# taz.de -- Frauenrechtlerin über Dschihadisten: „Die Rechnung der Täter ge… | |
> Monika Hauser von der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale über den | |
> Islamischen Staat, Männer im Krieg sowie entführte jesidische Frauen und | |
> Kinder. | |
Bild: Ein sicherer Unterschlupf? Jesidische Frauen in einem Flüchtlingscamp na… | |
taz: Frau Hauser, der IS steht ganz offen zu sexueller Gewalt. Ist das neu? | |
Monika Hauser: Nein, gerade sexualisierte Gewalt wird in Konflikten auch | |
häufig zu Propagandazwecken eingesetzt. Wir haben das auch schon im | |
Balkankrieg erlebt. Aber da gab es noch kein Internet. | |
Die IS-Milizen wollen nach eigener Aussage die Kultur und Religion der | |
jesidischen Minderheit auslöschen. Eine besondere Form der sexualisierten | |
Gewalt? | |
Die systematische Ermordung und Versklavung der jesidischen Minderheit | |
scheint tatsächlich genozidären Charakter zu haben. Leider kennen wir das | |
auch schon aus den Balkankriegen, wenn man nur an den Genozid an der | |
muslimischen Bevölkerung in Bosnien oder dem Kosovo durch das serbische | |
Regime denkt, oder an die Auslöschung der Tutsi-Minderheit durch die Hutu | |
in Ruanda 1994. Oder an die Pogrome an Muslimen im indischen Gujarat durch | |
fanatische Hindus. | |
Islamisten argumentieren gerne moralisch. Wie passt das mit dem Bekenntnis | |
zum Verkauf von Mädchen und Frauen als Kriegsbeute zusammen? | |
Diese Doppelmoral kennen wir auch von den Taliban, die zum Beispiel | |
afghanische Mädchen und Frauen nach Saudi-Arabien verkauft haben. Die | |
Methode der „erzwungenen Gruppenhochzeit“ ist ein Vehikel, um unter einem | |
religiösen Deckmantel Frauen und Mädchen straflos vergewaltigen zu können. | |
Auch in den Kriegen im Raum der Großen Seen in Zentralafrika geschieht ganz | |
Ähnliches. Dort müssen Frauen und Mädchen als sogenannte „Camp Followers“ | |
mitmarschieren, für die Rebellen kochen, waschen und sexuell zur Verfügung | |
stehen. Diese Rebellen sagen auch, das seien „ihre Frauen“. | |
Warum? | |
Durch diese sexualisierte Gewalt an „ihren“ Frauen sollen die Männer des | |
sogenannten Feindes gedemütigt und bestraft werden. Das ist Teil des | |
Genozid-Gedankens. Dass sich IS-Milizen syrische und irakische Frauen holen | |
und sie auf syrischen Märkten verkaufen, zeigt außerdem den wirtschaftlich | |
lukrativen Charakter des Sklavenhandels und hat mit Religion erst mal gar | |
nichts zu tun. Auch dieses kennen wir aus vielen anderen Kontexten wie dem | |
Bosnienkrieg. | |
Mit anderen Worten: Sexuelle Gewalt wird in jedem Krieg als Waffe | |
eingesetzt. Auch in Syrien? | |
Es gibt Berichte über systematische sexuelle Gewalt – vor allem seitens der | |
syrischen Regierungstruppen, sie geht aber auch von Rebellengruppen aus. | |
Auch da sind uns Fälle bekannt, in denen das religiös legitimiert wurde. | |
Die Angst vor sexualisierter Gewalt hat viele Menschen aus Syrien in die | |
Flucht getrieben. Und schließlich begünstigt die allgemeine Lage der | |
Flüchtlinge im Libanon, der Türkei oder Jordanien, ihre Armut und | |
Perspektivlosigkeit, dass es zu sexuellen Übergriffen und sexueller | |
Ausbeutung in den Flüchtlingslagern und häuslicher Gewalt kommt. Auch | |
darüber liegen uns Berichte vor. | |
Sexualität gilt in vielen muslimischen Gesellschaften als Tabu-Thema. Macht | |
das den Umgang mit sexualisierter Gewalt in diesen Staaten besonders | |
schwierig? | |
Sexualität ist auch in katholischen Gesellschaften ein Tabu. Und | |
sexualisierte Gewalt an Frauen – und im Übrigen auch an Männern – wird | |
weltweit nach wie vor tabuisiert. Die meisten Überlebenden werden von ihren | |
Gesellschaften massiv ausgegrenzt. Das patriarchale Denken setzt fest, dass | |
der Körper der Frau oder des Mädchens ausschließlich den Männern gehört. | |
