# taz.de -- Ein Jahr Große Koalition: Getrennt gegen die Großen | |
> Noch nie war eine Opposition so klein. Statt sich zusammenzutun, zoffen | |
> sich Linke und Grüne. Vor allem über Militäreinsätze. | |
Bild: Angela Merkel bei ihrer ersten Regierungserklärung | |
BERLIN taz | Im Bundestag geht es seit einem Jahr meist geruhsam zu. Die | |
Große Koalition regiert mit fast 80 Prozent Mehrheit. Im Februar aber | |
krachte es heftig. Sevim Dagdelen, Linksparteipolitikerin, prangerte die | |
„Verharmlosung von Antisemitismus“ an. Die Angegriffenen keilten zurück: | |
„unerträglich“ und „infam“. | |
Doch wenn es im Plenum mal so hoch her geht, greift oft nicht die | |
Opposition die Regierung an, sondern Linkspartei und Grüne zoffen sich | |
untereinander – so wie im Frühjahr 2014 über die Ukraine. Ein prominenter | |
SPD-Mann frohlockte damals: Diese Opposition sei so schwach wie noch keine | |
zuvor. | |
Das klang selbstgerecht, doch an der Konstellation hat sich seither wenig | |
geändert. Machen es Linke und Grüne der Großen Koalition im Bundestag zu | |
leicht? Die Parlamentsstatistik: Auch wenn sich Linksfraktion und Grüne im | |
Bundestag 2014 mal nicht gegenseitig anblaffen, arbeiten sie selten | |
zusammen. 33 Gesetzentwürfe haben die beiden Fraktionen jeweils einzeln | |
eingebracht – und nur drei gemeinsam. Noch eklatanter ist das Verhältnis | |
bei den Kleinen Anfragen an die Bundesregierung – dem Lieblingsinstrument | |
aller Oppositionsfraktionen. Eine einzige reichten Linke und Grüne bis | |
Anfang Dezember gemeinsam ein, 1.021 getrennt. | |
Omid Nouripour, 39, ist grüner Außenpolitiker. „Es ist misslich, dass wir | |
Grüne im Bundestag außenpolitische Anträge nur mit der SPD und der Union | |
zusammen machen können“, seufzt er. Doch zur Linkspartei fehle die | |
inhaltliche Nähe. Die Grünen, so sieht es Nouripour, seien weiter als die | |
Genossen. Er selbst ist politisch groß geworden mit der seit dem Jahr 2000 | |
existierenden Debatte über die „Responsibility to Protect“ – der Pflicht, | |
bei Genoziden auch mit Gewalt einzugreifen. „Wir haben seit Srebrenica | |
Mitte der 90er Jahre härteste, schmerzhafteste Auseinandersetzungen über | |
Militäreinsätze hinter uns.“ Die Linkspartei habe sich „davor gedrückt�… | |
Nouripour ist im Iran aufgewachsen, spricht Frankfurterisch und Farsi. Er | |
redet ziemlich locker daher, nicht alles ist zitierfähig. Menschlich | |
versteht er sich mit seinen Linkspartei-Kollegen im Auswärtigen Ausschuss | |
ganz gut. Mit Wolfgang Gehrcke, der ebenfalls in Frankfurt seinen Wahlkreis | |
hat, ist er per Du. Neulich sammelten beide mal zusammen Geld für Jesiden. | |
Es gab einen gemeinsamen Text, unterzeichnet von Gehrcke und dem | |
Grünen-MdB. „Wolfgang vermittelt mir auch mal Kontakte. Das ist fair“, sagt | |
er. | |
## Vorwurf: Faschoversteher | |
Doch als der Auswärtige Ausschuss Ende Oktober über die Wahl in der Ukraine | |
debattierte, knallte es. Obwohl nur eine Handvoll Rechtsextreme ins | |
Parlament einzogen, sah die Linkspartei die Wahl als Beweis für den | |
Rechtsdrall in Kiew. Gehrcke stänkerte: „Die Grünen haben immer wieder den | |
ukrainischen Nationalismus bis hin zum Faschismus verharmlost.“ | |
Nouripour platzte der Kragen. Wenn Gehrcke die Grünen Faschoversteher | |
