| # taz.de -- Die Wahrheit: Im gelben Streikbus | |
| > Die Lokführer streiken. Da bleibt nur die große Personenschaukel. Mit | |
| > allerlei Novizen der Straße unterwegs von Dortmund nach Berlin. | |
| Bild: Viel geht nicht mehr: Reisende in Dortmund. | |
| Ich saß im ADAC-Postbus von Dortmund nach Berlin. Vorsichtshalber, wegen | |
| des Bahnstreiks. Die GDL will nicht nur eine Lohnerhöhung, sondern auch | |
| erstreiken, dass sie für andere Bahnangestellte wie Zugbegleiter und | |
| Bordkellner verhandeln darf. Zuerst sollte nur der Güterverkehr bestreikt | |
| werden. Das war natürlich Quatsch. Im Güterverkehr sind weder Zugbegleiter | |
| noch Bordkellner unterwegs. Aber der GDL-Chef Claus Weselsky scheint lange | |
| nicht mehr in einem Güterzug unterwegs gewesen zu sein. | |
| Ich war zum ersten Mal mit dem gelben Postbus unterwegs. Fast alle anderen | |
| waren auch Novizen. Ein bisschen war es wie Fliegen. Man durfte sein Gepäck | |
| nicht einfach in den Bus stellen, jedes Gepäckstück bekam ein Bänzel, und | |
| den Abschnitt musste man dann wieder vorzeigen, wenn man es zurückhaben | |
| wollte. Im Bus gab es sogar ein Filmchen, wo die Rettungswesten lägen und | |
| wann die Atemmasken herabfielen, falls wir abstürzen sollten oder es im Bus | |
| zu einem Druckausfall käme. Wir mussten uns sogar anschnallen. Im Bus! | |
| Auf Personenkontrolle wurde verzichtet, das Gepäck wurden nicht geröntgt, | |
| aber an Bord gab es Kotztüten. Aufgedruckt war das Fahrtnetz des | |
| Postbusses. Bei den großen Städten stand im jeweiligen Dialekt das Wort für | |
| die Tüte: bei Hamburg stand „Spuckbeutel“, für Berlin „Kotztüte“, f�… | |
| „Spucktüüt“ und für München „Speibsackerl“. Da macht man sich schon | |
| Gedanken über die Strecke. | |
| ## Der Busfahrer hörte WDR 4 | |
| Endlich fuhren wir los vom ZOB Dortmund zum ZOB Berlin. Zentraler | |
| Omnibusbahnhof. Ein Wunder, dass der noch nicht angliziert und umgetauft | |
| wurde. Der Busfahrer hörte WDR 4. Sonst weiß man ja nie, was Pilot hören | |
| beim Fliegen. Ich schaute beim Überholen den Lkw-Fahrern ins Fahrerhaus, | |
| selten habe ich so viele Nackte gesehen. | |
| Im Postbus wird entschieden weniger telefoniert als in der Bahn, und es gab | |
| zumindest an dem Tag keine Kinder mit Müttern. Wir passierten Bielefeld, im | |
| Radio lief „Return to Sender“. Dann tauchte die Porta Westfalica auf. Wenn | |
| wir früher hier vorbei kamen, sangen alle: „Wo die Weser einen großen Bogen | |
| macht, wo der Kaiser Wilhelm hält die treue Wacht, wo man trinkt die Halben | |
| in zwei Zügen aus, da ist meine Heimat, da bin ich zu Haus!“ Nun sang ich | |
| alleine, und die Businsassen schauten mich seltsam an. Aus dem Radio hörte | |
| ich in dem Moment „Solitary Man“ von Johnny Cash. | |
| An der Grenze bei Helmstedt dauerte es dann: Pässe abgeben, Schlange | |
| stehen, warten. Den Stern und den Spiegel unterm Sitz verschwinden lassen, | |
| dann gingen die Grenzer durch den Bus – und ich wurde wach. Es war | |
| November. Im Jahr 2014. Das Jubiläum des Mauerfalls. Hatte ich 25 Jahre | |
| lang geschlafen? | |
| Ich kam langsam wieder ins Hier und Jetzt. Die Grenze war tatsächlich seit | |
| 25 Jahren offen, die Bahn streikte und ich saß im Postbus nach Berlin. Mit | |
| drei Berliner Dortmund-Fans auf der Rückfahrt vom Spiel. Mit Flix-Bus | |
| würden sie nie fahren, der habe die falsche Farbe, sagten sie. Als wir in | |
| die Hauptstadt einbogen, sang ich stumm vor mich hin: „Wir zieh’n ins | |
| Weserland, ins schöne Heimatland …“ | |
| 11 Nov 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Gieseking | |
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