# taz.de -- Wahl in der Ukraine: „Sie müssen tun, was das Volk will“ | |
> Zwei Kämpfer vom Maidan in Kiew haben viel geopfert, um eine Ukraine ohne | |
> Korruption zu erleben. Zwei Porträts vor der Wahl. | |
Bild: Der Maidan im Februar 2014. Damals noch ein Platz der Hoffnung. | |
## Der Kämpfer | |
Angst, da ist sich Volodymir Schumeiyko sicher, habe er nie gehabt. Weder | |
auf dem Maidan noch im Donezbecken, wo er zwei Monate im | |
Freiwilligenbataillon Donbass gegen die prorussischen Separatisten gekämpft | |
hat. Im November vor einem Jahr ist er mit einem Freund aus seiner | |
Heimatstadt Kriwoj Rog nach Kiew gefahren. Er war 33 Jahre alt, gesund und | |
kräftig. „In Kiew hat eine Revolution begonnen“, hat sein Freund gesagt. | |
„Die wollen den Betrüger Janukowitsch aus dem Amt jagen. Lass uns sofort | |
hinfahren.“ Noch am gleichen Tag kündigte Schumeiyko seine Arbeit als | |
Geschäftsführer einer kleinen Handelsfirma und zog in die Revolution. | |
Bei den Kämpfern auf dem Maidan in Kiew sei er immer einer der Ersten | |
gewesen. An vorderster Front habe er gekämpft, Auge in Auge den verhassten | |
Polizisten der Sonderpolizei Berkut auf der Gruschewskaja-Straße | |
gegenübergestanden. Die beste Zeit seines Lebens sei der Maidan gewesen, | |
sagt Schumeiyko begeistert ein Jahr danach, auf Krücken gestützt und auf | |
dem rechten Auge blind. Am 22. Januar hat ihn ein Gummigeschoss der Berkut | |
am Auge schwer verletzt, mehrfach musste er operiert werden. | |
Die schlimmsten Tage seien die gewesen, als er den Maidan verlassen und ein | |
Fieber in seiner Heimatstadt auskurieren musste. Im Fernsehen habe er | |
mitansehen müssen, wie seine Freunde gegen Janukowitsch kämpften. „Mein | |
Körper war zu Hause im Bett, doch meine Seele war immer auf dem Maidan.“ | |
Ende Mai schloss er sich dem Freiwilligenbataillon Donbass in der | |
Ostukraine an. Russland habe die Ukraine überfallen, die Krim annektiert. | |
Da dürfe man die bedrohte Heimat nicht im Stich lassen. Am 4. Juni begann | |
sein Einsatz im Kampfgebiet. „Auch dort habe ich keine Angst gehabt, nicht | |
als wir bombardiert wurden, nicht in brennenden Häusern und brennenden | |
Panzern. Nur eines habe ich gedacht: Ich möchte noch einmal meine Freundin | |
vom Maidan anrufen und sie um Verzeihung bitten“, sagt Schumeiyko, den | |
seine Kampfgefährten wegen seiner Beziehungen Romeo nannten. | |
„Das Bataillon Donbass ist das am meisten gefürchtete, deswegen bin ich | |
dorthin“, sagt er. „Zivilisten haben wir nie angegriffen.“ Im ersten Kampf | |
ist sein Freund gestorben, am Unabhängigkeitstag, dem 24. August, wurde er | |
selbst schwer am Bein verletzt. Als er eines Tages neben seinem Krankenbett | |
eine kugelsichere Weste entdeckte, die jemand vergessen hatte, zog er sie | |
an. „Nun war ich psychologisch für eine Zeit lang meinen Freunden im | |
Donbass etwas näher.“ | |
Nein, er bereue nichts, weder seine Teilnahme auf dem Maidan noch seinen | |
Einsatz im Krieg im Bataillon Donbass, sagt Schumeiyko, der seitdem nur auf | |
Krücken gehen kann. Wenn er jetzt aufhöre, sei alles umsonst gewesen. Der | |
Geist des Maidan lebe weiter im Kampf gegen Korruption und egoistische | |
Politiker. „Vor den Wahlen versprechen uns die Politiker das Blaue vom | |
Himmel, doch kaum sitzen sie in ihren warmen Sesseln, haben sie ihre | |
Versprechen vergessen. Wir müssen den korrupten Politikern und Beamten | |
Feuer unterm Hintern machen. Sie dürfen keine Zeit zum Ausruhen haben, | |
müssen endlich das tun, was das Volk will.“ | |
Schumeiyko kämpft nun mit Worten. Er hält Vorträge vor Schülern und | |
Soldaten, spricht im Fernsehen und im Radio. Denn: „Ich hoffe sehr, dass | |
ich durch meinen heutigen Einsatz mit dazu beitragen kann, dass eine neue | |