nenne, was sei er denn dann selbst? Der Linkspartei-Mann habe ja zusammen | |
mit ihm den Aufruf für die Jesiden unterstützt. Gehrcke sei also „ein | |
Faschoversteher-Versteher“? | |
Wolfgang Gehrcke, ein freundlicher älterer Herr mit roter Krawatte, sitzt | |
in seinem Abgeordnetenbüro, nippt am Kaffee und sagt mit unverkennbarem | |
Hamburger Akzent: „Nouripour kann ich gut leiden.“ Dies sei aber nicht als | |
politische Annäherung misszuverstehen. „In der Außenpolitik, besonders in | |
den Russland- und Ukrainefragen und zumeist bei Militäreinsätzen sind die | |
Grünen der rechte Rand des Bundestags. Hier machen sie eine völlig kaputte | |
Politik“, konstatiert er. | |
Es gibt kaum einen zweiten, der die Kontinuität des deutschen | |
Parteikommunismus so personifiziert wie Wolfgang Gehrcke. In den 60ern war | |
er in der illegalen KPD, 1968 Gründungsmitglied der DKP, mit der er wegen | |
Gorbatschow über Kreuz geriet, nach 1990 dann in der PDS. Seit mehr als 50 | |
Jahren dreht sich sein Leben um die Partei. Gehrcke hält die | |
Militäreinsätze für den „zentralen Unterschied“ zu den Grünen, von | |
Kampfeinsätzen, ganz zu schweigen. „Dieser Dissens ist unüberbrückbar.“ | |
Sein grüner Ausschusskollege Nouripour glaubt, im Kern sei Gehrcke | |
„Antiimperialist. Und Antiimperialist heißt bei ihm: antiamerikanisch“. | |
Gehrcke ist 71 Jahr alt und in der Sichtweise des 39-jährigen Grünen | |
jemand, der noch immer 1989 lebt. „Im Zweifel ist Moskau noch immer der | |
Ort, an dem er sich orientiert, auch wenn dort der härteste Kapitalismus | |
auf dem Globus herrscht.“ | |
Krim, Ostukraine, Syrien, Nordirak – außenpolitische Krisen prägen seit | |
Monaten das Tagesgeschäft im Bundestag. Der Dauerknatsch zwischen Grünen | |
und Linkspartei in der Außenpolitik prägt auch das Bild der | |
Oppositionsarbeit im Bundestag. Besonderen Drive hat die gegenseitige | |
Abneigung vielleicht wegen früherer Nähe. Die Grünen reklamieren | |
Menschenrechte für sich, die Linkspartei den Antiimperialismus. Beide | |
konkurrieren um eine ähnliche Erbmasse – den Internationalismus von 68 ff. | |
Die beiden Fraktionen reagieren aufeinander wie zwei Pole eines Magneten. | |
Dabei geht es auch anders. | |
## Es geht auch anders | |
Ein Donnerstagnachmittag Ende November, im kreisrunden Europasaal des | |
Bundestags schiebt Martina Renner, die Geheimdienstfachfrau der | |
Linksfraktion, ihrem Kollegen von den Grünen ein paar Gummibärchen zu. Der | |
Zuckerkick kann nicht schaden. Am Zeugentisch im NSA-Untersuchungsausschuss | |
sitzt, wie oft in den vergangenen Wochen, eine Führungskraft des | |
Bundesnachrichtendiensts und lässt sich jede Auskunft einzeln abhandeln. | |
Martina Renner und der Grüne Konstantin von Notz, die Obleute der | |
Oppositionsfraktionen, fassen im Wechsel nach. Renner, hartnäckig aber | |
höflich, Notz im schneidenden Ton eines US-Staatsanwalts beim Kreuzverhör. | |
Eigentlich sprach wenig dafür, dass aus diesem grün-linken Duo mehr werden | |
würde als ein Zwecktandem. Notz zählt zu jenen Realo-Grünen, die | |
grundsätzliche Vorbehalte gegen die Linkspartei haben. Gläubiger | |
Protestant, promovierter Jurist, grüner Transatlantiker. Die Geheimdienste | |
hält der 43-Jährige für reformbedürftig, aber reformierbar. | |
Martina Renner, studierte Kulturwissenschaftlerin, 47 Jahre, ist politisch | |
