# taz.de -- Rassismus in der Schweiz: Eidgenossen im Dichtestress | |
> Angeführt von „Ecopop“, schreiten die Schweizer erneut zur Abstimmung | |
> gegen Migration. Die direkte Demokratie als Bühne des Rechtspopulismus. | |
Bild: Die Einwanderung in die Schweiz wird weiter erschwert | |
„Ecopop“ – nein, das ist nicht das Musiklabel von Anton Hofreiter und auch | |
kein neuer Sound in der Popmusik, sondern ein Kunstwort, zusammengesetzt | |
aus den beiden französischen Wörtern für Ökologie und Bevölkerung: ÉCOlog… | |
und POPulation. Und die Abkürzung Ecopop steht für eine Volksinitiative in | |
der Schweiz. Voller Name: „Stopp der Übervölkerung – zur Sicherung der | |
natürlichen Lebensgrundlagen“. | |
Wie schon öfter in der Alpenrepublik geht es um, besser gesagt, gegen | |
Ausländer und um eine Einwanderungsbeschränkung. Die Initiative verlangt, | |
die Zuwanderung auf jährlich 0,2 Prozent der Schweizer Gesamtbevölkerung zu | |
beschränken. Das entspräche etwa 17.000 Personen pro Jahr, momentan sind es | |
rund 90.000 Personen, die jährlich in die Schweiz einwandern. Die etwas | |
mehr als 5 Millionen wahlberechtigten Schweizer sind am 30. November dazu | |
aufgerufen, über die Ecopop-Vorlage abzustimmen. | |
Gegner der Ecopop-Initiative halten die Verkopplung von Ökologie und einer | |
Steuerung des Bevölkerungswachstums für problematisch. Sie reden von | |
„Birkenstock-Rassismus“; die Ecopop-Befürworter, also die Nur- und | |
Naturschweizer, hingegen betonen einen „Dichtestress“, der die Eidgenossen | |
heimsuche: volle Züge, verstopfte Autobahnen, Betonierung der Landschaft, | |
Schlangestehen bei der Wohnungssuche. | |
Neu ist der Kampf gegen die Zuwanderung in der Schweiz nicht. Im Februar | |
erzielte die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) von | |
Unternehmer Christoph Blocher bereits eine Mehrheit in einer | |
Volksabstimmung zur Begrenzung der Zuwanderung. Die SVP-Initiative nannte | |
im Unterschied zu Ecopop allerdings keine Zahlen für die | |
Einwanderungsobergrenze. Und deshalb weiß bis heute niemand, wie man das | |
Referendum behördlich umsetzen soll. Sicher ist nur, dass die Initiative | |
den bilateralen Verträgen der Schweiz mit der EU über die Freizügigkeit im | |
Personenverkehr widerspricht. | |
## Die Wirtschaft stünde am Abgrund | |
Den Vertrag mit der EU könnte die Schweiz zwar kündigen, doch das hätte zur | |
Folge, dass die EU ihrerseits die Schweiz als vertragslosen Drittstaat | |
behandeln könnte, ungefähr so wie Uganda oder Moldawien. Das hätte | |
erhebliche Nachteile für die Exportwirtschaft, den Finanzplatz und | |
Wissenschaftsbetrieb oder den Transitverkehr der Schweiz. | |
Wegen der Ecopop-Initiative steckt Blochers SVP in einem Dilemma: So ist | |
man zwar gegen Einwanderung, aber zugleich auch Gegner der ökonomisch | |
widersinnigen Ecopop-Initiative. Zudem würde sie die | |
SVP-Einwanderungsinitiative obsolet machen. Der milliardenschwere | |
Unternehmer Blocher will weder Export-, Landwirtschaft noch Tourismus | |
schädigen, und auch die Gesundheitsversorgung würde in den Abgrund steuern, | |
sollten jährlich nur noch 17.000 Personen in die Schweiz einreisen dürfen. | |
Blocher taktiert demnach. Er fordert seine Anhänger und notorische | |
Einwanderungsgegner auf, am 30. November gegen die Ecopop-Initiative zu | |
