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# taz.de -- Diakoniemitarbeiter Niclas Rabe über Almosen: „Die Politik ruht …
> Die Stadtteildiakonie in Hamburg-Sülldorf betreibt eine Tafel – und ist
> gleichzeitig Mitglied im tafelkritischen Verband „Aktionsbündnis 20“.
Bild: Viele kommen, weil sie sparen müssen: Essensausgabe bei einer Tafel.
taz: Herr Rabe, was ist das „Aktionsbündnis 20“?
Niclas Rabe: Das Aktionsbündnis ist eigentlich, wie sein Namen sagt,
gegründet worden, um im Frühjahr dieses Jahres die Jubiläumsfeier zum
20-jährigen Bestehen der Tafeln in Deutschland kritisch zu begleiten. Wir
wollten eine Gegenöffentlichkeit herstellen, wir wollten keine Jubelfeier –
die es genauso wurde. Dazu haben wir ein mehrtägiges Diskussionsforum
ausgerichtet, haben eine Protestveranstaltung vor dem Brandenburger Tor
veranstaltet.
Sie betreiben selbst eine Tafel in Hamburger Stadtteil Sülldorf. Was haben
Sie dagegen?
Es stimmt, wir verteilen seit 2007 Lebensmittel. Von Anfang an haben wir
aber auch gesagt: Wir möchten nicht nur Lebensmittel ausgeben, wir möchten
uns auch kritisch und politisch mit dem auseinandersetzen, was wir da tun.
Als sich das „Aktionsbündnis 20“ gegründet hat, war für uns relativ schn…
klar, das wir da Mitglied werden, weil das Bündnis die Meinungen vertritt,
die wir seit 2007 haben.
Höre ich da ein gewisses Unbehagen an Ihrer eigenen Arbeit heraus?
Wir haben ein Unbehagen an den Verhältnissen, so wie sie sind. Wir sehen
zum einem die Notwendigkeit, dass es Tafeln geben muss, wir sehen aber
auch, dass sich die Politik vermehrt darauf ausruht und sich darüber freut,
dass es Tafeln gibt und dass sie sich nicht fragen muss, was man gegen
Armut und Not politisch tun kann. Gerhard Schröder hat bereits beim
zehnjährigen Jubiläum gesagt: „Die Leute, die bei der Tafel arbeiten, das
sind die, die nicht zuerst nach dem Staat fragen, sondern die selber
handeln.“ Das ist das Credo, nach dem die Politik heute größtenteils agiert
und deswegen gibt es nicht nur Tafeln, sondern auch Suppenküchen,
Kleiderkammern und Sozialkaufhäuser. Ich sehe auch ein Problem darin, dass
die noch amtierende Familienministerin Christina Schröder als eine
Vertreterin einer verfehlten Sozialpolitik Schirmherrin der Tafeln ist.
Wer kommt zu den Tafeln?
Die Ursprungsidee war, dass Obdachlose, die also auf der Straße leben, mit
Lebensmitteln versorgt werden, und das war auch am Anfang so. Wenn ich aber
schaue, wer heute zu uns nach Sülldorf kommt, dann sind das fast
ausschließlich ältere Menschen, meistens Rentner. Sie kommen zu uns, nicht
weil sie nichts zu essen haben, sondern weil sie sparen müssen. Sie müssen
Geld sparen, weil zum Beispiel die Kosten für viele Medikamente bei älteren
Menschen nicht übernommen werden. Die Kosten sind rechnerisch in der
Grundsicherung enthalten, reichen aber meist nicht aus, das bekommen sie
nicht extra drauf, also müssen sie schauen: Wo können sie Geld einsparen
für ihre Medikamente? Und das ist dann beim Essen. Von daher fordern wir
von der Politik eine armutsvermeidende Grundsicherung. Jetzt fragen Sie
bitte nicht, wie hoch soll denn diese Summe sein – denn das auszurechnen,
ist nicht unsere Aufgabe. Wir sehen, dass das, was im Moment als
Grundsicherung zur Verfügung steht, hinten und vorne nicht ausreicht. Die
Leute würden ja nicht kommen, wenn sie nicht kommen müssten.