in der sektiererfreundlichen West-PDS groß geworden, dort also, wo auch | |
Wolfgang Gehrcke zu Hause war. Später wechselte sie in den Thüringer | |
Landtag, machte sich einen Namen in der parlamentarischen Aufklärung des | |
NSU-Skandals. Sie beschreibt sich als „radikale Reformerin“, gehört keinem | |
Flügel der Linksfraktion an. Im Gegensatz zu Notz hält sie Geheimdienste | |
für strukturell unkontrollierbar und verlangt deshalb „radikale | |
Einschnitte“. | |
Trotzdem lobt Renner die Ausschussarbeit mit dem Grünen: Dass Notz ein | |
Realo sei, spiele dabei „überhaupt keine Rolle“. Und der Grüne versichert, | |
mit der Linken-Obfrau verstehe er sich nicht nur persönlich, auch die | |
fachliche Kooperation laufe „gut und vertrauensvoll“ – und zwar „über … | |
hinaus, was man erwartet“. | |
## Snowden eint | |
Der NSA-Untersuchungsausschuss war für Grüne wie Linksfraktion im | |
vergangenen Jahr eines der wenigen Profilierungsfelder im Parlamentsalltag. | |
Doch die Übermacht der großen Koalition ließ ihnen auch hier wenig | |
Spielraum. Alle Versuche, den Whistleblower Edward Snowden nach Deutschland | |
zu holen, perlten an der Großen Koalition ab. | |
Für größere Attacken brauchen sich die beide Oppositionsfraktionen: „Wir | |
sind aufeinander angewiesen, weil wir unsere Minderheitenrechte nur | |
gemeinsam nutzen können“, sagt Konstantin von Notz. Und so schalten sich | |
Grüne und Linksfraktion synchron, wenn sie Zeugen laden oder Beweisanträge | |
stellen wollen. Auch die erfolglose Verfassungsklage, mit der sie Snowden | |
doch noch nach Berlin holen wollten, hatten Renner und Notz gemeinsam | |
eingereicht. | |
Solche Kooperationen im NSA-Untersuchungsausschuss funktionieren, weil das | |
politische Fundament stimmt: „Im Innen- und Rechtsbereich gibt es eine | |
Reihe inhaltlicher Überschneidungen zwischen Grünen und Linken“, sagt Notz. | |
Deshalb ist das Modell auch nur eingeschränkt übertragbar. Weder Notz noch | |
Renner glauben, dass die Opposition schlagkräftiger wäre, wenn sie die | |
gravierenden inhaltlichen Differenzen zwischen beiden Fraktionen verwischen | |
würde. In der Außenpolitik hätten sich die Gräben sogar „eher noch | |
vertieft“, sagt Notz, „es gibt dort ein Gefühl des sich Fremdseins“. | |
Trotzdem sieht Martina Renner noch Potenzial bei der Zusammenarbeit gegen | |
die Koalition – etwa bei Themen wie Rüstungskontrolle oder Energiepolitik: | |
„Wo wir gemeinsame Kritik an der Regierungspolitik haben, sollten wir die | |
ruhig auch gemeinsam formulieren.“ | |
Der grüne Außenpolitiker Nouripour sieht in der Linkspartei-Außenpolitik | |
auch keinen homogenen Block. Er erkennt dort drei Gruppen. Die | |
Fachpolitiker, dann die Fundis, die Außenpolitik als Instrument nutzen, um | |
jede rot-rot-grüne Annäherung zu ersticken. Und schließlich die Reformer, | |
wie den Linksparteimann Stefan Liebich, die Rot-Rot-Grün möglich machen | |
wollen. Das klingt utopisch. Aber dass Bodo Ramelow in Erfurt regiert, | |
konnten sich vor einem Jahr auch nur wenige vorstellen. „Den Liebich darf | |
ich aber nicht loben“, sagt Nouripour nicht unkokett. Das „schadet dem“ b… | |
seinen Genossen. | |
16 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Astrid Geisler | |
Stefan Reinecke | |
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