| # taz.de -- Die Schweiz und das Burkaverbot: Der Araber hat es gern flach | |
| > In Interlaken, wo immer mehr arabische Gäste Ferien machen, wird über das | |
| > Burkaverbot gestritten. Für Touristen könnte es Ausnahmen geben. | |
| Bild: Rote Kühe gehören einfach zur Schweiz dazu | |
| Zuerst kam der Engländer. Der hatte komische Socken an und kletterte zum | |
| Spaß auf die Berge. Es folgte der Japaner. Ui, der Japaner. Nur noch | |
| Japaner in Interlaken. Das Jungfraujoch voller Japaner. Das Restaurant auf | |
| dem Jungfraujoch ein Japaner, der Zug voller Japaner. Dem Amerikaner gefiel | |
| das nicht. Dem Amerikaner waren es zu viele Japaner. What are you doing for | |
| me? Der Amerikaner kam manchmal und manchmal nicht. Je nach Wechselkurs und | |
| Weltlage. | |
| So geht die Geschichte des Tourismus in Interlaken, so wird sie im Dorf | |
| erzählt. Nach dem Japaner kam nicht der Russe, der ist zum Glück in St. | |
| Moritz. Es kam stattdessen: der Inder. Der Inder war schlimmer. Eine | |
| Katastrophe. Nicht kochen im Zimmer, gell. Nicht kochen. Do you önderständ? | |
| Mach es lieber so wie der Südkoreaner, der ist ein Sauberer. Besser als der | |
| Chinese auf jeden Fall. | |
| Den Chinesen setzt man am besten etwas abseits, der schlürft und grunzt und | |
| furzt. Beim Chinesen muss alles immer schnell gehen, zack, zack, | |
| Jungfraujoch, Luzern, Genf, zwei Uhren, vielleicht auch drei. Die braucht | |
| der Chinese zu Hause, Chinesen in China kann man gut mit Schweizer Uhren | |
| bestechen. | |
| Doch der Chinese im Berner Oberland hat ein Problem. Was dem Amerikaner der | |
| Japaner war, ist dem Chinesen der Araber. Denn jetzt ist der Araber da. | |
| Immer nach dem Ramadan im Sommer, verdammt eindrückliche Wachstumszahlen. | |
| Ein guter Gast. Keiner bleibt länger, und keiner gibt mehr aus als er. 430 | |
| Franken pro Tag. Dem Araber gefällt es in Interlaken. Die Berge, die Seen, | |
| die unendliche und nicht eben hübsche Fläche dazwischen, die den Schweizer | |
| an Interlaken zweifeln lässt. Nicht den Araber. Der Araber ist es nicht | |
| gewohnt, in die Höhe zu steigen, der Araber hat es gern flach. | |
| In Interlaken kennen alle die Zahlen zum Araber. In Interlaken haben sie | |
| ein Bewusstsein für die Geschichte des Tourismus. Sie kennen den Ausländer, | |
| 80 Prozent leben von ihm. Es ist in den vergangenen hundert Jahren immer | |
| gleich gelaufen. Der Ausländer kam, wurde skeptisch beäugt, in eine | |
| Kategorie gepresst und dann akzeptiert. | |
| ## Die Balance ist gestört | |
| Über hundert Jahre ging das gut, man hatte eine Balance, wie es der | |
| Hotelier Res Grossniklaus vom Post-Hardermannli sagt. Doch in letzter Zeit | |
| scheint etwas ins Rutschen zu geraten: „Vielleicht müsste man sich | |
| ernsthaft darauf besinnen, dass weniger manchmal mehr sein kann.“ | |
| Die Geschichte mit den Arabern in Interlaken ist bis heute das Gegenteil. | |
| Mehr, immer mehr. 2005 übernachteten Gäste aus den Golfstaaten 5.580-mal in | |
| Interlaken. Elf Jahre später sind es 123.878 Logiernächte. Das ist ein Plus | |
| von 2.120 Prozent, ein Wahnsinn. Verantwortlich dafür ist Stefan Ryser. | |
| Tourismusmanager in Interlaken Fünftagebart, eckige Brille, ein smarter | |
| Typ. 2004 machte Ryser ein Praktikum bei Schweiz Tourismus. Damals | |
| entdeckte die Schweiz den arabischen Markt, und Ryser war ganz vorne dabei. | |
| Zwei Jahre später wechselte er zu Interlaken Tourismus, wo er inzwischen | |
| zum Vizedirektor aufgestiegen ist, und brachte den Araber mit. Das läuft | |
| über Beziehungen, muss man wissen, der Araber will sein Gegenüber kennen. | |