Es geht Ihnen um einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf Hilfe statt der
milden Gabe von Almosen?
Wir erleben es immer wieder, dass Menschen zum Jobcenter gehen, dort ihre
Mittellosigkeit anzeigen, also sagen: „Ich habe nichts mehr, ich bin
mittellos“, aus welchen Gründen auch immer. Eigentlich müsste das Jobcenter
ihnen dann ein Darlehen geben oder wenigstens Gutscheine, damit sie sich
Lebensmittel kaufen können. Stattdessen wird ein Zettel aus der Schublade
geholt: „Da und da sind die Lebensmittelausgaben.“ Und dann kommen sie zu
uns und gehen davon aus: Sie bekommen bei uns ihre Lebensmittel.
Die bekommen sie ja auch.
Na ja, wir müssen dann sagen: Moment – es gibt keinen Rechtsanspruch
darauf. Es sind ja alles nur Spenden aus zweiter Hand und es kann schlicht
sein, dass wir gerade nicht genügend Lebensmittelspenden haben. Soweit ich
das beobachte, ist es überhaupt der Trend: Es gibt immer mehr
Ausgabestellen bei weniger Lebensmittelspenden.
Gab es in der Hamburger Diakonie Debatten, als Sie dem Bündnis beitraten?
Es gab zu unserer Entscheidung durchaus kritische Anmerkungen, denn es ist
ungewohnt, die Tafeln zu kritisieren. Wobei ich sagen muss: Wir haben
Hochachtung vor den vielen Ehrenamtlichen, ohne die Ehrenamtlichen ist das
alles gar nicht machbar. Wir haben Ehrenamtliche, die arbeiten teilweise 20
Stunden bei uns. Wir haben Hochachtung auch vor dem, was da im Tafellager
in Hamburg aufgebaut wurde – allein welche Logistik da funktionieren muss.
Das ist aller Ehren wert.
Was wünschen Sie sich vom Tafelverband?
Ich wünsche mir, das sich der Verband politisch mehr äußert und sich auch
einmischt. Die Gründerin der Hamburger Tafel, Amelie Dose, war da eine
entschiedene Verfechterin des Prinzips „Nein, wir äußern uns nicht
politisch, wir widmen uns nur der Notlinderung.“ Doch Handeln ist immer
politisch, da kommt man nicht raus. Ich wünsche mir also deutlichere
Zeichen an die Politik und übrigens auch an die Wirtschaft.
Und warum geschieht das nicht?
Das Problem dürfte sein: Das können sie nicht machen, denn dann brechen
ihnen die eigenen Spender weg. Sie müssen ja ihre Lebensmittel bekommen,
ihre Ein-Euro-Jobber, die in den Tafeln arbeiten oder die Transporter, die
ihnen die Autofirmen sponsorn. In der Wirtschaft würde man sagen: „Was für
eine Erfolgsgeschichte, was da in 20 Jahren aufgebaut wurde!“ Und es ist ja
zunächst eine charmante Idee, die dahinter steckt: überflüssige
Lebensmittel an Bedürftige zu verschenken. Aber man muss doch mal gucken:
Wer sind die Bedürftigen? Und warum sind sie es eigentlich geworden?
Was tut das „Aktionsbündnis 20“ aktuell?
Aktuell macht das Bündnis nichts von sich aus, aber wir haben unsere
Webseite und unseren Facebook-Auftritt – und interessanterweise treten
immer mehr Medien an uns heran und es passiert das, was wir uns damals
erhofft haben: Journalisten schauen auf die Tafeln, die ein so positiv
besetztes Image haben und stellen fest, dass sie gar nicht so eindeutig
positiv sind. Von daher haben wir unser Ziel erreicht.
Lesen Sie weiter im Themenschwerpunkt "Gutes tun" in unserer gedruckten
Wochenendausgabe
29 Nov 2013
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Tafel
Armutsbericht
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