stimmen. Und hofft, dass dennoch viele für sie stimmen, damit sich die | |
Regierung bei einer knappen Ecopop-Ablehnung genötigt sieht, Blochers | |
eigene, „mildere“ Initiative zum „naturbelassenen“ Schweizertum umzuset… | |
Das zeigt, wie komplex das politische Innenleben der Schweiz – die direkte | |
Demokratie – im Einzelfall funktioniert. Daran dachte unser | |
Riesenstaatsmann Joschka Fischer nicht, als er in seinem durchaus | |
lesenswerten Buch jüngst nebenbei verkündete, der EU wäre aus der Krise zu | |
helfen, wenn sie sich die Schweiz zum Vorbild nähme. | |
## Die Kantone sind entscheidend | |
Fischer sieht die Schweiz zusammengesetzt aus „Deutschen, Franzosen, | |
Italienern und Rätoromanen“. Doch hier irrt er. Die vier Bevölkerungsteile | |
verstehen sich als Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch | |
sprechend, aber mit Sicherheit nicht als „Deutsche“, „Franzosen“, | |
„Italiener“, also nicht als „ethnische Gruppe“. Die Schweiz besteht nic… | |
aus Völkern, sondern aus Kantonen, die sich nach Alter, Sprache, Religion | |
und Geschichte unterscheiden. | |
Fischers Rede von der Schweiz als „quasi modernem Europa im Kleinen“ mag | |
symbolisch gut gemeint sein, geht aber als Politkitsch an Realität und | |
Geschichte der Eidgenossenschaft komplett vorbei. Wollte sich die | |
Europäische Union tatsächlich auf den Schweizer Weg begeben, um sich so zu | |
erneuern, müsste sie sich auf allerhand gefasst machen. Der Weg begann | |
nämlich 1847 mit einem kurzen Bürgerkrieg. Er setzte sich damit fort, jene | |
politisch auszugrenzen, die nach den Vorstellungen des Neuschweizertums | |
nicht zur eben erfundenen „Nation“ gehörten (Sozialdemokraten, Katholiken, | |
Ausländer, Flüchtlinge). | |
Vor allem aber verkennt Fischer das Spezifische der schweizerischen | |
Variante von direkter Demokratie, das gleichzeitig ein fundamentales | |
Defizit kennzeichnet. Nach dem helvetischen Verständnis von Demokratie hat | |
das Volk das letzte Wort und behält immer recht. Das ist eine simple | |
Devise, aber zwiespältig wie alles ganz Einfache. | |
## Die Initiative führt in die Sackgasse | |
In der Schweiz ist eine richterliche Überprüfung von Volksentscheiden auf | |
ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung, den Menschenrechten und dem | |
Völkerrecht nach Artikel 190 der Bundesverfassung explizit ausgeschlossen. | |
Dies in der Verfassung zu ändern wäre zwar möglich, aber ein steiniger Weg. | |
Und um die ebenso simple wie zwiespältige Devise festzuschreiben, planen | |
Blocher und seine SVP, eine Volksinitiative zu lancieren, die den Vorrang | |
des Schweizer Bundesrechts vor dem Völkerrecht und den Menschenrechten in | |
der Verfassung verankern soll. Intellektuelle und Politiker, die Blochers | |
Souveränitätsmythen und Neutralitätschoräle als Rückfall in dumpf-nationale | |
Isolation kritisieren, verhöhnt der Demagoge als „Professörlein und | |
Ämtchenträger“. | |
Die Qualitäten der direkten helvetischen Demokratie sind unbestreitbar. | |
Evident ist jedoch, dass die direkte Demokratie à la Suisse reform- und | |
ergänzungsbedürftig ist. Die Verschweizerung der EU, sie wäre wie Ecopop | |
eine Sackgasse. | |
28 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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