| Der Chinese hingegen will alles auf Papier. Zahlen, Fakten, Rabatte. | |
| ## Euroschock? Nicht hier | |
| Ryser war präsent, an den großen Messen in Dubai und Riad, Interlaken war | |
| so von Anfang an dabei. Im vergangenen Jahr haben die arabischen Gäste die | |
| Chinesen überholt, zum ersten Mal. Nur der Schweizer schläft noch häufiger | |
| in Interlaken. Ein Großteil der über 120.000 arabischen Logiernächte fällt | |
| auf die Sommermonate, das Jahr 2016 war ein Rekordjahr. Euroschock? Nicht | |
| hier. | |
| Während US-Präsident Donald Trump die Grenzen für die Muslime schließt und | |
| das SVP-Irrlicht Andreas Glarner schweizweit und faktenfrei mit einer | |
| Burkafrau gegen die erleichterte Einbürgerung hetzt, überlegt sich Stefan | |
| Ryser, wie er noch mehr muslimische Gäste nach Interlaken bringen kann. | |
| Nächste Woche ist er wieder in den Golfstaaten unterwegs und wird den | |
| Reiseveranstaltern falsche Vorstellungen ausreden. „Die denken, bei uns | |
| habe es im Winter minus 20 Grad, und alle Seen seien zugefroren“, sagt | |
| Ryser. Im Gepäck für die Ferienmesse hat er neue Bilder, mit denen | |
| Interlaken Tourismus die arabische Welt von den winterlichen Vorzügen des | |
| Berner Oberlands überzeugen will. | |
| Ein arabisches Pärchen, das verträumt in eine Schneelandschaft schaut. | |
| „Honeymooners sind unsere neue Zielgruppe“, sagt Ryser. Für die | |
| Frischgetrauten, die nicht an die Schulferien gebunden sind, gibt es | |
| spezielle Packages. Schneespaß für Menschen, die noch nie Schnee gesehen | |
| haben. Schlittschuhlaufen auf der Ice Magic, auf der leeren Fläche in der | |
| Mitte von Interlaken. | |
| Es sind letzte Anpassungen in einem Markt, der – um in der Sprache der | |
| Touristiker zu bleiben – ziemlich gesättigt ist. Interlaken hat in Sachen | |
| Araber in den vergangenen zehn Jahren alle anderen Schweizer Tourismusorte | |
| überholt. Interlaken ist, so stand es schon in vielen Zeitungen, das | |
| Schweizer Mekka für Touristen aus den Golfstaaten. | |
| ## Für manche eine Problem | |
| Einer, der diese Geschichte wie Ryser ganz von Anfang an mitgemacht hat, | |
| ist Marco von Euw, Direktor des Hotels Metropole am Höhenweg mitten in | |
| Interlaken. Von Euw ist ein dunkler Typ, dunkle Haare, dunkler Teint. „Er | |
| sei doch selber so ein Islamist!“, hat ihm einmal ein erzürnter Schweizer | |
| aus dem Mittelland nach einem Medienauftritt gefaxt. | |
| Von Euw ist nicht der einzige Interlakner, der sich für das Geschäft mit | |
| den arabischen Gästen rechtfertigen muss. „Wenn ein Unternehmer seine Waren | |
| in die arabische Welt exportiert, ist das in Ordnung. Wenn wir hier Umsatz | |
| mit arabischen Gästen machen, dann ist das offenbar ein Problem.“ | |
| Der Hoteldirektor empfängt zum Gespräch im 18. Stock seines Hause. Vor sich | |
| hat er einen Teppich ausgebreitet, eine CD mit arabischen Schriftzeichen, | |
| eine Speisekarte mit gelbem Punkt und ein Glas Honig. Insignien für den | |
| richtigen Umgang mit dem arabischen Gast. Darüber möchte er reden, nicht | |
| über anonyme Faxe und Anrufe mit unterdrückter Nummer. | |
| Der Teppich war eine Idee des Hoteldirektors. Er war lange beim Militär, | |
| ist geübt mit dem Kompass. Als die ersten arabischen Gäste in sein Hotel | |
| kamen, wollten die wissen, wo Mekka liege (das echte). Statt in jedem | |
| Zimmer einen Pfeil Richtung Schynige Platte zu montieren, bestellte von Euw | |
| Gebetsteppiche mit eingebautem Kompass. Niemand soll bevorteilt werden, | |
| niemand soll merken, dass die Gäste unterschiedlich behandelt werden. Die | |
| Speisekarte mit den Halal-Angeboten sehen nur die arabischen Gäste, Gruppen | |
