| # taz.de -- Die Wahrheit: „Was geht?“ | |
| > Was für eine Frage! Neuerdings wird man ständig mit dem Gehen angegangen. | |
| > Aber was bedeutet das? Und was soll man antworten? | |
| Bild: Typisch finnisches Balzverhalten: Mund auf und Haare schleudern. | |
| „Was geht?“ Das fragte mich kürzlich Saskia, Anfang 30. Ja, gute Frage. Was | |
| geht denn? Keine Ahnung, was geht! Fragte sie mich nach meinem frisch | |
| operierten Knie? Ob das wieder geht? War das ein Rätsel? Was fliegt nicht, | |
| sondern geht? Der, der selber kündigt, vielleicht? | |
| „Was geht?“ Was sollte ich denn darauf sagen? „Geht so“ ist jedenfalls | |
| keine Antwort. Das wäre absolut uncool. Aber mit welchen Worten kann man | |
| als alter Sack, ohne gleich in anbiederndes Jugendsprech zu verfallen, | |
| darauf adäquat reagieren? | |
| Ich erlebte das Problem nicht zum ersten Mal. Das war schon das Geheimnis | |
| bei Reisen in die USA. Amerikaner fragen immer: „How are you?“ Und dann hob | |
| man an, eine einigermaßen differenzierte Antwort in einer fremden Sprache | |
| zu formulieren: Es sei schon okay, allerdings die Grippe noch nicht ganz | |
| vorüber … Daran aber hat der Gegenüber überhaupt kein Interesse. Maximal | |
| will der Amerikaner ein „Fine, how are you?“ hören. Mehr wird nicht | |
| erwartet. | |
| Viel eher antwortet man mit der gleichen Frage auf die Frage. Ein vorn | |
| betontes „How are you?“ erwidert man mit „How are you?“, hinten betont. | |
| Aber kann man auf „Was geht?“ mit „Was geht?“ antworten? | |
| In Amerika erwartet keiner der beiden Frager eine Antwort. Was eigentlich | |
| wunderbar ist, aber in Deutschland kulturhistorisch nicht möglich. Ein | |
| deutscher Leitsatz, insbesondere in Beziehungsdiskussionen, lautet: „Man | |
| beantwortet eine Frage nicht mit einer Gegenfrage.“ | |
| ## „Ça va?“ | |
| Mein Dilemma ist, dass die meisten Menschen, die ich kenne, einer anderen | |
| Altersschicht angehören und ich von ihnen keine Erklärung bekommen kann. | |
| Selbst Saskia, gefragt, was denn die korrekte Antwort auf ihre Frage sei, | |
| kam ins Grübeln, und ich blieb letztlich ohne Auskunft, wie genau vorher | |
| sie. Die einzige Chance scheint darin zu bestehen, als Erster „Was geht?“ | |
| zu fragen. | |
| Der Franzose macht es einfacher: „Ça va?“ – „Oui, ça va!“ – „Ge… | |
| „Jau, es geht!“ Niemand würde sagen: „No, ça ne va pas!“ – „Nein,… | |
| nicht!“ | |
| Ganz anders wiederum der Ostwestfale. Der fragt seit Jahrtausenden: „Und?“ | |
| Jeder Ostwestfale weiß, was er zu antworten hat. Schlicht und einfach: | |
| „Muss!“. Diese zwei Worte sind ein kompletter Dialog. Da werden Dinge | |
| ausgetauscht, für die der Schwabe Stunden braucht. Ein echtes | |
| philosophisches Zwiegespräch! Philosophie und Seelsorge zugleich! | |
| Mit der Frage „Und?“ zeigt man ein unmissverständliches Interesse am | |
| Gegenüber, es ist die Frage nach dessen Sein und Wollen. Und das ist | |
| letztlich die Frage nach dem Urgrund. Dann die Antwort, schlicht und klar: | |
| „Muss!“ Ehrliche Entgegnung und ironisches Spiel in einem. | |
| Vermutlich liegt die Lösung zu meiner Eingangsfrage in der Verbindung von | |
| jahrhundertealten ostwestfälischen Traditionen und dem Neuen, dem stetig | |
| sich ändernden Jugendsprech. Skater und Skelette sollten sich ganz einfach | |
| begegnen. Und so schickte ich Saskia eine Mail: „Ruf mich doch mal bitte | |
| an.“ Sie fragte am Telefon sofort: „Na, Bernd. Was geht?“ Und ich sagte: | |
| „Muss!“ Keine weiteren Fragen. | |
| 28 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Gieseking | |
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