Generation von echten Patrioten heranwächst.“ | |
*** | |
## Der Sozialist | |
Rote Fahnen wehen schon lange nicht mehr vor dem Parteibürod er | |
ukrainischen Sozialisten in der Gruschewskaja Straße, direkt gegenüber dem | |
ukrainischen Parlament. „Leute vom rechten Sektor haben sie immer wieder | |
abgerissen“, sagt Igor Panjuta, der jeden Tag das Büro als erster betritt | |
und als letzter verlässt. Auch die Fenster sind zu jeder Jahreszeit | |
geschlossen. Immer wieder knallen Tomaten oder Eier von rechten Gegnern an | |
Fensterscheiben und Wand. | |
Igor Panjuta arbeitet hauptamtlich für die kleine sozialistische Partei der | |
Ukraine. „Ich war von Anfang an auf dem Maidan dabei, jeden Tag war ich | |
dort, drei Monate lang. Ist doch klar, dass ich dabei bin, wenn die | |
Menschen gegen einen reaktionären Präsidenten und Oligarchen auf die Straße | |
gehen“, sagt Sozialist Panjuta. | |
„Die Eurointegration ist ein unaufhaltsamer Prozess, in den früher oder | |
später auch Russland eingebunden werden wird. Natürlich sind wir | |
Sozialisten für Europa. Doch unser Motto war: Europa in der Ukraine | |
aufbauen“, sagt Panjuta. Und dies bedeute, dass man erst mal im eigenen | |
Land klare Verhältnisse schaffen muss.Die Ukraine müsse mit den feudalen | |
und von Oligarchen dominierten Strukturen Schluss machen. | |
Mit dieser Position habe man sich zwischen alle Stühle gesetzt. | |
Euro-Romantiker und die Anhänger der Volksrepubliken im Donbass in der | |
Ostukraine machen den gleichen Fehler, analysiert Panjuta. Beide hoffen, | |
dass andere die Kastanien für sie aus dem Feuer holten. Damit blende man | |
das Hauptproblem des Landes aus: die Korruption und die Allmacht der | |
Oligarchen. | |
Auf dem Maidan hätten viele Linke teilgenommen, doch sie haben auf eigene | |
Faust gehandelt, hat Panjuta beobachtet. Die Führungen der linken Parteien | |
und Organisationen seien im entscheidenden Augenblick abgetaucht und hätten | |
so das Feld den Rechten überlassen. Diese hätten es dann auch geschafft, | |
den Zorn gegen Janukowitsch in eine eigene Machtübernahme umzumünzen. | |
Bis zum 22. Februar hatten Panjuta und einige Dutzend Linke die Hoffnung | |
nicht aufgegeben, doch noch Einfluss auf die Maidan-Bewegung nehmen zu | |
können. Ihre Vision: Der Maidan solle die soziale Frage auf die | |
Tagesordnung setzen, sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen und den | |
Oligarchen die rote Karte zeigen. Für Panjuta ist der Maidan gescheitert. | |
Die Oligarchen hätten es geschickt verstanden, den Maidan für ihre Zwecke | |
zu nutzen. Eine Bewegung, die in riesigen Sprechchören „Tod den Feinden“ | |
rufe, sei auch für Europa eine Belastung. | |
Letztlich seien spontane Revolutionen meistens zum Scheitern verurteilt. | |
Dies zeige auch das Beispiel des Arabischen Frühlings. Es sei ein Fehler | |
gewesen, sagt Panjuta, die Protestbewegung des Maidan gegen die | |
Protestbewegung im Donbass auszuspielen. | |
Er selbst stammt von der Krim, die Russland zunächst im Februar 2014 | |
militärisch besetzt und sich dann mit einem Referendum einverleibt hat. | |
Seit März gehört die Krim faktisch zu Russland. Beide Protestbewegungen | |
seien doch aus Unzufriedenheit über die sozialen Ungerechtigkeiten | |
entstanden. Und beide haben bald Abstand von ihren sozialen Forderungen | |
genommen. | |
Wirklich erfolgreich, sagt Panjuta, könne eine Protestbewegung in der | |
Ukraine nur sein, wenn sich die Menschen aus der Ostukraine und der | |
Westukraine gemeinsam für soziale Gerechtigkeit einsetzten. Gemeinsam | |
müssten sie das Grundübel des reichen Landes bekämpfen – die grenzenlose | |
Macht der Oligarchen. | |
25 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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