| trennt man, wenn es irgendwie geht, und die Angestellten wissen, was sich | |
| beim Bedienen gehört und was nicht. | |
| ## Augenkontakt vermeiden | |
| Jedes Jahr vor der Saison veranstaltet Interlaken Tourismus interkulturelle | |
| Workshops und verteilt Blätter mit Ratschlägen für den korrekten Umgang mit | |
| arabischen Gästen. „Sprechen Sie bei einer Konversation sowohl den Mann als | |
| auch die Frau an. Frauen sprechen für sich selber“, heißt es da zum | |
| Beispiel. „Vermeiden Sie direkten Augenkontakt mit älteren oder | |
| andersgeschlechtlichen Gästen“ oder: „Gäste aus den Golfstaaten schätzen | |
| freundliche Willkommensgrüße, Geduld und Toleranz gegenüber Kindern sowie | |
| Respekt vor der Kultur und der Religion.“ Ein Lächeln wirke Wunder, und | |
| warum nicht ein paar Worte Arabisch lernen? | |
| Ernst Vögeli, Fuhrhalter in der dritten Generation, hat es versucht mit dem | |
| Arabisch. Doch über „Salam aleikum“ ist er nie hinausgekommen. Seine Frau | |
| sei begabter. Vögeli hat ein glorioses 2016 hinter sich. Über 20.000 Gäste | |
| hat er mit seinen Kutschen herumgefahren, vor allem aus dem arabischen | |
| Raum. Der Araber, so heißt es in Interlaken, mag eben Rösser. „Die genießen | |
| das richtig. Haben Freude an unseren Bergen und flippen fast aus, wenn sie | |
| Kühe mit echten Glocken sehen.“ | |
| Vögeli hat, wie Hoteldirektor von Euw, schon oft über den arabischen Gast | |
| als solchen referiert. Er ist nicht nur Kutscher, sondern auch Gemeinderat | |
| in Unterseen bei der Interlakener Schweizerischen Volkspartei (SVP). Bei | |
| den letzten Nationalratswahlen hat die SVP im Kreis Interlaken-Oberhasli | |
| über 40 Prozent Wähleranteil gehabt. Es ist dieselbe Partei, die mit ihrer | |
| Abneigung gegen islamische Symbole einen neuen Kulturkampf lanciert hat: | |
| West gegen Ost, Christentum gegen Islam. Ausgerechnet in Interlaken wird | |
| dieser Kampf konkret. | |
| ## Keine Hetze gegen Gäste | |
| Vor zwei Wochen fand im Victoria-Jungfrau-Hotel ein „Kaminfeuergespräch“ | |
| zwischen Tourismusdirektor Daniel Sulzer und SVP-Nationalrat Walter Wobmann | |
| statt, der die Burka-Initiative lanciert hat. Etwas über 70.000 | |
| Unterschriften hat Wobmann zusammen, im Sommer will er die Volksinitiative | |
| einreichen. „Das wäre bedrohlich für den Tourismus in Interlaken“, sagte | |
| Sulzer, „wir dürfen nicht eine derartige Hetze gegen unsere Gäste | |
| lostreten.“ Wobmann reagierte ungerührt, wie in der Aargauer Zeitung | |
| nachzulesen war. „Wir sind es, die die Hausordnung durchgeben müssen.“ | |
| Ernst Vögeli war an diesem Abend auch im Victoria Jungfrau, und er stimmt | |
| seinem Parteifreund Wobmann nicht zu. Vögeli steht für jenen Teil der | |
| SVP-Wähler und SVP-Mitglieder in Interlaken die das Burka-Problem | |
| pragmatisch lösen möchten. „Natürlich habe ich mein Parteibüchlein. Aber | |
| wenn es darum geht, die Arbeitsplätze zu erhalten, kann man auch mal von | |
| der Linie abweichen.“ | |
| Noch sind Stimmen wie jene von Vögeli in der Mehrheit in Interlaken. Doch | |
| es gibt eben auch die anderen. Der Besitzer des Campingplatzes beklagt sich | |
| darüber, dass wegen der vielen Araber der Holländer nicht mehr komme. Von | |
| einem „mulmigen Gefühl“ bei vielen europäischen Gästen berichtete das SRF | |
| bereits vor einem Jahr. Hoteliers, die sich auf die Chinesen | |
| konzentrieren, erzählen vom wachsenden Konfliktpotenzial zwischen den | |
| beiden Gruppen. Die Terroranschläge in Europa sind Gift für den | |
| chinesischen Markt, und da sei es nicht eben vorteilhaft, wenn der Chinese | |