Die Rechnung der Täter geht auf, so dass die Überlebenden nach der Tat von | |
ihren eigenen Familien stigmatisiert werden. Aber es stimmt, auch in | |
muslimischen Ländern sind viele Themen, die mit Sexualität zu tun haben, | |
tabuisiert, was sexualisierte Gewalt immer begünstigt. Entsprechend | |
schwierig ist es, aufzuzeigen, dass auch die weibliche Bevölkerung Rechte | |
hat. Wir kennen dies auch aus westlichen Gesellschaften, zum Beispiel der | |
deutschen, wo Frauenrechte erst seit den 60er und 70er Jahren massiv | |
eingeklagt und umgesetzt wurden. Die Vergewaltigung in der Ehe ist erst | |
1997 als Straftatbestand eingeführt worden. | |
Kann man das wirklich mit der Kriegsführung des Islamischen Staates | |
vergleichen? | |
Nein. Islamische Terrorregimes wie der IS ziehen mithilfe der Religion ihr | |
Machtkalkül durch, ebenso wie ihre politischen und wirtschaftlichen | |
Interessen. Gerade in solchen hochmilitarisierten und extrem | |
genderstereotypen, maskulinisierten Konflikten mit ihrer extremen | |
Zerstörungswut wird die Brutalisierung der Männer durch die | |
Instrumentalisierung ihrer Sexualität gefördert. | |
Warum breitet sich diese Formen der sexualisierten Gewalt in muslimischen | |
Ländern aus – und warum zieht sie auch Dschihad-Touristen aus dem Ausland | |
an? | |
Die gesamte Region ist durch die westliche Welt, allen voran durch die USA, | |
systematisch destabilisiert worden. Religiöse Terrorregimes wie die Taliban | |
oder der IS wären nie so hochgekommen, hätten sie nicht die USA gefördert | |
und hochgezüchtet, so lange es ihren Interessen diente. Jetzt, nach dem | |
Abzug der westlichen Allianz in Afghanistan, lässt auch das Interesse der | |
Politik und der Medien an den Frauenprojekten dort nach. Die überlebenden | |
Frauen stehen alleine da. Das Gefühl von Diskriminierung, Abwertung und | |
Perspektivlosigkeit, das bei vielen männlichen muslimischen Jugendlichen in | |
der westlichen Welt vorherrscht, begünstigt die Hinwendung zu diesen | |
religiös verbrämten Terrorregimes: Hier finden sie Bilder für ihre | |
männliche Identität, die leider völlig übersteigert und gewalttätig sind. | |
Auch im Jugoslawienkrieg sind kroatische Männer aus Deutschland am | |
Wochenende auf den Balkan in den Krieg gefahren. | |
Als eine Gemeinschaft, die jahrhundertelang diskriminiert und verfolgt | |
wurde, halten jesidische Familien eng zusammen und sehen es nicht gerne, | |
wenn man außerhalb der Gemeinschaft geheiratet wird. Welche Folgen wird die | |
Erfahrung sexualisierter Gewalt auf diese Minderheit haben? | |
Die Folgen von systematischer sexualisierter Gewalt zeigen sich in Bosnien. | |
In unserer aktuellen Studie, die wir 20 Jahre nach dem Krieg gemeinsam mit | |
bosnischen Kolleginnen erstellt haben, zeigen sich langfristige psychische | |
und körperliche Gesundheitsbeeinträchtigungen, eine Traumatisierung auch | |
der nächsten Generation und eine massive Beeinträchtigung der | |
Lebensrealitäten der Überlebenden aufgrund von jahrelanger Stigmatisierung | |
und Ausgrenzung durch ihre eigene Gesellschaft – dabei ist die bosnische | |
Gesellschaft sehr viel toleranter als beispielsweise die afghanische oder | |
die im Kosovo. | |
Wie sollten wir mit dem Thema umgehen? | |
Bei Medica Mondiale haben wir Qualitätsstandards zur traumasensiblen Arbeit | |
mit Überlebenden sexualisierter Gewalt erstellt. Programme müssen immer | |
auch Aufklärung der Öffentlichkeit beinhalten. Denn die ganze Gesellschaft | |
ist dafür verantwortlich, dass die Frauen wieder ins Leben zurückkehren | |
können. Die Bundesregierung könnte sich hier aktiver zeigen und solche | |
Programme finanzieren. | |
19 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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