzig Jahre gibt es | |
| diese Art der Hilfe schon, bei der meist von Supermärkten abgegebene, | |
| unverkäufliche Lebensmittel an Arme ausgeteilt werden. | |
| Doch anders als oft dargestellt, sei dies nicht ein Ort, an dem Betroffene | |
| neben Lebenshilfe auch „Wertschätzung und Solidarität“ erfahren, erklärt | |
| Svenja Fischbach, die für ihre Masterarbeit eine qualitative Studie | |
| erstellte. Die Tafeln seien ein „Ort der Scham“ und trügen zur | |
| Stigmatisierung armer Menschen bei. | |
| Die kritische Diskussion um die bundesweit von rund 1,5 Millionen Menschen | |
| genutzten [1][Tafeln] gärt seit einigen Jahren. Die Diakonie Hamburg, die | |
| als Dachverband die Hamburger Tafeln fachlich betreut, lädt anlässlich des | |
| anstehenden 20-Jährigen Jubiläums heute Abend zum „Nachdenken über die | |
| Tafeln“ ins Altonaer Dorothee-Sölle-Haus ein. Dort wird Fischbach ihre | |
| Studie vorstellen und mit Experten, Nutzern und Ehrenamtlichen diskutieren. | |
| In den Medien wird viel über die Helfer und Initiatoren von Tafeln | |
| berichtet. Der Blick aus Perspektive der Nutzer ist relativ neu. Svenja | |
| Fischbach hat sich im Dezember 2013 und Januar 2014 von sechs Frauen und | |
| vier Männern im Alter von 35 bis 65 Jahren erzählen lassen, wie sie den | |
| Gang zur Tafel erleben. Eine wollte das nach Leitfaden geführte Interview | |
| nicht in ihrer Wohnung führen, aus Angst, die Nachbarn hörten zu. | |
| „Es ist etwas ganz anderes als im Supermarkt einkaufen zu gehen“, berichtet | |
| Fischbach. Die Menschen müssen meistens in der Warteschlange anstehen, mal | |
| eine halbe Stunde, mal bis zu zweieinhalb Stunden lang. Dabei kann es | |
| vorkommen, dass sie im Regen stehen oder auf Toilette müssen. | |
| Die Reihenfolge werde mit Nummern geregelt. Kommen die Tafel-Besucher dann | |
| an die Reihe, dürften sie nicht selbst auswählen, sondern bekämen von den | |
| Helfern Nahrungsmittel in die Tasche gepackt. | |
| Das ginge „nicht immer nur unbedingt feinfühlig zu“, die Sachen würden �… | |
| reingeworfen, du kannst gar nicht fragen oder irgendwie gucken“, berichtete | |
| man Fischbach. Es wären schon mal Dinge dabei, die sie aus gesundheitlichen | |
| Gründen nicht essen können, oder es gebe drei Wochen nur Wirsingkohl. | |
| Die Ehrenamtlichen wurden Fischbach teilweise als reserviert und | |
| unfreundlich beschrieben. Und als eine Nutzerin eine Tafel aufsuchte, die | |
| die Vergabe anders handhabt, und dort selbst Obst und Brot aus Körben | |
| auswählen durfte, spricht sie vom „Schlaraffenland“. | |
| Die Helfer könnten auch bestimmen, wer wie viele Lebensmittel erhält, | |
| berichten die Nutzer. Einer hatte den Eindruck, er werde nicht gemocht und | |
| bekomme deshalb weniger. Ein anderer berichtet, er bekomme „mal einen | |
| Joghurt mehr“. Von der Nutzern werde „Bescheidenheit, Demut und Dankbarkeit | |
| erwartet“. | |
| Sie kämen in eine passive und ohnmächtige Rolle, was „nicht förderlich für | |
| gesellschaftliche Beteiligungsprozesse“ sei, so die Absolventin der | |
| Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie Hamburg. | |
| „Das Problem ist, dass es hier nicht um ein Recht geht, sondern um eine | |
| freundliche Gabe, die auch ausbleiben kann“, sagt der Sozialwissenschaftler | |
| Holger Schoneville von der Uni Kassel. Er arbeitet ebenfalls an einer | |
| qualitativen Studie, für die er Menschen aus Norddeutschland interviewte. | |
| „Die Menschen sind auf der einer Seite sehr dankbar“, sagt Schoneville. | |
| „Aber sie werden durch die Tafeln auch beschämt.“ Und Schamgefühle seien | |
| „nichts Nebensächliches“, da sie ein positive Selbstwertgefühl | |
| verunmöglichen. | |
| Ein ganz konkreter Anlass für das Empfinden sozialer Scham sei die | |
| „Bedürftigkeitsprüfung“, sagt Fischbach. Nutzer müssen ihren Hartz-IV- o… | |
| Rentenbescheid vorlegen, um Essen zu bekommen. Wenn diese Prüfung wegfalle, | |
| wäre schon etwas gewonnen. | |
| Doch die Tafel sollten auch andere erzieherische und disziplinierende | |
| Mechanismen ihrer Praxis „selbstkritisch hinterfragen“, fordert Fischbach. | |
| Für Helfer müsse es Schulungen zu achtsamem Umgang und einen „verbindlichen | |
| Verhaltenskodex“ geben, für die Nutzer dagegen Beiräte oder andere | |
| Möglichkeiten, um sich einzubringen. | |
| Perspektivisch aber müsste die Tafelbewegung die Armut skandalisieren und | |
| sich für bedarfsgerechte Grundsicherung einsetzen, „sodass Tafeln nicht | |
| mehr nötig sind“. Das sieht auch Schoneville so. Leider, sagt er, gebe es | |
| einen Konsens unter allen Parteien, in den Tafeln nicht ein Armutsphänomen, | |
| sondern ehrenwertes zivilgesellschaftliches Engagement zu sehen. | |
| Etwas zu kurz kommt bei all dem die Sicht der Tafelbetreiber. Laut | |
| Diakonie-Sprecher Stefan Becker gibt es noch im Herbst eine zweite | |
| Veranstaltung, bei der es um deren Perspektive geht. | |
| 14 Sep 2014 | |
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| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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