| dann im Berner Oberland vor allem verschleierte Araber sehe. | |
| ## Den bösen Geist nicht reizen | |
| Res Grossniklaus, jener Hotelier, der sich um die Balance in Interlaken | |
| sorgt, ist einer der wenigen, die das Burkaverbot öffentlich unterstützen. | |
| „Die arabischen Frauen wären froh über dieses Verbot“, sagt er beim | |
| Mittagessen im verpachteten Restaurant seines Hotels, „das gäbe Druck auf | |
| das System.“ Er hat nicht nur gute Erfahrungen gemacht mit seinen | |
| arabischen Gästen. Männer, die ihre Frau über Nacht ins Zimmer | |
| einschließen, um allein auszugehen. Kinder, die um fünf Uhr morgens auf dem | |
| Gang Fußball spielen, verwüstete Zimmer. „Ich rege mich auch auf, wenn der | |
| Schweizer Tourist in Spanien mit kurzen Hosen ins Restaurant geht. | |
| Gewisse Gepflogenheiten müssen einfach eingehalten werden.“ | |
| Weniger sei mehr, sagt Grossniklaus noch einmal und erzählt, dass er schon | |
| seit Jahren das schwarze Schaf der Szene sei. Auch Grossniklaus erhält | |
| anonyme Anrufe. Du Nestbeschmutzer! Er erzählt das fröhlich, ausgelassen | |
| fast. Und ist damit die Ausnahme in Interlaken, wenn es um das Burkaverbot | |
| geht. Bei allen anderen Gesprächen mit den Touristikern und Hoteliers wird | |
| das drohende Verbot nur raunend verhandelt. Ein böser Geist, den man nicht | |
| reizen sollte. | |
| Die Konkurrenz weiß schon besser, wie sich das anfühlt. Seit einem halben | |
| Jahr gilt das kantonale Verbot im Tessin, und seither sorgt es auch im | |
| Berner Oberland für Aufregung. Die arabischen Reiseveranstalter wollen von | |
| Vizetourismusdirektor Stefan Ryser wissen, ob das Verbot auch schon für | |
| Interlaken gelte. Und jeder, ob Fuhrhalter Ernst Vögeli oder Hotelier Marco | |
| von Euw, kennt mindestens eine Geschichte eines Pärchens aus den | |
| Golfstaaten, das eigentlich im Tessin Ferien machen wollte, nach einer | |
| Polizeikontrolle aber weiter ins Berner Oberland fuhr. „Das ist doch nichts | |
| als logisch“, sagt Vögeli. „Wenn es dann ein nationales Verbot gibt, kommen | |
| die auch nicht mehr zu uns.“ | |
| Von 20 Prozent weniger Übernachtungen gehen die Touristiker aus, ein grober | |
| Wert. „Es ist schwierig abzuschätzen, welche Folgen das Verbot hätte“, sa… | |
| Ryser. Klar sei nur: Es wäre ein schlechtes Signal, ein verheerendes sogar. | |
| Sein Chef, der Tourismusdirektor, sagte beim Kaminfeuergespräch, die | |
| Schwäche der Initiative sei, dass sie nicht zwischen Touristen und | |
| Einwanderern unterscheide. „Es ist provokativ, anständige Touristen und | |
| vermummte Chaoten aufs gleiche Niveau herunterzureißen.“ Sulzer und Ryser | |
| fordern darum eine Ausnahmebewilligung für Touristen, für ihre Touristen. | |
| Wie man das dann kontrollieren wolle, habe ihn Wobmann gefragt, erzählt | |
| Ryser. „Dabei ist es doch seine Initiative.“ | |
| Es klingt etwas hilflos. Wird es eine Sonderregel geben? Werden die Araber | |
| weiterhin kommen? Was geschieht mit Interlaken, wenn der Araber nicht mehr | |
| auf dem Höheweg zwischen Interlaken-West und Interlaken-Ost spazieren will? | |
| Wenn der keine Halal-Cruise mehr auf dem Brienzersee bucht? | |
| Wahrscheinlich wird es laufen wie immer in der langen Geschichte des | |
| Tourismus im Berner Oberland. Der Südamerikaner, das hört man zurzeit in | |
| Interlaken recht häufig, der Südamerikaner soll ganz ein Ordentlicher sein. | |
| Der Text erschien zuerst im [1][tagesanzeiger.ch] | |
| 25 Feb 2017 | |
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| [1] http://www.tagesanzeiger.ch/ | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Loser | |
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