# taz.de -- Die Wahrheit: Finnland? Hot! | |
> Klimawandel: Wenn das Wetter sich ändert, wirkt sich das auch auf die | |
> Kultur aus. Wozu in die Sauna, wenn es davor noch heißer ist? | |
Bild: Erholung an der Finnischen Seenplatte ist auch nicht mehr das, was es mal… | |
In wenigen Wochen ist es soweit. Finnland bereitet sich auf den Besuch der | |
Buchmesse vor. Finnland goes Frankfurt – und zwar mit der Werbezeile | |
„Finnland. Cool.“ Das ist natürlich Quatsch, wie so vieles, was man den | |
Finnen nachsagt. Finnland war in diesem Sommer alles andere als cool. Es | |
gab, nach den Rekordtemperaturen der Vorjahre … neue Rekordtemperaturen! | |
Und das wochenlang. | |
Kein Regentropfen fiel dort, während Deutschland fror und man im Ruhrgebiet | |
nach manchem Dauerregen nur noch mit Hilfe des THW im Schlauchboot in die | |
eigene Wohnung kam. Tausend Pöttler mussten von Tauchern aus ihren | |
Hobbykellern in letzter Sekunde geborgen werden, von Wassermassen | |
überrascht, während Finnland chinesische Sonnenschirme importierte. Der | |
Finnland-Tourist des Jahres 2014 kam gebräunt zurück wie nach sieben Wochen | |
im thailändischen Spa oder vier Wochen „exzessive sunbath“ an der Côte | |
d’Azur oder den kanarischen Stränden. | |
Der Finne saunte in diesem Sommer erstmals vor seiner Sauna. Um im Inneren | |
ihrer Holzverschläge in diesem Sommer 110 Grad zu erreichen, ließen viele | |
Finnen einfach die Saunatür offen. Abkühlen in den Seen ging leider nicht, | |
aber die Finnen konnten ihre Frühstückseier darin kochen. Mancher Finne | |
ließ für Fertigsuppen einfach den Schweiß von der Stirn in die Tasse | |
tropfen. | |
Die Finnen sind Weltmeister im Kaffee-Verbrauch. In diesem Sommer wurde | |
kein Kaffeewasser aufgesetzt, man goss das Pulver einfach mit | |
Leitungswasser auf und ließ die Tasse dann eine knappe Minuten in der Sonne | |
stehen. Dann trank man das nun dampfende Schwarz, nachdem man vergeblich | |
versucht hatte, es etwas kühler zu pusten. | |
Das schönste Schwarze für den Finnen aber ist jede Art von Lakritz, | |
finnisch: „lakritsi“ oder von gesalzenem Lakritz „salmiakki“, beides gi… | |
es auch als Speiseeis. Oder als Likör von der Firma Koskenkorva, schmeckt | |
fantastisch – wenn man es runterbekommt. In diesem Sommer karamellisierte | |
mancher „salmiakki“ zu einer Art Lakritzbonbon, das man nur schnell im | |
Ganzen schlucken konnte, oder es verklebte sich, unweigerlich angeschmolzen | |
in der Hitze, an Gaumen und Zungen der Finnen, was die | |
Sprachverständlichkeit der finnischen Sprache in diesem Sommer noch weit | |
über das gewohnte Maß hinaus erschwerte bis verunmöglichte. | |
## Der Elch - ein „special effect“ | |
Weltmeisterlich ist auch die Vehemenz, mit der die Finnen Juhannus, das | |
Mitsommerfest Ende Juni begehen: ein Exzess der dem Kölner Karneval in | |
nichts nachsteht, nur die Kostüme fehlen. Am Folgetag veröffentlichen die | |
finnischen Zeitungen die Zahlen der tatsächlichen Alkoholleichen – derer, | |
die betrunken vom Steg gefallen sind und ertranken. Seit einigen Jahren | |
kann bei einem Radiosender in Helsinki vorher darauf gewettet werden, wie | |
viele Finnen in diesem Jahr an Juhannus ertrinken werden. Das wiederum | |
zeigt: Der Finne hat Humor. | |
Die größte Erfindung der finnischen Tourismusindustrie aber ist der Elch. | |
Um es gleich zu sagen: Es gibt ihn nicht. Der Elch ist ein Mythos. Elche | |
sind den Göttern gleiche Gestalten, also unsichtbar! Aber man kann an sie | |
glauben – wenn man will. Im Gegensatz zu Trollen – in Finnland: tonttus – | |
die es wirklich gibt, wird man dort keinem Elch tatsächlich begegnen. Die | |
Existenz der gehörnten Riesen wird mit unzähligen Verkehrsschildern | |
suggeriert. Betrunkene deutsche Urlauber meinen manchmal im herbstlichen | |
Frühnebel manche Schemen als Elche zu erkennen. | |
Die beeindruckenden Vierbeiner, die wir immer wieder in Naturfilmen gezeigt | |
bekommen, sind geschickte „special effects“, Pixelwunder, reine | |
Computerwesen, seit Jahren schon auf einem Niveau, das | |
Hollywoodproduktionen wie der „Planet der Affen“ erst jetzt langsam | |
erreichen. Eine geheime Nokia-Abteilung hat seit Jahrzehnten daran | |
gearbeitet. Wie früher die venezianischen Glasbläser durften diese Finnen – | |
nur drei insgesamt! – bei Todesstrafe nicht das Land verlassen und ihre | |
Fertigkeiten etwa fremder Industrie oder anderen Nationen anbieten. | |
Allerdings hatte auch keiner dieser drei Experten je Finnland verlassen | |
wollen, denn was dem gemeinen Menschen „Saus und Braus“ ist, das sind dem | |
Finnen „sauna und salmiakki“, und das gibt es nun mal nur im heiß geliebten | |
Finnland. | |
1 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Bernd Gieseking | |
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